Sachbuch

Zeichen der Wahrheit

"Vernehmung! Nicht stören!" steht am 10.01.2014 auf einem Schild an einer Tür der Kriminalpolizeiinspektion Rostock
Verhörspezialisten am Werk - Fehlgeständnisse sind in der Justiz allerdings keine Seltenheit. © picture alliance / ZB / Bernd Wüstneck
Von Susanne Billig |
Einen packenden Blick hinter die Kulissen der Kriminalpsychologie gestattet uns Christiane Gelitz, selbst Psychologin und Wissenschaftsjournalistin. Es geht um Verhörtaktiken bis hin zu Erklärungen von Gewalt.
Es ist eine dunkle Nacht im New Yorker Central Park: Eine Börsenmaklerin wird beim Joggen zusammengeschlagen und vergewaltigt. Kurz darauf verhaftet die Polizei fünf Teenager, die im Park unterwegs sind. Allerdings finden sich am Tatort keine Spuren, deshalb übernehmen Verhörspezialisten die Ermittlung - bis die Jugendlichen gestehen.
Das neue Buch "Profiler & Co“, herausgegeben von der Psychologin und Wissenschaftsjournalistin Christiane Gelitz, wirft einen packenden Blick hinter die Kulissen der Kriminalpsychologie. Rund 20 Aufsätze, geschrieben von Fachautorinnen und -autoren aus den unterschiedlichsten Disziplinen, gliedern das Themengebiet facettenreich auf: Wie sehen die besten Verhörtaktiken aus? Warum zeigen sich Männer und Frauen unterschiedlich gewaltbereit? Was bringt normale Bürger dazu, Steuern in erheblichen Höhen zu hinterziehen? Macht Pornografie aggressiv? Kann man mit Hilfe der Computertomografie besondere Strukturen im Gehirn von Pädophilen oder Mördern identifizieren?
Kriminalpsychologische Aufklärungsarbeit bedeutet auch, sich mit ausgesprochen politischen Themen zu befassen, zum Beispiel der Frage, welche Umstände aus unbescholtenen jungen Männern mordende und brandschatzende Kriegsverbrecher machen.
Von der Lust an der Gewalt
In ihrem Aufsatz "Der Krieger in uns“ offenbaren Roland Weierstall, Maggie Schauer und Thomas Elbert eine unangenehme Wahrheit: Menschen werden nicht nur dann aggressiv, wenn sie drohende Gefahren abwehren - auch die Lust an Gewalt ist ihnen eigen, wie psychologische Studien zeigen. Diese "appetitive Aggression“ wird umso attraktiver, je trister das Leben eines Menschen sich anfühlt. Junge Männer oder gar Kinder unter militärischem Drill sind dafür prädestiniert. Gleichzeitig schützt solche Gewaltlust aber auch davor, in gewalttätigen Konflikten eine posttraumatische Belastungsstörung zu erleiden. Je aggressiver, desto seelisch gesünder kehren Soldaten aus dem Krieg zurück.
Auch die kritische Reflexion polizeilicher Macht stellt eine wichtige Dimension kriminalpsychologischer Arbeit dar, denn Fehlurteile und Fehlgeständnisse sind in der Justiz keine Seltenheit. In ihrem hoch interessanten Aufsatz "Die 19 Zeichen der Wahrheit“ analysiert Herausgeberin Christiane Gelitz, welche "Realkennzeichen“ für die Glaubhaftigkeit von Aussagen bürgen. Während Lügner ihre Geschichten hermetisch gegen kritische Fragen abzudichten versuchen, zeigen sich wahrhaftige Zeugen häufig verwirrt. Sie springen im Ablauf der Ereignisse hin und her, malen unwesentliche Details aus, schildern viele eigene Gefühle und geben Erinnerungslücken freiheraus zu.
Alles das macht den ehrlichen Zeugen angreifbar - und zum Opfer einer überambitionierten Kriminalpsychologie, auch davon berichtet das Buch: 13 Jahre, nachdem die New Yorker Teenager hinter Gitter gewandert waren, stellte sich der wahre Täter der Polizei. Unter dem Druck der Öffentlichkeit und durch suggestive Verhörmethoden wurden die Jugendlichen so sehr in die Enge getrieben, dass sie eine Tat gestanden, die sie in Wirklichkeit nie begangen hatten.

Christiane Gelitz (Hg.): Profiler & Co - Kriminalpsychologen auf den Spuren des Verbrechens
Schattauer Verlag, Stuttgart 2013
176 Seiten, 19,99 Euro