Sachbuch

Von der penetranten Redelust der Männer

Eine Frau und ein Mann unterhalten sich im Eingangsbereich des Bankkonzerns Dexia in Brüssel.
Eine Frau und ein Mann unterhalten sich im Eingangsbereich des Bankkonzerns Dexia in Brüssel. © picture alliance / dpa
Von Vera Linß |
In ihrem Buch "Wenn Männer mir die Welt erklären" rechnet Rebecca Solnit mit der männlichen verbalen Selbstdarstellung ab. "Das provokative Selbstvertrauen der vollkommen Unwissenden ist geschlechtsspezifisch", schreibt sie. Es stehe dafür, dass Frauen oft nicht für voll genommen würden.
Es ist einer dieser typischen Verläufe, wenn Männer und Frauen aufeinander treffen. Etwa auf einer Party. Die erste Frage fällt und ein Dialog könnte sich entspinnen. Doch bei der nächstbesten Gelegenheit ergreift der Mann das Wort – und gibt es nicht wieder her.
Obwohl die Frau manchmal sogar mehr zum Thema beitragen könnte, als das männliche Gegenüber. Genau das ist auch Rebecca Solnit passiert. Mit dieser Geschichte beginnt sie ihre Essaysammlung, die im vergangenen Jahr schon in den USA für Gesprächsstoff sorgte. "Mansplaining" ist das Wort, das sie hierbei in die Welt setzte; ein Begriff, der dafür steht, dass jemand redet und redet, weil er fälschlicherweise davon ausgeht, dass der andere einfach keine Ahnung hat.
"Provokatives Selbstvertrauen der vollkommen Unwissenden"
Erfahrungsgemäß tun Männer das vor allem Frauen an, hat die Feministin beobachtet. "Das provokative Selbstvertrauen der vollkommen Unwissenden ist geschlechtsspezifisch", schreibt sie, es stehe dafür, dass Frauen oft nicht für voll genommen würden. Doch Rebecca Solnit will nicht einfach dieses "Mansplaining" oberflächlich anprangern – wie der Titel des Buches "Wenn Männer mir die Welt erklären" nahe legt. Denn im Einzelfall kann immer strittig sein, ob ein schief gelaufenes Gespräch tatsächlich an der Arroganz des anderen lag. Allerdings sieht Solnit eine männlich dominierte Gesprächskultur als das "schmale Ende des Keils, der Männern mehr Raum eröffnet und ihn Frauen verschließt". Dieses Machtgefälle zwischen den Geschlechtern offenzulegen, darum geht es ihr in diesen sieben Essays.
Dafür liefert sie eine Vielzahl von Fakten. Eines der stärksten Muster in diesem Gefälle etwa: Physische Gewalt gegen Frauen. Alle neun Sekunden würde in den USA eine Frau geschlagen, 87.000 Frauen pro Jahr vergewaltigt werden. Das Leben von Frauen sei weltweit mehr durch männliche Gewalt bedroht, als durch Krebs, Malaria, Krieg oder Verkehrsunfälle, so das erschütternde Fazit. Aber die Art und Weise, wie öffentlich darüber gesprochen wird, stärkt dieses Klima, kritisiert Rebecca Solnit. Verbrechen an Frauen seien zu einer "Art Hintergrundtapete für die Nachrichten" geworden, ohne das Muster dahinter zu benennen.
Überraschende Perspektivwechsel machen das Buch lesenswert
Dabei wäre schon der bedachte Umgang mit Sprache der erste Schritt für ein anderes Denken. Solnit erzählt, dass in ihrer Studienzeit mehrfach Frauen vergewaltigt wurden, weshalb die Universitätsverwaltung den Studentinnen riet, im Dunkeln den Campus zu meiden. Die Aufregung war groß, als jemand im Gegenzug ein Plakat anbrachte: "Nach Einbruch der Dunkelheit sollten Männer Campusverbot haben." So kann man es auch sehen!
Solcherart überraschende Perspektivwechsel machen Solnits Essays absolut lesenswert. Man merkt, wie man sich an Denkweisen gewöhnt hat, die Frauen ganz selbstverständlich defensiv halten – ob in der Ehe, im öffentlichen Raum oder eben im "höflichen Diskurs". Hinter letzterem stehe aber ein "Kontinuum, das von geringfügigeren gesellschaftlichen Missständen bis zum gewaltsamen Zum-Schweigen-Bringen und zu gewaltsamem Tod reicht", mahnt die Feministin. Deshalb, so ihr wichtiges Plädoyer, sollten Frauen der "Verlockung zu Schweigen" niemals erlegen – nicht mal im eigentlich harmlosen Gespräch.

Rebecca Solnit: "Wenn Männer mir die Welt erklären"
Aus dem amerikanischen Englisch von Kathrin Razum
Hoffmann und Campe, Hamburg 2015
176 Seiten, 16 Euro


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