Sachbuch

Rhythmen der Natur

Von Susanne Billig · 08.03.2014
Ein fundierter und unterhaltsamer Streifzug durch den Dschungel des menschlichen und tierischen Mit- und Gegeneinanders: Das neue Buch der Tierärztin Mirjam Schmitz ist eine kurzweilige Lektüre für Einsteiger in die Biologie.
Eine Löwin packt eine Antilope. Als Rudelgenossinnen herbei eilen, lässt sie das Opfer versehentlich los. Blitzschnell sticht die Antilope eine andere Raubkatze tot. Das Rudel bestraft die Löwin nicht. Dennoch verlässt das Tier seine Gruppe und gibt sich dem Hungertod preis.
Schuldgefühle bei Tieren? Aber ja doch, erklärt die Tierärztin Mirjam Schmitz in ihrem Buch "Instinkt". Alle großen Emotionen teilt der Mensch mit anderen Geschöpfen, lautet ihr Leitmotiv: Angst und Aggression, Neid und Eifersucht, Schuld und Trauer, Liebe und sexuelle Sehnsucht. Das komplexe Gefühlsleben wird den Säugetieren von Hirnaktivitäten, Hormonen und Neurotransmittern beschert und garantiert überlebenswichtige Verhaltensweisen. Nicht nur Flucht, Angriff und Nahrungssuche sind damit gemeint, sondern auch die Brutpflege und das soziale Miteinander.
Natürliche Zen-Meister
Verhaltenskunde, Evolutionsbiologie, Hirnforschung und Erfahrungen aus ihrem langjährigen Umgang mit Tieren aller Art verquickt die Autorin zu einer kurzweiligen Lektüre für Einsteiger in die Biologie. Spannend wird es vor allem dann, wenn Mirjam Schmitz ungewöhnlichere Aspekte untersucht, wie im Kapitel "Zeit". Alle Tiere seien "natürliche Zen-Meister" - schließlich lebten sie ausschließlich in der Gegenwart. Während der Mensch die Zeit in winzigste Abschnitte einteile, um seine Aktivitäten zu synchronisieren, ließen sich Tiere von den Rhythmen der Natur durchs Leben leiten, der Kühle des Morgens, der nächtlichen Dunkelheit, den Klimaveränderungen im Jahreslauf.
Bar aller Vorurteile
Hier zeige sich auch die Crux der menschlichen Existenz, arbeitet die Autorin ihr Tiefenthema heraus: Die Macht der Fantasie habe dem Menschen ungeheure Evolutionsvorteile verschafft. Wenn sich die Fantasie jedoch zu stark von Angst-Instinkten leiten lasse, verhagele sich der Mensch die Daseinsfreude. Nicht nur im entspannten Umgang mit der Zeit könnten wir von der Mitwelt lernen. Sozial lebende Tiere gehen auch weise mit der höheren Aggressionsbereitschaft der Jugend um, indem sie - anders als Unternehmen, die schon Dreißigjährige zu "Senior Managern" ernennen - höhere Machtpositionen nur erfahrenen Gruppenmitgliedern zugestehen. Tiere sind bar aller Vorurteile, können dem Reiz des Geldes nichts abgewinnen und gehen dem Tod einigermaßen unverkrampft entgegen.
Leider gerät die Autorin nicht selten in seichtes Fahrwasser, wenn sie alltagsmoralische Ratschläge erteilt. Dennoch verströmt das Buch mit seinen ungewöhnlichen Kurzschlüssen zwischen Tier und Mensch einen besonderen Charme. Wunderbar mühelos und ohne ins Reduktionistische abzugleiten wandert Mirjam Schmitz von einer traurigen Stute zur Verlustangst des Menschen, von den Ess-Sitten der Makaken zur Bedeutung von Vorbildern und der widerspenstige Haushund mündet glaubwürdig in Betrachtungen über Scham und Schuld. Am Ende lässt man sich von der Autorin gern erinnern: Glück und Zufriedenheit sind nicht durch Preisgabe, sondern nur im Einklang mit der emotionalen Grundausstattung des Menschen zu haben.

Mirjam Schmitz: "Instinkt - Das Tier in uns"
Schattauer Verlag, Stuttgart 2013
170 Seiten, 17,50 Euro