Elizabeth Kolbert: "Das sechste Sterben"
Übersetzung von Ulrike Bischoff
Suhrkamp Verlag, Berlin 2015
313 Seiten, gebunden 24,95 Euro
Traumhaft schön und dem Tod geweiht
Für das Buch "Das sechste Sterben" ist Elizabeth Kolbert durch den Regenwald gestreift, an die Küsten gereist und hat beobachtet, wie Korallenriffe im sauren Meer eingehen. Eine beeindruckende Untersuchung des Artensterbens - leider mit trivialen Schlussfolgerungen.
Aufwendig und ehrgeizig legt Elizabeth Kolbert ihr neues Buch "Das sechste Sterben" an, das sich mit der menschengemachten Massenvernichtung des Artenreichtums der Erde befasst und mit dem Pulitzer Preis gekrönt wurde. Die Autorin taucht in die Geschichte der Evolutionsforschung ein, reist persönlich an Meeresküsten, vor denen Korallenriffe im sauren Meer eingehen, und kämpft sich durchs Regenwalddickicht, dessen wundersame Lebenswelten noch kaum verstanden sind, da müssen sie schon Ölpalmen-Monokulturen weichen.
Sie trifft Wissenschaftler, die Froschheime für hunderte aussterbender Froscharten unterhalten, für die es in der Welt draußen keinen Ort mehr gibt, und spricht mit Zoo-Angestellten, deren Vision darin besteht, einem seltenen Nashorn oder Hawaikrähenmännchen künstlich zu Nachwuchs zu verhelfen.
In jedem Kapitel nimmt die Autorin wichtige Ursachen des Artensterbens in den Blick: die Fragmentierung der Landschaften, die globale Ausbreitung von Krankheitserregern, denen geschwächte Organismen nichts entgegenzusetzen haben, pflanzliche und tierische Migranten, die mit Hilfe moderner Verkehrsmittel neue Heimaten so erfolgreich erobern, dass deren bisherige Bewohner dem Tod geweiht sind.
Sind wir wirklich an allem Schuld?
Doch leider hat Elizabeth Kolberts Buch, trotz der stilistischen Künste der Autorin und ihrer reichhaltigen Kenntnisse, einen fulminanten blinden Fleck: Es klammert die politische und ökonomische Dimensionen des Themas vollständig aus. Man mag es kaum glauben, aber tatsächlich bleibt der angebliche Verursacher von Naturzerstörung und Artensterben für Elizabeth Kolbert bis zur letzten Seite jenes ahistorische, diffuse "Wir", das wegen seiner Nichtgreifbarkeit bei Verschleierungsstrategen so beliebt ist.
Laut Elizabeth Kolbert haben "wir", "der" Homo sapiens, früher die Riesenfauna der Erde zum Aussterben gebracht, "wir" vernichten heute die Regenwälder und "wir" verunstalten die schillernden Korallenriffe zu grauen Kalkwüsten. Bei der ansonsten so wachen und intelligenten Autorin gibt es keine industrialisierte Landwirtschaft mit ihren weltumspannenden Oligarchien, keine Mineralölgiganten, die riesige Regionen in giftigem Schlick ersticken, keine Waffenhandelskonsortien, die noch an jedem lokalen Wasser- und Landkonflikt Geld zu verdienen wissen, keine Drehtüren zwischen Parlamenten und Wirtschaft und schon gar keine Geschichte des Widerstandes gegen Machtanmaßung, Effizienzwahn und Umweltzerstörung.
Luftige Vogelperspektiven
"Wenn einer Maschinen benutzt, dann wird er alle seine Angelegenheiten maschinenmäßig betreiben. Er bekommt ein Maschinenherz und darum schäme ich mich, solche Dinge anzuwenden", seufzte der chinesische Philosoph Zhuangzi - vor über zweitausend Jahren und angesichts eines Ziehbrunnens; auch er ein Homo sapiens, ist anzunehmen.
Elizabeth Kolbert aber entfleucht auf den letzten Seiten ihres Buches in luftige Vogelperspektiven: War doch keine böse Absicht, das mit der Naturzerstörung, schließt sie lapidar und kann mangels Fehleranalyse auch keine Lösungsvorschläge unterbreiten. So bleibt am Ende eines ansonsten packend geschriebenen Buches leider doch ein schaler Nachgeschmack.