Sachbuch "Über die Wahrnehmung von Kunst im Gehirn"

Die Kreativität der rechten Hemisphäre

Besucher betrachten am 02.05.2014 Kunstwerke der US-Künstlerin Dorothy Iannone in der Berlinischen Galerie in Berlin. Viele Berliner Galerien laden vom 2. bis 4. Mai beim "Gallery Weekend Berlin" zu einem Rundgang durch ihre Ausstellungen ein. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa
Zeitgenössische Kunst, gesehen beim Gallery Weekend in Berlin © picture alliance/dpa/Bernd von Jutrczenka
Von Dorothée Brill |
Was Sie schon immer über die Wahrnehmung von Kunst wissen wollten? In diesem Buch finden Sie es nicht. Denn die These, dass wir Kunst anders als andere Dinge wahrnehmen, wird von Mediziner Jan A. Fischer nicht erhärtet.
"Warum machen uns bestimmte Darstellungen der Kunst besonders für sie empfänglich? Wie reagiert das Gehirn auf ein Kunstwerk? Welche Voraussetzungen hat das ästhetische Vergnügen? Was passiert im Kopf des Künstlers, wenn er Kunst macht?"
Den kunstinteressierten und neurowissenschaftlich wenig bewanderten Leser packt bei diesen Fragen die Neugier. Erwartungsvoll greift er zu der so angekündigten Publikation "Über die Wahrnehmung von Kunst im Gehirn". Doch am Ende der Lektüre steht mehr Ratlosigkeit als Erkenntnis – sowie ein Einblick in die Lücken der Hirnforschung.
Die Frage nach der Wahrnehmung von Kunst im Gehirn lässt vermuten, dass sich diese strukturell von der Wahrnehmung alles anderen in der Welt unterscheidet. Ist diese Fokussierung auf die Kunst für die Hirnforschung also von besonderer Aussagekraft? Bereits die einleitende Feststellung, dass "für die Wahrnehmung der Kunst die fünf Sinnesorgane" entscheidend seien und "die durch die Rezeptoren empfangenen Informationen an das Gehirn weitergeleitet und dort verarbeitet werden", lässt vermuten, dass solcherlei Erwartungen ins Leere laufen. Schließlich gilt das Gesagte für alles sinnlich Wahrnehmbare.

Wissenswertes über die fünf Sinne

Kenntnisreich, gut verständlich und reich bebildert widmet sich der Mediziner Jan A. Fischer jedem der fünf Sinne, beschreibt die Reizaufnahme und -verarbeitung, benennt die beteiligten Gehirnregionen und erklärt die Untersuchungsmethoden und Forschungen zur Lokalisierung, Beeinflussung und Schädigung von Gehirnaktivitäten. Dabei widmet er sich mal der Wahrnehmung von Gemälden, Fernsehbildern, Computersimulationen und Reportage-Fotos, mal von Skulpturen, sonstigen Gegenständen, köstlichen Speisen, schönen Tönen, Landschaften, Stadträumen und Gesichtern. Er überschreitet die Grenze zwischen Kunst und allem anderen genauso wie jene zwischen der Wahrnehmung von Realität und ihrer Abbildung. Diese Unterscheidungen scheinen für die Hirnforschung zweitrangig.
Dem mag so sein. Doch bleibt Fischers Fokus auf die Kunst dadurch seltsam unbegründet. Der Autor liefert zwar einen Parforceritt durch ihre Geschichte, mal mit Blick auf das menschliche Porträt, mal mit Blick auf die Darstellung von Raum und Bewegung oder die Einbeziehung von Licht. Er widmet sich olfaktorischen Werken, der Installations- und Aktionskunst, Museumsbauten, der Musik und der Oper.
Doch bei alledem bleibt letztlich die Frage offen, ob sich unsere Gehirnaktivität bei der Wahrnehmung eines Kunstwerks von außerkünstlerischen Reizaufnahmen grundlegend unterscheidet. Hier wie dort gibt es mono- und multisenorische Prozesse, hier wie dort unterscheiden wir angenehme und unangenehme Reizeinflüsse, hier wie dort lässt uns eine Wahrnehmung mal kalt, mal erschüttert sie uns in Mark, hier wie dort sind die Prozesse der Verarbeitung auch vom jeweiligen Rezipienten abhängig. Und in jedem Fall kann ein Fazit Fischers gelten: "Die Mechanismen dieser Vorgänge sind komplex."

Jan A. Fischer: Über die Wahrnehmung von Kunst im Gehirn
Elster Verlag, Zürich 2016
160 Seiten, 39,80 Euro

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