Deutschlandfunk Kultur, ZDF und "Die Zeit" präsentieren gemeinsam die stärksten Sachbücher des Monats. Gekürt werden die Titel von einer Jury aus 30 Kritikerinnen und Kritikern.
1 (-) Christine M. Korsgaard: "Tiere wie wir: Warum wir moralische Pflichten gegenüber Tieren haben"
Aus dem Englischen von Stefan Lorenzer
C. H. Beck, München 2021
346 Seiten, 29,95 Euro
Christine M. Korsgaard,:"Tiere wie wir: Warum wir moralische Pflichten gegenüber Tieren haben"© Deutschlandradio / C. H. Beck
Hat das Leben eines Tieres denselben Wert wie das eines Menschen? Ja, sagt Christine M. Korsgaard. Die Kant-Expertin aus Harvard argumentiert mit dessen Moralphilosophie, warum Tiere weder benutzt noch gegessen werden dürfen. Als bewusste Wesen seien sie "Zweck an sich selbst". Eine der radikalsten Streitschriften seit Peter Singers "Animal Liberation". 71 Punkte
2 (-) Bénédicte Savoy: "Afrikas Kampf um seine Kunst: Geschichte einer postkolonialen Niederlage"
C. H. Beck, München 2021
256 Seiten, 24 Euro
Bénédicte Savoy: "Afrikas Kampf um seine Kunst: Geschichte einer postkolonialen Niederlage"© Deutschlandradio / C. H. Beck
Gebt koloniale Raubkunst zurück! Diese Forderung vernahm man zuletzt häufiger von Bénédicte Savoy. In ihrem neuen Buch zeigt die in Berlin lebende Kunsthistorikerin nun, dass ihr Kampf ein alter ist. Schon in den 1960er-Jahren drängten die neugegründeten Staaten Afrikas auf eine Rückführung – erfolglos. Die Argumente der Gegner von damals ähneln dabei denen von heute auf frappierende Weise. 67 Punkte
3 (-) Jia Tolentino: "Trick Mirror: Über das inszenierte Ich"
Aus dem Englischen von Margarita Ruppel
S. Fischer, Frankfurt am Main 2021
368 Seiten, 22 Euro
Jia Tolentino: "Trick Mirror: Über das inszenierte Ich"© Deutschlandradio / S. Fischer
Sie sei die "Susan Sontag der Millennials", schrieb die "Washington Post": Als "Trick Mirror" 2019 erstmals erschien, wurde Jia Tolentino in den USA zur Stimme ihrer Generation erklärt. Jetzt gibt es das Buch der heute 32-Jährigen erstmals auch auf Deutsch. In neun pointierten und wortgewandten Essays geht es vor allem um die beiden großen Themen dieser Zeit: Internet und Feminismus. 47 Punkte
4 (1) Caroline Fourest: "Generation Beleidigt: Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei"
Aus dem Französischen von Alexander Carstiuc, Mark Feldon, Christoph Hesse
Edition Tiamat, Berlin 2020
144 Seiten, 18 Euro
Caroline Fourest: "Generation Beleidigt: Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei"© Deutschlandradio / Edition Tiamat
Sie wollen Dostojewski aus der Lektüreliste verbannen und kein Sushi essen, das von Weißen zubereitet wurde: Über den identitätspolitischen Aktivismus an US-Universitäten ist schon viel geschrieben worden. Die Autorin Caroline Fourest erklärt, wie es so weit kommen konnte. Und plädiert aus linker Perspektive für die freie Rede: Das Seminar solle zum "Safe Space" der kontroversen Debatte werden. 46 Punkte
5 (-) Meike Stoverock: "Female Choice. Vom Anfang und Ende der männlichen Zivilisation"
Tropen-Sachbuch, Stuttgart 2021
352 Seiten, 22 Euro
Meike Stoverock: "Female Choice. Vom Anfang und Ende der männlichen Zivilisation"© Deutschlandradio / Tropen Sachbuch
Wie lässt sich die Ungleichheit der Geschlechter überwinden? Indem wir zurück zu unseren biologischen Wurzen finden, glaubt die Bloggerin Meike Stoverock. Im Tierreich ist es statistischer Normalfall, dass sich Männchen für den Geschlechtsakt bewerben müssen. Auch bei den Menschen hatte die Frau einst die Hoheit über den Sex – bis die Männer ihre eigene Zivilisation schufen. Die könnte nun enden. 40 Punkte
6 (-) Gabriele von Arnim: "Das Leben ist ein vorübergehender Zustand"
Rowohlt, Hamburg 2021
240 Seiten, 22 Euro
Gabriele von Arnim: "Das Leben ist ein vorübergehender Zustand"© Deutschlandradio / Rowohlt
"Wie geplatzte Knallerbsen" seien seine Worte herumgelegen – und keiner konnte sie aufsammeln. Die Journalistin Gabriele von Arnim erzählt vom Leben mit ihrem Ehemann, der binnen weniger Tage zwei Schlaganfälle erlitten hatte. Er konnte nicht lesen, nicht schreiben – und sich vor allem nicht mehr richtig artikulieren. Über Liebe jenseits von Worten. 36 Punkte
Anne Applebaum: "Die Verlockung des Autoritären. Warum antidemokratische Herrschaft so populär geworden ist"© Deutschlandradio/Siedler
Polen 1999: Anne Applebaum und ihr Ehemann, der liberale Politiker Radosław Sikorski feiern Silvester, es kommen Vertreter aller Lager. Heute würden viele der Gäste keinen Fuß mehr über ihre Schwelle setzen, mutmaßt Applebaum. Wie viele in Europa sind sie aus Sicht der Historikerin der Verlockung des Autoritarismus erlegen. Was macht dessen Reiz aus? Ein Streifzug durch einen gespaltenen Kontinent. 31 Punkte
8 (-) Mai Thi Nguyen-Kim: "Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit: Wahr, falsch, plausibel - die größten Streitfragen"
Droemer, München 2021
368 Seiten, 20 Euro
Mai Thi Nguyen-Kim: "Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit: Wahr, falsch, plausibel - die größten Streitfragen"© Deutschlandradio / Droemer
Spätestens seit ihrem millionenfach geklickten Youtube-Video über das Coronavirus gilt Mai Thi Nguyen-Kim als die junge Stimme der Wissenschaft. In ihrem neuen Buch geht es um alles, worüber wir uns gerne streiten: Klimawandel, Gender Pay Gap und Drogenlegalisierung. Doch was ist bloße Meinung – und was unbestreitbarer Fakt? Leichtfüßig bringt Mai Thi Licht ins Dunkel des postfaktischen Diskurses. 28 Punkte
9 (-) Benno Gammerl: "anders fühlen: Schwules und lesbisches Leben in der Bundesrepublik. Eine Emotionsgeschichte"
Hanser, München 2021
474 Seiten, 25 Euro
Benno Gammerl: "anders fühlen: Schwules und lesbisches Leben in der Bundesrepublik. Eine Emotionsgeschichte" © Deutschlandradio / Hanser
Bis 1969 stand sie unter Strafe, dann führte die Aids-Pandemie in den 1980er-Jahren zu einer erneuten Stigmatisierung: Gleichgeschlechtliche Liebe hat es in der deutschen Geschichte auch nach 1945 nicht leicht gehabt. Der Historiker Benno Gammerl lässt Betroffene aller Generationen erzählen. Das erste vollständige Überblickswerk homosexuellen Lebens in der Bundesrepublik. 26 Punkte
10 (-) Julia Friedrichs: "Working Class. Warum wir Arbeit brauchen, von der wir leben können"
Berlin Verlag, Berlin/München 2021
320 Seiten, 22 Euro
Julia Friedrichs' "Working Class - Warum wir Arbeit brauchen, von der wir leben können"© Deutschlandradio / Berlin Verlag
"Die Kinder werden es einmal besser haben als wir." Das Versprechen eines fortwährenden Wohlstandzuwachses scheint erstmals seit vielen Jahrzehnten nicht mehr gültig. Die Hälfte der unter 45-Jährigen fürchten, im Alter arm zu sein. Die Journalistin Julia Friedrichs begibt sich auf eine Spurensuche, warum vor allem Dienstleistungsjobs immer prekärer werden. 25 Punkte
10 (-) Karl-Ludwig Kley, Thomas de Maizière: "Die Kunst des guten Führens"
Herder, Freiburg 2021
288 Seiten, 25 Euro
Karl-Ludwig Kley, Thomas de Maizière: "Die Kunst des guten Führens"© Deutschlandradio / Herder
Ex-Innenminister Thomas de Maizière und der Aufsichtsratsvorsitzende von Lufthansa und Eon, Karl-Ludwig Kley, sind gute Freunde. Das liegt vielleicht auch daran, dass sie eine gemeinsame Erfahrung teilen: Sie müssten beruflich Führung übernehmen. In ihrem Buch zeigen sie, wo die Gemeinsamkeiten politischen und wirtschaftlichen Führens liegen – und wo die Unterschiede. 25 Punkte
10 (-) Sören Urbansky: "An den Ufern des Amur: Die vergessene Welt zwischen China und Russland"
C. H. Beck, München 2021
375 Seiten, 26 Euro
Sören Urbansky: "An den Ufern des Amur. Die vergessene Welt zwischen China und Russland" © Deutschlandradio / C. H. Beck
Entlang des "Schwarzen Drachens" stehen über 2000 Kilometer zwei Imperien Rücken an Rücken: Der Fluss Amur trennt China und Russland voneinander. Mit Bus und Bahn folgt der Historiker Sören Urbansky seinem Lauf. Dabei reist er durch entvölkerte russische Landstriche und boomende chinesische Metropolen. Ein Einblick in die tektonischen Verschiebungen zwischen zwei Großmächten. 25 Punkte
So funktioniert die Abstimmung:
Jedes Jurymitglied vergibt an vier Sachbücher je einmal 15, 10, 6 und 3 Punkte.
Die Jury der Sachbuch-Bestenliste:
René Aguigah (Deutschlandfunk Kultur)
Peter Arens (ZDF)
Susanne Billig (Deutschlandfunk Kultur)
Ralph Bollmann (FAS)
Stefan Brauburger (ZDF)
Alexander Cammann (DIE ZEIT)
Gregor Dotzauer (Der Tagesspiegel)
Heike Faller (DIE ZEIT)
Daniel Fiedler (ZDF)
Jenny Friedrich-Freksa (Kulturaustausch)
Manuel J. Hartung (DIE ZEIT)
Thorsten Jantschek (Deutschlandfunk Kultur)
Kim Kindermann (Deutschlandfunk Kultur)
Inge Kutter (DIE ZEIT)
Hannah Lühmann (DIE WELT)
Ijoma Mangold (DIE ZEIT)
Susanne Mayer (DIE ZEIT)
Tania Martini (taz)
Catherine Newmark (Deutschlandfunk Kultur)
Jutta Person (freie Literaturkritikerin)
Bettina von Pfeil (ZDF)
Jens-Christian Rabe (Süddeutsche Zeitung)
Christian Rabhansl (Deutschlandfunk Kultur)
Anne Reidt (ZDF)
Anna Riek (ZDF)
Stephan Schlak (Zeitschrift für Ideengeschichte)
Hilal Sezgin (freie Autorin)
Catrin Stövesand (Deutschlandfunk)
Elisabeth von Thadden (DIE ZEIT)
Julia Voss (Leuphana-Uni Lüneburg)