Charlotte Wiedemann: "Mali oder das Ringen um Würde. Meine Reisen in einem verwundeten Land"
Pantheon Verlag, München 2014
304 Seiten, 14,99 Euro
Ein Land auf der Suche nach seiner Zukunft
Seit vielen Jahren reist Charlotte Wiedemann nach Mali. Ihre Begegnungen mit den Menschen hat sie nun in einem Buch zusammengefasst. In einem Punkt ist sie sich ganz sicher: Der Westen wird das Land nicht retten.
Vor etwa zwei Jahren bestimmte Mali die Schlagzeilen, als die Regierung weggeputscht wurde, islamistische Milizen Timbuktu einnahmen und dann mit Hilfe französischer Truppen zurückgedrängt werden konnten. Der Westen rettete Mali! So lautete damals die Kurzfassung. Dass aber die Wirklichkeit wesentlich komplizierter war und ist, beweist das neue Buch von Charlotte Wiedemann, ein recherchestarkes Werk voller kluger Beobachtungen und Gedanken.
Charlotte Wiedemann, die seit Jahren nach Mali reist, beschreibt lebendig und eindringlich ihre Begegnungen mit einfachen Leuten, geistlichen und weltlichen Führern, mit Sozialwissenschaftlern und Aktivisten. In ihre detaillierten Beschreibungen mischt sie tiefes Wissen über die Geschichte und die Kultur des Landes und verändert so zum Beispiel den Blick auf den Sahel.
Die meisten Menschen verbinden mit dem Wort Trockenheit und Missernten, auf arabisch bedeutet es aber zunächst nur "Küste" oder "Ufer", und es bezeichnet den fruchtbaren Rand am Südende der Sahara. Dort hatten sich schon im 13. Jahrhundert reiche und wohlgeordnete Staaten entwickelt - Staaten, die sich schon früh Gesetze gaben: bereits 1236 wurde in einer Art Verfassung festgeschrieben, dass jeder Mensch das Recht auf körperliche Unversehrtheit besitze.
Ebenso alt sind die unkündbaren Wahlverwandtschaften (die hier Scherzverwandtschaften genannt werden) zwischen Ethnien oder Familien. So sind alle Dogon mit allen Songhai "verwandt", alle Familien, die Diarra heißen mit allen, die auf den Namen Traoré hören.
Ausufernde Korruption und ungeklärte ethnische Konflikte
Es sind Verbindungen, die tragen, wie auch die vielfältigen, dichten sozialen Beziehungen heute. Die Hauptstadt Bamako sei arm, verelende aber dank dieses gesellschaftlichen Zusammenhalts nicht, schreibt die Autorin und berichtet von Menschen, die klaglos noch zehn in die Hauptstadt geflüchtete Familienmitglieder durchfüttern. Oder davon, dass Einwohner Bamakos, als es im Norden während der Besatzung an Bargeld mangelte, den Fahrern von Überlandbussen Geldbündel für ihre Familien dort mitgaben - die erreichten die Empfänger problemlos.
Charlotte Wiedemann mag das Land und seine Menschen, benennt aber trotz aller Zuneigung Malis Probleme konkret: Dass die Demokratie nur formal gehandhabt werde, die Korruption ausufere, es eine Entwicklungshilfeindustrie mit reichen NGOs gäbe, die die Menschen oft entmündige. Und dass ungeklärte ethnische Konflikte die Gesellschaft immer weiter zerrissen.
Das Buch wagt keine Prognose, wie und wohin sich Mali entwickelt. Charlotte Wiedeman beschreibt die Menschen in Bamako, Timbuktu, Gao und Falea, wie sie ihre Wirklichkeit erleben und welche Zukunft sie sich erträumen. Und die Autorin lässt offen, ob sie die Kraft haben werden, dem Land und sich eine gute Zukunft zu geben.
Eines aber macht sie ganz klar: Die Rettung kommt nicht von außen - auch wenn westeuropäische Politiker so tun, als könnten sie das Land entwickeln. Sie muss von innen kommen, aus dem Vertrauen und das Rückbesinnen auf die alten Kulturen, auf das lange Zusammenleben unterschiedlicher Völker. Mit mehr dezentraler Demokratie und mehr Selbstvertrauen, eigene Maßstäbe für Entwicklung zu finden.