Sachbuch

Orchideen, die betrügen

Von Joachim Kaiser |
Die Schönheit der Pflanzenpollen, ihre Verbreitung und Heilkraft - all das versammelt Maria Anna Pabst in ihrem Buch. Lediglich die Meditationsübungen wirken etwas befremdlich inmitten der naturwissenschaftlichen Erklärungen.
Stachlige Morgensterne, fein ziselierte Fußbälle, geriffelte, gewellte, umwickelte oder löchrige Oberflächen seltsamer Kugeln oder Quader - die fantastisch-surreale Formenvielfalt der Pflanzenpollen lässt sich kaum in Worte fassen. Umso beredter sind die Bilder aus dem Elektronenmikroskop.
Die Biologin Maria Anna Pabst hat die winzigen Pollenkörner von 50 Blumen, Kräutern, Bäumen in 4000-facher Vergrößerung auf eine Leinwand geworfen und dann die Konturen und Strukturen der hauchzarten Gebilde farbig ausgemalt, anschließend fotografiert. Der Effekt ist atemberaubend. Die bunten Winzlinge enthüllen eine ungeahnte dreidimensionale Formenpracht. Die Bilder der Pflanze selbst sowie ein Begleittext klären über Verbreitung der Pflanze, ihre mögliche Heilwirkung und die Besonderheiten der jeweiligen Pollen auf.
Die Evolution hat sich als äußerst kreativer Baumeister erwiesen, um ein Pollenkorn, einen pflanzlichen Samen zu schaffen, das genau zu der Narbe, dem weiblichen Geschlechtsorgan der Pflanze passt. Ausführlich erklärt die Biologin im ersten Teil des Buches, wie diese Fortpflanzung funktioniert, Pollen und Eizelle miteinander verschmelzen, ihre Gene austauschen.
Die nützlichen Gäste werden mit Nektar gelockt
Es gibt zwei Grundvarianten der Bestäubung. Einige Pflanzen verlassen sich auf den Wind. Da der Zufall entscheidet, wo der Pollen landet, produzieren sie Unmengen davon. Eine einzige Kiefernblüte etwa entlässt knapp eineinhalb Millionen Pollenkörner, die extrem leicht und flugfähig sind und spezielle Luftsäcke am Pollenkorn ausgebildet haben.
Bei den Pflanzen, die Insekten zur Bestäubung nutzen, reichen dagegen einige tausend Pollenkörner aus, um sich erfolgreich zu vermehren. Sie locken die nützlichen Gäste mit einigen ihrer Pollen oder mit Nektar als Nahrung. Auf sich aufmerksam machen sie mit zahlreichen Farben und Düften.
Und wie immer gibt es auch Betrüger, Diebe, Gauner: Die Hummelragwurz, eine Orchideenart, bildet Blüten aus, die wie Hummelweibchen aussehen und erzeugt zudem den entsprechenden Sexuallockstoff. Die Männchen fallen auf den Trick rein und kopulieren mit der vermeintlichen Dame. Die Pollenkörner bleiben an ihrem Leib haften und werden so bei der nächsten Blüte, die sie aufsuchen, abgestreift.
Eine gelungene Mischung
Eingestreut zwischen die Pflanzenporträts finden sich Aufforderungen zu Meditationsübungen im Angesicht der Blumen. Sie wirken etwas befremdlich inmitten der naturwissenschaftlichen Erklärungen. Das Buch endet mit kulturgeschichtlichen Betrachtungen von Wolf-Dieter Storl. Er erklärt, wie Pollen oftmals zu Heilzwecken und für religiöse Rituale genutzt wurden. Schamanen zum Beispiel warfen Pollen des Bärlapps ins Feuer. Dank ihres hohen Fett- und Aluminiumanteils schoss dann eine helle Stichflamme gen Himmel. Ein beeindruckendes Spektakel. Pollenfunde bei archäologischen Grabungen lassen zudem Rückschlüsse auf die Ernährung unserer Vorfahren zu.
Und so ist der Titel des Buches mehr als gerechtfertigt: "Die Wunderwelt der Pollen“ ist ein wunderbares Buch - eine gelungene Mischung aus Naturwissenschaft, Kulturgeschichte und Fotokunst.

Maria Anna Pabst: Die Wunderwelt der Pollen
AT Verlag, München 2013
240 Seiten, 34,90 Euro

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