DDR vs. BRD

Historikerin Braun: Sport im deutsch-deutschen Systemvergleich

06:20 Minuten
Der Höhepunkt des "Dramas" vom 22.06.1974 im Hamburger Volksparkstadion ist erreicht - auf den Knien blickt Sepp Maier fassungslos dem Ball hinterher, der zum 1:0-Sieg für die DDR ins bundesdeutsche Netz fliegt - getreten von Jürgen Sparwasser (l.)
Bei der Fußball WM 1974 kommt es zum einzigen deutsch-deutschen Länderspiel. Im Hamburger Volksparkstadion trifft Jürgen Sparwasser (links) zum 1:0-Sieg der DDR gegen den späteren Weltmeister BRD. © picture-alliance / dpa / Witschel
Von Jörg Degenhardt |
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Sport war immer auch Gradmesser für die Stärke politischer Systeme. Die Historikerin Jutta Braun beschreibt in "Wettkampf der Systeme" Entwicklungen beiderseits der Mauer bis hin zum gemeinsamen "Lauf" in die Einheit 1989/1990.
Das Wunder von Bern und den Fußballweltmeister Fritz Walter kennen sicher einige. Hochverehrt in der jungen Bundesrepublik. Aber wer bitte ist Täve Schur? Radsportweltmeister, Friedensfahrer - sozialistischer Vorzeigesportler. Beliebt im Osten, heute 93 Jahre alt.
Während im Westen das Ziel darin bestand, nach den Erfahrungen der NS-Zeit, den Sport unabhängig, unpolitisch zu halten, war das Sportsystem der DDR hingegen von Anfang an der führenden Partei unterworfen. Und die SED propagierte als neue Organisationseinheit die Betriebssportgemeinschaft „BSG“. „Betriebssportgemeinschaft hieß natürlich, dass diese Sportgemeinschaft eng an einen Betrieb angeschlossen war", sagt Jutta Braun.
"Es war also keine eigene Rechtspersönlichkeit wie die Vereine im Westen, sondern sie waren Teil des Betriebs, sie waren aber unterstellt natürlich auch dem Parteisekretär und den staatlichen Ämtern, also eingebunden in staatliche und parteiliche Strukturen.“

DDR-Dopingsystem

Der Staatssport mit seinem ausgefeilten Leistungssportsystem war der Bonner Republik in der Medaillenbilanz bald voraus. Die allumfassende Talentsichtungs- und Förderpraxis und ein, wie Braun schreibt, mithilfe der Staatsicherheit repressiv abgesichertes Dopingsystem, trugen Früchte. Bei den Olympischen Winterspielen 1984 in Sarajevo stand die kleine DDR sogar vor dem „großen Bruder“, der Sowjetunion, an der Spitze.
Die folgenden Sommerspiele in Los Angeles sahen allerdings weder Ostberlin noch Moskau am Start. Boykott. Der nächste, nachdem von 1980 - als die BRD kein Team in die sowjetische Hauptstadt geschickt hatte, aus Protest gegen den Einmarsch in Afghanistan.

Neuere Forschungen zeigen, dass der Boykott von Los Angeles mehr war als eine Retourkutsche, sondern dass die Sowjetführung wirklich damals Angst hatte vor der Disziplinlosigkeit der eigenen Mannschaft. Man hatte Angst, dass es massenweise zur Flucht von eigenen Sportlern kommen würde.

Jutta Braun

Deutsch-deutscher Sportkalender

Zur Propaganda der SED-treuen Medien gehörte die regelmäßige Verteufelung des Westens. Trotzdem lassen sich im deutsch-deutschen Wettkampf der Systeme auch Berührungspunkte ausmachen. Nach dem Mauerbau und der folgenden Eiszeit wurde im Zuge der Entspannungspolitik von Bundeskanzler Willy Brandt ein sogenannter Sportkalender wiederbelebt. Kontakte zwischen „Hüben und Drüben.“
Die TSG Wismar trat etwa 1985 beim FC Schüttorf 05 an. Trotz aller Überwachung durch Ostberlin fand man sich nach dem Spiel zum gemeinsamen Bier. Fazit Braun: Der Kalte Krieg der Sportpolitik verfing nicht an der sportlichen Basis in Ost und West.
Die deutsche Mannschaft läuft am 8. Februar 1992 bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Winterspiele in Albertville ein. Ganz vorne der Fahnenträger Wolfgang Hoppe. [dpabilderarchiv]
Die deutsche Mannschaft marschiert, angeführt von Wolfgang Hoppe, zur Eröffnungsfeier der Olympischen Winterspiele 1992 in Albertville ein.© picture alliance / dpa / Rolf Haid
Als für 1988 in Südkorea eine weitere Olympia-Blockade drohte, kooperierten sogar die obersten Sportführer beider Seiten miteinander. NOK-Chef Willy Daume reiste im Juni 1984 nach Ostberlin um mit Manfred Ewald, dem allmächtigen Sportfunktionär der DDR, die Lage zu besprechen. Beide wollten keinen neuerlichen Boykott, den es dann ja auch nicht gab. Die Spiele in Seoul fanden statt. Ein Jahr später fiel die Mauer.
In Albertville, bei den Winterspielen 1992, trugen die Ostathleten maßgeblich zur gesamtdeutschen Medaillenausbeute bei. Die Bundesrepublik führte die entsprechende Statistik sogar an.

Vom Staatssport zur Selbstorganisation

Mittlerweile sind die Vereine in den Osten zurückgekehrt. Vom Staatssport wieder zur Selbstorganisation. Geblieben ist ein West-Ostgefälle im Breitensport. Wird zwischen Erzgebirge und Rügen mehr individuell Sport getrieben? Auch das, so Braun, wäre weiter zu untersuchen. Und was ist nun vom DDR- Sport-Modell geblieben? Die Dopingopfer, natürlich, die um eine angemessene Entschädigung kämpfen. Die Autorin spricht von Dopingverbrechen. Sie hätten das Image des DDR-Sports nachhaltig beschädigt. Zur Sprache kommen aber auch Manipulationen im Westen.

Lesenswerte Analyse

Und dann sind da noch die Eliteschulen des Sports. Erinnert wird an gesamtdeutsche Idole wie Henry Maske. Marode Sportanlagen gehören gleichfalls zum Erbe, sprich: ein großer Sanierungsbedarf. Darüber hinaus hat die Autorin, und damit sind wir in der Gegenwart, auch die vermehrten „Ostdeutschlandrufe“ von Fußballfans in den Stadionkurven vernommen; ein deutliches Signal innerdeutscher Abgrenzung wie neuere Forschungen zeigten.
Keine Frage: Die langjährigen Recherchen von Jutta Braun münden in eine lesenswerte sporthistorische Analyse.
Jutta Braun, "Wettkampf der Systeme – Sport im geteilten Deutschland ".
Erschienen im BeBra Verlag 192 Seiten kosten 22 Euro

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