Sachbuch

Warum Bürger und Staat sich weiter klimaschädlich verhalten

Ein Braunkohlekraftwerk in Jänschwalde (Brandenburg)
Felix Ekardt stößt eine moralisch-ethische Diskussion der Energiewende an. © dpa / picture-alliance / Patrick Pleul
Von Johannes Kaiser |
Alle bisherigen Anstrengungen, den Klimawandel zu stoppen, sind unzureichend, beklagt Felix Ekardt. Sein Handbuch "Jahrhundertaufgabe Energiewende" ist eine schonungslose Abrechnung mit der deutschen Klimapolitik.
Gleiches Recht für alle: Jeder Mensch auf der Welt darf 1,5 Tonnen Kohlendioxidemission im Jahr verursachen. Damit ließe sich der Klimawandel wahrscheinlich noch aufhalten. Aber allein die Industrienationen verursachen mehr als das Fünffache. Ein untragbarer und höchst ungerechter Zustand nicht nur gegenüber den Entwicklungsländern, findet Felix Ekardt. Der Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik hat deshalb jetzt ein Handbuch verfasst, in dem es vor allem um die gesellschaftliche Verantwortung der Energiewende geht.
Denn sollten die Menschen in den Industrienationen weiter so wie bisher leben, schädigen sie das Klima irreversibel. Und so gilt vor allem für sie, dass sie ihren Kohlendioxidausstoß drastisch reduzieren müssen. Zumal fast alle ihrer bisherigen Anstrengungen, so belegt Ekardt anhand zahlreicher Beispiele, unzureichend sind. So wird zum Beispiel die Bundesregierung ihr selbstgewähltes Ziel nicht einhalten, die deutschen CO2 Emissionen bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren, falls sie weiterhin am Kohleabbau festhält.
Sein Buch, sachkundig, leicht verständlich, gut gegliedert, wird so auch zur schonungslosen Abrechnung mit der bundesdeutschen Klimapolitik:
"Wir sind nicht die großen Vorreiter, als die wir uns zuweilen wahrnehmen",
schreibt er. Es werde oft unterschlagen, dass der Zusammenbruch der DDR-Industrie gut die Hälfte der seit 1990 erreichten fünfundzwanzigprozentigen Emissionsreduktion ausmache. Und die Emissionsbilanz schöne, dass die dreckige Produktion von Rohstoffen in Drittländer ausgelagert werde.
Felix Ekardt wirft Politikern zudem vor, nur auf den Stromsektor zu achten, jedoch Energieeffizienz und Wärmedämmung stark zu vernachlässigen, obwohl gerade dort erhebliche CO2 Emissionen anfallen.
Die Emissionszertifikate sind zu billig
Der Autor schlägt ein neues europaweites CO2 Einsparmodell vor. Das könnte die offenkundigen Schwächen des derzeitigen Emissionshandels mit extrem niedrigen Preisen für Emissionszertifikate beseitigen. Nicht die Emissionen, sondern der Verbrauch der fossilen Brennstoffe sollte gedeckelt und Jahr für Jahr gesenkt werden. Ergebnis dieses Vorschlags: Je knapper die Energieträger werden, desto stärker steigen die Brennstoffpreise, desto lohnender sind Einsparmaßnahmen oder erneuerbare Energien. Steigende Preise würden dann auch zu Verhaltensänderungen bei Bürgern und Unternehmen führen. Mit den Einnahmen sollten dann erneuerbare Energieprojekte in den Entwicklungsländern gefördert werden.
Ausführlich diskutiert Ekardt, warum Bürger wie Staat sich weiterhin klimaschädlich verhalten, obwohl sie selbst Klimaschutz fordern. Wichtig wären echte Vorbilder aus Politik, Sport, Kultur, die nachhaltiges Leben vorleben, sowie eine neue Klimaerziehung.
Die Energiewende ist für ihn eine Frage der Gerechtigkeit. Niemand darf auf Kosten anderer leben. Genau das passiert aber. Felix Ekardt stößt eine moralisch-ethische Diskussion der Energiewende an, die längst überfällig ist.

Felix Ekardt: "Jahrhundertaufgabe Energiewende – Ein Handbuch"
Ch. Links Verlag, Berlin 2014
190 Seiten, 16,90 Euro

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