Alan Sepinwall: Die Revolution war im Fernsehen
Aus dem Amerikanischen von Tom Bresemann, Christian Lux und Annette Kühn
Luxbooks, Wiesbaden 2014
450 Seiten, 24,80 Euro
Ritt durch 15 Jahre US-Serien
Amerikas wichtigster Fernsehkritiker Alan Sepinwalls beschreibt anhand von zwölf TV-Serien meisterhaft amerikanische Fernsehrevolution. Deutlich wird, warum diese Erfolge auf dem deutschen Markt nicht einfach zu wiederholen sind.
"Warum können die das und wir nicht?“ lautet eins der Lieblingslamentos im Feuilleton hierzulande, wenn es um den weltweiten Siegeszug US-amerikanischer Fernsehserien geht. Üblicherweise fällt die Antwort dann immer so aus: Die Deutschen Filmemacher müssten einfach mutiger sein, dann würden sie genauso tolle Geschichten auf den Markt bringen können, wie die Konkurrenz aus Übersee. Dass diese Vorstellung schlicht naiv ist, ist wohl die wichtigste und vielleicht auch schmerzlichste Erkenntnis aus Alan Sepinwalls grandiosem Mammutwerk über das Innenleben amerikanischer Serienproduktionen, diesem einzigartigen Kosmos aus Kreativität, Hingabe und knallharter wirtschaftlicher Kalkulation.
Der Faszination dieses Innenlebens ist auch Alan Sepinwall erlegen – mit diesem Bekenntnis beginnt er sein Buch. Schon als Student hat der heute 40-Jährige im Internet über Fernsehserien geschrieben, bis er später nach Newark zum "The Star Ledger" geholt wurde und sich mit seiner Anstellung als Rezensent einen Traum erfüllen konnte. Inzwischen ist er nicht nur Amerikas wichtigster TV-Kritiker, sondern auch ein lebendes Kompendium und damit prädestiniert für diesen Ritt durch 15 Jahre amerikanische "Fernsehrevolution“. Und den bestreitet er meisterhaft. Zwölf Serien dekliniert Alan Sepinwall durch, angefangen vom weniger bekannten Gefängnisdrama "Oz“, das 1997 an den Start ging, über die "Sopranos“ bis hin zu "Mad Man“, deren letzte Staffel im kommenden Jahr auf den Bildschirm kommt.
TV-Kunstwerke nur möglich, weil der Markt es zuließ
Nahezu alles verrät er über diese Produktionen: Wer sie unter welchen Umständen erfunden hat, nach welchen Kriterien die Schauspieler gecastet wurden, wie die Drehs verlaufen sind und warum die Story so und nicht anders enden konnte. Absolut amüsant und erhellend sind die vielen Interviews, die Sepinwall mit Autoren und Produzenten geführt hat. Sie halten manche Überraschung bereit, etwa, dass "Sopranos"-Erfinder David Chase eigentlich seine gestörte Beziehung zu seiner verstorbenen Mutter aufarbeiten wollte und der Mafiakontext nur dazu diente, Zuschauer anzuziehen.
Solche Details machen vor allem Spaß, wenn man die eine oder andere Serie bereits gesehen hat, zumal einen dann auch Alan Sepinwalls grenzenlose Begeisterung nicht stören dürfte. Aber auch, wer sie nicht kennt, kommt auf seine Kosten. Denn dieser Kritiker liefert eine profunde Analyse gleich mit. Jedes der zwölf Serien-Beispiele steht für ein neues Tor, das aufgestoßen wurde: "Oz" etablierte erstmals, dass Helden Verwerfliches tun durften. "Sopranos" forderte den mitdenkenden Zuschauer, so tief drang die Serie in die Psyche eines Mannes ein. "The Wire" war wie ein großer Roman angelegt, "24" brachte das Echtzeit-Konzept.
Diese Kunstwerke – das macht Sepinwall deutlich – gab es aber nur, weil der Markt es zuließ. Denn die Kabelkanäle wollten sich mit neuen Inhalten von den großen Networks emanzipieren und konnten gleichzeitig über das Internet eine neue Fankultur etablieren. Ohne diese Gunst der Stunde wären all die verrückten, besessenen Kreativen – die man bei uns so vermisst – kaum zum Zuge gekommen.