Luca Di Blasi: "Der weiße Mann: Ein Anti-Manifest"
transcript, Oktober 2013
112 Seiten, 18,99 Euro
Neue Rolle für weißen Mann
Jahrhundertelang hat der weiße, heterosexuelle Mann andere diskriminiert, jetzt ist er ein Auslaufmodell. Das meint der Philosoph Luca Di Blasi und versucht eine Neuorientierung. Problematisch: Er schert dabei alle über einen Kamm.
Der weiße Mann ist ein Auslaufmodell. Mit diesem Befund beginnt der hundert Seiten schlanke Essay des in Berlin lebenden Philosophen Luca di Blasi. Natürlich ist diese Erkenntnis nicht ganz neu: Die Krise des Mannes haben in den letzten Jahren viele ausgerufen, sei es Josef Joffe in der "Zeit", Jakob Augstein im "Spiegel" oder Ralf Bönt in seinem Buch "Das entehrte Geschlecht". Doch wo andere Autoren einen Klagegesang auf die veränderten Machtverhältnisse anstimmen, geht es Di Blasi um eine selbstkritische Analyse der Handlungsoptionen, die weißen heterosexuellen Männern - oder "WHM", wie er sie schmissig abkürzt − offenstehen: "Der weiße Mann müsse sich 'neu erfinden', heißt es. Die Forderung [ ... ] ist allerdings leichter erhoben als befolgt. Wie genau soll das denn gehen?"
Das Problem besteht di Blasi zufolge darin, dass die WHM einerseits ihren dominanten Status als von Verfolgung und Diskriminierung weitgehend Geschonte aufgeben müssen. Andererseits können sie sich aber auch nicht als eine x-beliebige Minderheit unter anderen begreifen: "Angesichts [ihrer] Diskriminierungsgeschichte und angesichts ihrer auch gegenwärtig noch dominanten und geschonten Stellung erscheint jeder Versuch der WHM, sich als Opfer umzudeuten, im besten Fall wehleidig, im schlimmsten Fall reaktionär und ressentimenthaft." Eine paradoxe Situation.
WHM müssen Geschichte besonders intensiv reflektieren
Ein Ausweg besteht Di Blasi zufolge in einer Haltung, die er "Transpartikularismus" nennt. Weiße heterosexuelle Männer müssen demzufolge ihren Universalismusanspruch aufgeben, aber auch den Anspruch auf einen neuen, partikularen Status hinter sich lassen.
Sie müssen in besonderem Maß die Geschichte von Gewalt und Dominanz, die von ihresgleichen ausgegangen ist, reflektieren. Und sie müssen sich mehr als andere für Gerechtigkeit engagieren, "für eine Gesellschaft, die weniger durch Ausschlüsse und Machthierarchien geprägt ist".
Die Argumentation, welche der Autor in einem Dutzend kurzer Kapitel entfaltet, ist über weite Strecken sehr lesbar und anregend. Vor allem die Wiedergabe von Theoremen aus Dekonstruktion, Systemtheorie, Queer Studies und anderen Strömungen ist bündig und elegant. Die Rückbindung an politische und kulturelle Phänomene − den Wahlsieg Obamas, die Brüderle-Affäre, Filme wie Django Unchained − führt die Relevanz des Themas deutlich vor Augen.
Di Blasi lässt Bildung, Alter, Gesundheit außen vor
Problematisch erscheint allerdings eine Grundannahme: Mit dem essenzialistischen Begriff "WHM" werden Millionen von Biografien über einen definitorischen Kamm geschert. Stellen weiße, heterosexuell veranlagte Männer wirklich eine so homogene Kategorie dar? Kategorien wie Bildung, Klasse, Alter, Gesundheit bleiben in Di Blasis Modell weitgehend außen vor. Der WHM, über den er schreibt und an den er sich implizit wendet, ist offenbar gesund, im erwerbsfähigen Alter, frei von sozialer Benachteiligung und akademisch gebildet.
Unklar bleibt auch, welche konkreten Handlungsoptionen sich aus der Analyse ableiten lassen. Di Blasis Schlussstatement, angesichts der zu erwartenden gewaltsamen Umbrüche in der Weltordnung sei es wichtig, "sich mit der Möglichkeit der Dezentrierung der Dominierenden und den mit ihr einhergehenden Chancen und Gefahren theoretisch auseinanderzusetzen", ist vage und versteckt sich hinter aufgedunsenem Jargon. Bedenkt man, dass der Autor seinem Essay im Vorwort "Anstößigkeit" zuspricht und für sich selbst publizistischen "Mut" reklamiert, ist das ein bisschen wenig.