Deutschlandfunk Kultur, ZDF und "Die Zeit" präsentieren gemeinsam die stärksten Sachbücher des Monats. Gekürt werden die Titel von einer Jury aus 30 Kritikerinnnen und Kritikern.
1 (-) Ian Morris: "Beute, Ernte, Öl"
Aus dem Englischen von J. Neubauer;
DVA, 2020
432 Seiten, 26 Euro
Ein Buch über Energiequellen und ihre Folgen.© DVA / Deutschlandradio
Der britische Archäologe Ian Morris zeichnet in seinem Buch das ganz große Bild: die Entwicklung der Menschheit in drei Stufen. Er stellt dar, dass die Art der Energiegewinnung auch die soziale Moral bestimmt. Gesellschaften der »Jäger und Sammler« würden egalitär handeln, während in modernen, fossilen Gesellschaften Toleranz, aber auch ungleiche Verteilung von Ressourcen vorherrschten. Das Ergebnis: der Kampf ums Öl. 46 Punkte
1 (-) Brendan Simms: "Hitler"
Aus dem Englischen von K.-D. Schmidt;
DVA, 2020
1056 Seiten, 44 Euro
"Hitler: Eine globale Biographie" von Brendan Simms© Deutsche Verlags-Anstalt
Brendan Simms ist Professor für Geschichte an der Universität Cambridge und legt eine neuartige Biografie über Adolf Hitler vor. In seiner Studie vertritt er eine neue These: Hitlers Denken richtete sich nicht etwa, wie allgemein angenommen, vorrangig gegen den "Bolschewismus", sondern gegen "Anglo-Amerika". So zeigt sich: Hitlers globaler Expansionskrieg war vor allem ein Angriff auf das angloamerikanische Lebensmodell. 46 Punkte
3 (-) Bettina Hitzer: "Krebs fühlen"
Klett-Cotta, 2020
540 Seiten, 28 Euro
Emotionsgeschichte, ausgezeichnet mit dem Leipziger Buchpreis.© Deutschlandradio / Klett-Cotta
Angst, Ekel, Aufklärung, das Verlorengehen in Apparaturen und aggressiven Therapieverfahren – mit der Krankheit Krebs ist eine komplexe Geschichte der Emotionen verbunden. Die Historikerin Bettina Hitzer erzählt, wie sich der Umgang mit der Diagnose im 20. Jahrhundert verändert hat. Heute dominiert vor allem die Hoffnung, die Krankheit überwinden zu können und sich als Mensch neu zu finden. 43 Punkte
4 (-) Christina Clemm: "AktenEinsicht"
Kunstmann, 2020
206 Seite, 20 Euro
"AktenEinsicht: Geschichten von Frauen und Gewalt" von Christina Clemm.© Verlag Antje Kunstmann GmbH
Jede dritte Frau wird zum Gewaltopfer. Gewalt gegen Frauen ist ein alltägliches Phänomen, auch wenn es nur selten in die Öffentlichkeit gerät. Die Strafrechtsanwältin Christina Clemm erzählt Geschichten von Frauen, die körperliche und sexualisierte Gewalt erlebt haben. Dabei schildert sie nicht nur Fallbeispiele, sondern gibt auch Einblicke in die Arbeit von Justiz und Polizei. Eine wichtige Studie gegen das Schweigen. 42 Punkte
5 (3) Kübra Gümüşay: "Sprache und Sein"
Hanser Berlin, 2020
208 Seiten, 18 Euro
Kübra Gümüşay schreibt über die Suche nach Sprache.© Hanser / Deutschlandradio
Wie kann man sprechen, ohne in Klischees zu verfallen? Welche Kategorien gibt es, die Menschen nicht in Schubladen stecken? Darüber schreibt die Journalistin Kübra Gümüşay. Sie sucht eine Sprache, die gemeinschaftliches Denken zulässt, ohne Differenzen zu kaschieren. Ein Pamphlet für eine Gesellschaft, deren Mitglieder trotz wachsender Unterschiede miteinander reden können. 39 Punkte
6 (1) Delphine Horvilleur: "Überlegungen zur Frage des Antisemitismus"
Aus dem Französischen von N. Denis
Hanser Berlin, 2020
160 Seiten, 18 Euro
Rabbinerin Delphine Horvilleur diskutiert unter anderem moderne jüdische Identitätspoliti© Coverabbildung: Hanser-Verlag
Was heißt es, jüdisch zu sein? Und wer bestimmt darüber? Die französische Rabbinerin Delphine Horvilleur ist eine prominente Stimme des liberalen Judentums. In ihrem Essay diskutiert sie moderne jüdische Identitätspolitik, beleuchtet die Verquickungen zwischen Judenhass und Frauenfeindlichkeit und spannt dabei den Bogen vom Talmud bis zur politischen Gegenwart. Ein weitsichtiges Buch. 35 Punkte
7 (6) Eva Weissweiler: "Das Echo deiner Frage"
Hoffmann und Campe, 2020
368 Seiten, 24 Euro
Über Dora und Walter Benjamin.© Hoffmann & Campe / Deutschlandradio
Dora Benjamin war die Frau von Walter Benjamin, aber vor allem war sie eine Intellektuelle: Sie schrieb über Musik und Philosophie und verfasste Romane. Eva Weissweiler hat die Beziehungsgeschichte zwischen Dora und Walter untersucht. Ihre Biografie wirkt wie Serienstoff: Zuneigung, Affären, das erste Kind, schließlich die Scheidung – und überall stets der rigorose Eigenbrötler Walter Benjamin. 31 Punkte
8 (-) Jens Malte Fischer: "Karl Kraus"
Zsolnay, 2020
1104 Seiten, 45 Euro
Im Alter von 25 Jahren gründet er "Die Fackel"; die "Letzten Tage der Menschheit" werden zur radikalen Abrechnung mit dem Weltkrieg; die "Dritte Walpurgisnacht" stemmt sich gegen Hitler: Karl Kraus’ Werke sind legendär. Doch was haben sie uns heute noch zu sagen? Jens Malte Fischer holt den Satiriker und sein Werk mit seiner großen Biografie in die Gegenwart. 30 Punkte
"Karl Kraus: Der Widersprecher" von Jens Malte Fischer © Paul Zsolnay Verlag
8 (-) Eileen Crist: "Schöpfung ohne Krone"
Aus dem Englischen von J. Hagestedt, K. Hald, F. Pflüger
Oekom, 2020
336 Seiten, 28 Euro
Wale, Bisonherden oder dichte Urwälder: Sie alle sind vom Aussterben bedroht. Die wilde Vielfalt ist einer vom Menschen kolonialisierten Landschaft gewichen, die nur unseren Konsumwünschen entsprechen soll. Eileen Crist analysiert, wie es so weit kommen konnte. Zugleich zeichnet die Soziologin den Weg in eine neue Zivilisation, die ihrer Mitwelt wieder Platz einräumt. Ein eindringlicher Appell zum Handeln. 30 Punkte
„Schöpfung ohne Krone“ von Eileen Crist© Oekom
10 (-) Hubertus Butin: "Kunstfälschung"
Suhrkamp, 2020
476 Seiten, 28 Euro
Fälschungen sind eine Herausforderung im Kulturbetrieb, erklärt Hubertus Butin. © Suhrkamp
Kunstfälschungen haben Hochkonjunktur. Für den globalisierten Kunstbetrieb sind sie allerdings zur Herausforderung geworden. Massenhafte Fälschungen erzeugen nicht nur erheblichen finanziellen Schaden, sie führen auch Museen und die Forschung auf peinliche Irrwege. Der Kunsthistoriker Hubertus Butin zeigt mit Blick auf sagenhafte Fallbeispiele, dass sich das Phänomen nicht auf einzelne Straftäter reduzieren lässt. 25 Punkte
10 (-) Michael Hampe: "Die Wildnis, die Seele, das Nichts"
Hanser, 2020
304 Seiten, 26 Euro
"Die Wildnis, die Seele, das Nichts" von Michael Hampe© Hanser
Wo findet das wirkliche Leben statt? Muss man den Rückzug suchen in die unberührte Natur? Oder nach der Unsterblichkeit greifen? Diese Fragen verknüpft Michael Hampe in einer Reflexion, die auch eine Erzählung sein könnte. Hampes Text hilft zu erkennen, wie uns die Unterscheidung zwischen Schein und Wirklichkeit daran hindert, mit unserem Leben wirklich klarzukommen. 25 Punkte
Jedes Jury-Mitglied der Sachbuch-Bestenliste vergibt monatlich an vier Sachbücher je einmal 15, 10, 6 und 3 Punkte.
Die Jury der Sachbuch-Bestenliste:
René Aguigah (Deutschlandfunk Kultur)
Peter Arens (ZDF)
Susanne Billig (Deutschlandfunk Kultur)
Ralph Bollmann (FAS)
Stefan Brauburger (ZDF)
Alexander Cammann (DIE ZEIT)
Gregor Dotzauer (Der Tagesspiegel)
Heike Faller (DIE ZEIT)
Daniel Fiedler (ZDF)
Jenny Friedrich-Freksa (Kulturaustausch)
Manuel J. Hartung (DIE ZEIT)
Thorsten Jantschek (Deutschlandfunk Kultur)
Kim Kindermann (Deutschlandfunk Kultur)
Inge Kutter (DIE ZEIT)
Hannah Lühmann (DIE WELT)
Ijoma Mangold (DIE ZEIT)
Susanne Mayer (DIE ZEIT)
Tania Martini (taz)
Catherine Newmark (Deutschlandfunk Kultur)
Jutta Person (freie Literaturkritikerin)
Bettina von Pfeil (ZDF)
Jens-Christian Rabe (Süddeutsche Zeitung)
Christian Rabhansl (Deutschlandfunk Kultur)
Anne Reidt (ZDF)
Anna Riek (ZDF)
Stephan Schlak (Zeitschrift für Ideengeschichte)
Hilal Sezgin (freie Autorin)
Catrin Stövesand (Deutschlandfunk)
Elisabeth von Thadden (DIE ZEIT)
Julia Voss (Leuphana-Uni Lüneburg)