Sachbuch

Muschel, Edelmetall, Schuldschein

Geldscheine hängen durch Wäscheklammern gehalten auf einer Wäscheleine.
Eine Banknote ist aus Felix Martins Sicht ein Schuldschein gegenüber der Zentralbank. © dpa / picture alliance / Jens Kalaene
Von Uli Müller |
Wie ein Abenteuerroman liest sich "Geld, die wahre Geschichte" von Felix Martin. Auch wenn der englische Ökonom aus seiner radikalen Analyse recht sanfte Schlüsse zieht, ist sein Buch durchaus empfehlenswert.
Was ist eigentlich Geld? Wenn wir das genau wüssten, wäre die Finanzkrise vermeidbar gewesen. Zu diesem Ergebnis kommt der englische Ökonom Felix Martin in seinem ersten Buch. "Das Problem ist nicht der Kapitalismus", schreibt der ehemalige Weltbank-Mitarbeiter, der heute in Anleihen investiert, "sondern das Geld und unser Verständnis des Geldes."
Mit Geld zahlen wir beim Bäcker. Wir kaufen damit Autos oder leisten uns ein Hotelzimmer. Wir tauschen also Geld gegen Waren oder Dienstleistungen. Geld dient als Tauschmittel – so sehen es die meisten Ökonomen. In der Naturalwirtschaft, postuliert die orthodoxe liberale Theorie, hätten die Menschen mit zunehmender Arbeitsteilung Geld genutzt, damit sie ihre Tauschgeschäfte einfacher und schneller abwickeln können. Dabei dienten ihnen Steine oder Muscheln als Geld, später dann Edelmetalle und Banknoten.
Geld als Zahlungsversprechen
So könnte es gewesen sein. Tatsächlich jedoch, analysiert Martin, ist Geld ein Zahlungsversprechen, ein Kredit also, der übertragbar sein muss. Eine Banknote zum Beispiel ist aus seiner Sicht ein Schuldschein gegenüber der Zentralbank. Zu Geld wird er erst, weil er allgemein als Zahlungsmittel akzeptiert wird: Der Schein geht von Hand zu Hand. Er ist also übertragbar.
Damit spielt Geld eine andere Rolle im Wirtschaftsgeschehen: Menschen stehen über Geld- und damit über Kreditbeziehungen zueinander in Kontakt. Sie gehen finanzielle Schuldverhältnisse ein. Und die seien immer instabil. Dies liege in der Natur des Geldes, formuliert Martin reichlich schwammig. Den Zins – er führt zu dieser Instabilität – erwähnt er nicht. Aber im Gegensatz zur klassischen Theorie ist ihm klar, dass Geld durch seine Eigenschaft der Instabilität Krisen auslösen kann: Finanzkrisen, die auf die reale Wirtschaft überschwappen können.
Von der Antike bis zur Finanzkrise
Von diesem alternativen Geldkonzept ist Felix Martin ebenso überzeugt wie David Graeber, der mit seinem Buch "Schulden. Die ersten 5000 Jahre" für Furore gesorgt hatte. Und beide betonen, was Anthropologen bereits in den 1980er-Jahren herausgefunden hatten: Naturaltausch war nie, in keiner historischen Epoche, die wichtigste Form des Handels. Damit Leser dieses Urteil nachvollziehen können, erzählt Martin die spannende Geschichte des Geldes von der Antike bis zur Finanzkrise.
Ausführlich widmet er sich der Beschreibung, warum sich die Auffassung vom Geld als Kredit nicht durchsetzen konnte. Es gab durchaus bekannte Gegenspieler zur etablierten Sichtweise, die zurückgeht auf John Locke, den englischen Philosophen und Vordenker der Aufklärung. Walter Bagehot zum Beispiel, der die Bankpraxis ebenso kannte wie die wissenschaftliche Debatte, hatte verstanden, dass Geld ein Kreditverhältnis ist. Doch er habe gegen den angesehenen Philosophen keine Chance gehabt.
"Der beherrschende Einfluss der Lockeschen Geldkonzeption ist der Grund für die seltsame Unfähigkeit des orthodoxen ökonomischen Denkens, sich mit den sozialen und politischen Ursachen der Instabilität der monetären Gesellschaft zu befassen."
Das sei der "selbst beigebrachte ethisch blinde Fleck" des Kapitalismus.
Tatsächlich sind die Ursachen tiefer liegend als Martin beschreibt. Natürlich geht es letztlich um Macht und Reichtum. Graebers Analyse ist in diesem Punkt wesentlich pointierter, denn er widmet sich ausgiebig den unterschiedlichen Interessen einzelner gesellschaftlicher Gruppen.
Sanfte Schlussfolgerungen
Entsprechend sanft sind Martins Schlussfolgerungen. Er will lediglich die permanent größer werdende Ungleichheit, zu der eine Geldwirtschaft tendiert, durch eine Bankenreform abfedern. Dazu sollte unter anderem gehören, dass private Investoren mehr Risiken tragen, und die Regulierung der Banken wirksam ist.
Auch wenn Martin aus seiner radikalen Analyse keine entsprechenden Schlüsse zieht, ist das Buch empfehlenswert. Seine Geschichte des Geldes liest sich über weite Strecken wie ein Abenteuerroman. Und er liefert eine Darstellung des Geschehens vor und während der Finanzkrise, die derart komprimiert und prägnant selten ist. Verwirrend bis zum Schluss bleibt jedoch, warum die Finanzkrise vermeidbar gewesen wäre, wenn eine Geldwirtschaft ohnehin zur Anhäufung untragbarer Schulden tendiert. Mehr Klarheit hätte hier gutgetan.

Felix Martin: Geld, die wahre Geschichte. Über den blinden Fleck des Kapitalismus
DVA, München 2014
432 Seiten, 22,99 Euro

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