Peter Godfrey-Smith: "Der Krake, das Meer und die tiefen Ursprünge des Bewusstseins"
Übersetzt aus dem Englischen von Dirk Höfer
Matthes & Seitz, Berlin 2019
296 Seiten, 28 Euro
Der Philosoph und der Krake
06:01 Minuten
Als er beim Tauchen einen Krake sah, hatte Peter Godfrey-Smith das Gefühl, einem Alien zu begegnen. In seinem Buch beschäftigt sich der Philosoph mit den faszinierenden Tieren – und lernt dabei auch etwas über die Evolution des Geistes.
Peter Godfrey-Smith schwimmt vor der Küste Sydneys neben einer bunten Riesensepia, berührt sie und wird von ihren Armen berührt. Eine Begegnung, die tiefen Eindruck auf den australischen Philosophen macht: "Wahrscheinlich werden wir der Erfahrung, einem intelligenten Alien zu begegnen, nie näher kommen."
Das faszinierende Eigenleben der Krakenarme
Kopffüßler sind dem Menschen wahrhaft fremd. Ein Großteil des Nervensystems eines Kraken steckt in seinen Armen, die wiederum selbstständig schmecken, fühlen und handeln. Das Gehirn im Kopf mag so etwas wie der Dirigent sein. "Die Spieler allerdings, die es dirigiert, sind der Improvisation zugeneigte Jazzmusiker", schreibt Peter Godfrey-Smith. Der zentrale Geist schaue also oft einfach nur zu, was die Arme machen.
Rätselhaft ist auch das Farbenspiel der Riesensepien, deren Haut der Philosoph mit einem ständig flackenden Bildschirm vergleicht. Einen ersten Eindruck vermitteln die Farbfotos im Buch. Aber "was haben sie mitzuteilen und wem"? Die Tiere sind nämlich Einzelgänger, so dass dem ganzen Farbenspiel meist keiner zusieht.
Diese Fragen nicht nur aufzuwerfen, sondern sich auch an Antworten zu wagen, das unterscheidet den Ansatz von Peter Godfrey-Smith zu dem anderer Autoren, die sich meist nur an der Faszination "Krake" abarbeiten. Weil Kopffüßler so ganz anders organisiert sind als andere intelligente Tiere, wie Vögel und Säuger, führt es nicht weiter, sich aus menschlicher Perspektive einzufühlen, so der Philosoph. Er nutzt daher als Schlüssel für den Kraken die Evolution und geht zurück zum Urschleim. Eine Abweichung, die später im Buch überraschende Einsichten ermöglicht.
Diese Fragen nicht nur aufzuwerfen, sondern sich auch an Antworten zu wagen, das unterscheidet den Ansatz von Peter Godfrey-Smith zu dem anderer Autoren, die sich meist nur an der Faszination "Krake" abarbeiten. Weil Kopffüßler so ganz anders organisiert sind als andere intelligente Tiere, wie Vögel und Säuger, führt es nicht weiter, sich aus menschlicher Perspektive einzufühlen, so der Philosoph. Er nutzt daher als Schlüssel für den Kraken die Evolution und geht zurück zum Urschleim. Eine Abweichung, die später im Buch überraschende Einsichten ermöglicht.
Intelligent, neugierig und verspielt
Kopffüßler gehören zur Gruppe der Weichtiere, wie Muscheln oder Schnecken, die nicht unbedingt als intelligent gelten. Ihre vielen Besonderheiten haben Kraken letztlich der "Jahrmillionen zurückliegenden Preisgabe der Schalen zu verdanken", so Godfrey-Smith. Ihre Körper erhielten eine fast unbeschränkte Freiheit der Form, die sich nur durch ein großes Nervensystem kontrollieren ließ. So entstand "eine Art geistiger Überschuss", der Kraken intelligent, neugierig und spielerisch werden ließ.
Ohne Schale waren Kopffüßler verwundbar und entwickelten sich so zu Meistern der Tarnung. Auch hier ergibt sich ein Mehrwert, ein "fortwährendes chromatisches Geplapper" des Nervensystems. Der Verlust der Schale ist schließlich auch der Grund für das kurze Leben der Kopffüßler. Trotz ihrer Klugheit und Pracht werden sie meist nicht älter als zwei Jahre. "Unfair" im Vergleich zu einem stumpfsinnigen Fisch, der auf demselben Riff 200 Jahre lebt, aber so sind eben die Regeln der Evolution.
Evolution des Geistes
Es gibt einige Bücher über Kraken und Sepien. Die meisten berichten vor allem Anekdoten, im Grunde Fun-Facts aus einer fremden Welt. Auch Peter Godfrey-Smith erzählt natürlich von seinen Erlebnissen unter Wasser, von Octopolis, wo Kraken leben, von Sepien mit ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten. Aber er geht weiter, nutzt die Tiere, um an ihnen die Rahmenbedingungen einer Evolution des Geistes abzustecken.
Im Spiegel des Kraken lernt man so auch etwas über sich selbst. Und so wirken die Tiere am Ende doch nicht als völlig fremde Aliens. Schließlich reichen auch die Wurzeln des menschlichen Geistes tief zurück bis in den Ozean. Ein kluges und bereicherndes Buch.