Deutschlandfunk Kultur, ZDF und "Die Zeit" präsentieren gemeinsam die stärksten Sachbücher des Monats. Gekürt werden die Titel von einer Jury aus 30 Kritikerinnnen und Kritikern.
1 (-) Stephen Holmes/Ivan Krastev: "Das Licht, das erlosch"
Aus dem Englischen von Karin Schuler
Ullstein; 368 Seiten, 26 Euro
Ivan Krastev und Stephen Holmes rechnen mit dem Osten ab. Oder vielmehr mit denen, die dort die Demokratie gefährden: Putin, Orbán, Kaczynski und Trump.© Ullstein
Nach dem Fall der Mauer hieß es, Osteuropa werde die Werte der westlichen Demokratien übernehmen. Doch es kam anders: Der Osten geht seinen eigenen Weg. Stephen Holmes und Ivan Krastev zeigen die Gründe für die Krise der östlichen Demokratien, diskutieren Minderwertigkeitsgefühle und Ängste vor Identitätsverlust und erarbeiten ein neues Verständnis für die Krisen der liberalen Ordnung. 94 Punkte
2 (2) Jens Bisky: "Berlin"
Rowohlt Berlin; 976 Seiten, 38 Euro
Über Berlin war eigentlich schon alles gesagt - bis Jens Bisky © Rowohlt Berlin
Dem Journalisten
Jens Bisky gelingt das Unmögliche: der meistbesprochenen Stadt in Deutschland neue Facetten abzuringen. Sein Berlin-Buch beginnt im 17. Jahrhundert, als die Stadt zu neuer Größe aufsteigt, sich mit Rom und Paris messen will. Bisky porträtiert eine Metropole der Widersprüche: Ort der Macht, der Teilung, der Repression und zugleich des Widerstands und des ewigen Experiments.
42 Punkte
3 (3) Julia Ebner: "Radikalisierungsmaschinen"
Aus dem Englischen von K. Riesselmann
Suhrkamp/Nova; 334 Seiten, 18 Euro
Buchcover "Radikalisierungsmaschinen" von Julia Ebner© Suhrkamp Verlag
Julia Ebner tut etwas, wovon andere Extremismusforscher nur träumen: Sie schleust sich in radikale Gruppierungen ein, ohne entdeckt zu werden. Sie beobachtet, wie Terroristen Anschläge, Wahlmanipulationen und Fake-News planen, vor allem mit digitalen Hilfsmitteln. Ihr Buch ist das Resultat einer gefährlichen Feldforschung und eine Analyse des digitalen Terrorismus: präzise und erschreckend. 40 Punkte
4 (-) Naomi Klein: "Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann"
Hoffmann und Campe; 352 Seiten, 24 Euro
Was in den 20er-Jahren mit dem New Deal möglich war, könnte laut Naomi Klein auch heutzutage funktionieren: Eine sozial- und klimagerechte Transformation der Gesellschaft.© Hoffmann und Campe / Deutschlandradio
Die kanadische Aktivistin Naomi Klein fordert in ihrem neuen Buch stimmgewaltig eine politische Wende um 180 Grad. Nur ein
Green New Deal, der Umwelt- und Sozialpolitik gleichzeitig anspricht, kann den Planeten noch retten. Klein ist radikal und macht daraus keinen Hehl: Eine CO2-Steuer ist ihr nicht genug. Sie plädiert für Konsumverzicht, härtere Lohnsteuern und eine radikale linke Sozialpolitik.
30 Punkte
4 (-) Reinhart Koselleck, Carl Schmitt: "Der Briefwechsel: 1953–1983"
Suhrkamp; 500 Seiten, 42 Euro
Staatsrechtler trifft Historiker: Im Briefwechsel kommentieren Reinhart Koselleck und Carl Schmitt 30 Jahre deutsche Geschichte.© Suhrkamp Verlag
Drei Jahrzehnte lang schrieben sich der Staatsrechtler Carl Schmitt und der Historiker Reinhart Koselleck Briefe. So verschieden die beiden Intellektuellen auch waren: Sie verbanden philosophische Interessen und historische Fragen. Der Briefwechsel offenbart Schmitts randständige Stellung nach 1945, Kosellecks Uni-Karriere in der Bundesrepublik und beider Blick auf die politischen Entwicklungen ihrer Epoche. 30 Punkte
4 (6) Peter Trawny: "Philosophie der Liebe"
S. Fischer; 272 Seiten, 22 Euro
Es gibt viele Formen der Liebe. Peter Trawny erklärt sie kurz und bündig.© S. Fischer
Liebe macht wahnsinnig, krank und wirr, zugleich ist sie Treibstoff für Versöhnung und Frieden. Wer kann die Liebe fassen? Peter Trawny hat es versucht und zeigt die Liebe in all ihren Facetten: als Gottesliebe, Nächstenliebe, große Liebe, aber auch als Hassliebe. Außerdem stellt der Wuppertaler Philosoph fest, dass die Sehnsucht nach romantischer Liebe immer noch lebt – trotz Online-Dating und Kapitalismus. 30 Punkte
7 (-) Andreas Reckwitz: "Das Ende der Illusionen"
Suhrkamp; 305 Seiten, 18 Euro
Wohin entwickelt sich die Gesellschaft? Andreas Reckwitz versucht sich an einer Erklärung.© Suhrkamp Verlag
Nach der wegweisenden Studie "Gesellschaft der Singularitäten" beschäftigt sich Andreas Reckwitz in seiner Essaysammlung mit dem Strukturwandel der Gesellschaft. Der Soziologe seziert die neue Klassengesellschaft, die postindustrielle Ökonomie, die Konflikte um Kultur und Identität und den Imperativ der Selbstverwirklichung, woraus Erschöpfung und Demokratiemüdigkeit entspringen. 28 Punkte
8 (-) Vittorio M. Lampugnani: "Bedeutsame Belanglosigkeiten"
Wagenbach; 192 Seiten, 30 Euro
Stadt ist so viel mehr als Gebäude: Vittorio M. Lampugnani widmet sich den kleinen Dingen, den "bedeutsamen Belanglosigkeiten".© Wagenbach
Der Architekturhistoriker Lampugnani widmet sich den Objekten der Straße: den Brunnen, Baumscheiben, Pollern, Stadtmöbeln – aber auch dem Trottoir, dem Asphalt oder den Kanaldeckeln. Lampugnani hat 22 repräsentative Objekte herausgesucht und erzählt ihren Werdegang: von ihrem ersten Auftreten in der Antike bis heute. Nebenbei zeigt er, was eine Stadt schön, individuell und unverwechselbar macht. 24 Punkte
9 (-) Robert Macfarlane: "Im Unterland"
Aus dem Englischen v. A. Jandl u. F. Sievers
Penguin, 560 Seiten, 24 Euro
Ein Buch über die Welt unter der Grasnarbe: Robert Macfarlanes "Im Unterland".© Penguin Verlag / Deutschlandradio
Der britische Literaturwissenschaftler
Robert Macfarlane nimmt uns mit unter die Erde. Er besucht Höhlenlandschaften in England, schwindende Gletscherwelten in Grönland und abgelegene Stollen für Atomabfälle. Sein Buch ist nicht nur eine kluge Erdbeschreibung, sondern auch das Zeugnis eines Staunenden. Wer es liest, verliert jegliches Verständnis für die Ausbeutung der Natur.
22 Punkte
9 (1) Jill Lepore: "Diese Wahrheiten"
Aus dem Englischen von Werner Roller
C. H. Beck, 1120 Seiten, 39,95 Euro
In ihrem Buch erzählt die Historikerin Jill Lepore die Geschichte der USA von ihren Anfängen bis zur heutigen Krise. Ihrem Blick entgehen weder die Schatten- noch die Sonnenseiten der letzten westlichen Weltmacht: Sklaverei und Ausbeutung, aber auch große Errungenschaften wie politische Gleichheit. Ein Ritt durch die Geschichte, bei dem man das Land in allen seinen Widersprüchen kennenlernt. 22 Punkte