Deutschlandfunk Kultur, ZDF und "Die Zeit" präsentieren gemeinsam die stärksten Sachbücher des Monats. Gekürt werden die Titel von einer Jury aus 30 Kritikerinnen und Kritikern.
1 (8) Heike Behrend: "Menschwerdung eines Affen"
Matthes & Seitz, Berlin 2020
278 Seiten, 25 Euro
Heike Behrend: "Menschwerdung eines Affen"© Deutschlandradio / Matthes & Seitz
Affe, Närrin, Clown, böser Geist, Hexe, Spionin, Kannibale. Die Namen, die die Ethnologin Heike Behrend in Afrika bekommen hat, sind wenig schmeichelhaft. Jetzt betreibt Behrend in ihrer Autobiografie Feldforschung an sich selbst: Was lernen wir über uns, wenn die Konfrontation mit dem Fremden unser eigenes koloniales Selbstverständnis erschüttert? 62 Punkte
2 (-) Jonathan Lear: "Radikale Hoffnung"
Aus dem Englischen von Jens Pier
Suhrkamp, Berlin 2020
235 Seiten, 28 Euro
Jonathan Lear: "Radikale Hoffnung - Ethik im Angesicht kultureller Zerstörung"© Suhrkamp / Deutschlandradio
"Als die Büffelherden verschwanden, fielen die Herzen meiner Leute zu Boden. Danach ist nichts mehr geschehen", sagte einst Plenty Coups, Häuptling des Crow-Stammes. Auf den Niedergang der Indianerkultur Bezug nehmend, entwickelt Jonathan Lear eine Philosophie der Hoffnung: Ein Danach ist selbst dann denkbar, wenn die bekannte Welt zu Ende geht. 53 Punkte
3 (4) Christoph Möllers: "Freiheitsgrade. Elemente einer liberalen politischen Mechanik"
Suhrkamp, Berlin 2020
343 Seiten, 18 Euro
Christoph Möllers: "Freiheitsgrade"© Suhrkamp / Deutschlandradio
Wie erklärt man heute Liberalismus? Der Rechtsphilosoph Christoph Möllers wählt eine Analogie aus der Mechanik: die Freiheitsgrade. Je mehr es von ihnen gibt, desto größer ist das Bewegungsspektrum eines Körpers. Nicht um das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft geht es Möllers, sondern um die Ergebnisoffenheit politischer Prozesse. 49 Punkte
4 (-) Helmut Lethen: "Denn für dieses Leben ist der Mensch nicht schlau genug"
Rowohlt Berlin, Berlin 2020
384 Seiten, 24 Euro
Helmut Lethen: "Denn für dieses Leben ist der Mensch nicht schlau genug"© Rowohlt / Deutschlandradio
Der Literaturwissenschaftler Helmut Lethen ist ein intellektueller Grenzgänger: einst Maoist mit Berufsverbot in Deutschland, später Experte für rechtskonservative Denker wie Carl Schmitt oder Ernst Jünger. In seiner Autobiografie erzählt Lethen auch von seinem Denkweg, dessen Ursprung im Schock über den Holocaust liegt. 40 Punkte
4 (8) Eva von Redecker: "Revolution für das Leben. Philosophie der neuen Protestformen"
S. Fischer, Frankfurt/Main 2020
320 Seiten, 23 Euro
Eva von Redecker: "Revolution für das Leben"© S. Fischer / Deutschlandradio
Aus Sicht der Philosophin Eva von Redecker verbindet die großen Protestbewegungen der Gegenwart allesamt das Ziel, Leben zu retten – gegen einen angeblich lebensfeindlichen Kapitalismus. Rassismus, Klimakatastrophe oder Geschlechterungleichheit ließen sich auf die alte Eigentumsfrage herunterbrechen. Von Redecker hofft darum auf eine Revolution. 40 Punkte
6 (3) Tobias Roth: "Welt der Renaissance"
Galiani, Berlin 2020
640 Seiten, 89 Euro
Tobias Roth: "Welt der Renaissance"© Galiani / Deutschlandradio
Mehrere Jahre saß der Lyriker Tobias Roth an seinem Sammelband über die italienische Renaissance. Er hat 350 zeitgenössische Texte zusammengetragen, übersetzt und eingeordnet. Noch nie gab es einen so vollständigen Überblick über die Geburtsstunde des modernen Europas. Darunter manche Kuriosität – wie die "Geschlechtsteilforschung" des Dichters Antonio Vignali. 38 Punkte
7 (-) Jedediah Purdy: "Die Welt und wir"
Aus dem Englischen von Frank Jakubzik
Suhrkamp, Berlin 2020
187 Seiten, 18 Euro
Jedediah Purdy: "Die Welt und wir"© Suhrkamp / Deutschlandradio
"Was bedeutet die Schönheit der Natur, wenn die Menschen niederträchtig sind?" Auf diesen Satz von Henry David Thoreau stieß Purdy nach der Wahl von Donald Trump 2016. In seinem Essay verknüpft der Rechtswissenschaftler den Umgang mit der Natur mit jenem der Menschen untereinander – und zeigt auf, wie Amerikas Polarisierung überwunden werden kann. 34 Punkte
8 (2) Corine Pelluchon: "Wovon wir leben"
Aus dem Französischen von Heinz Jatho unter Mitarbeit von Sophie Dahmen
Wbg Academic, Darmstadt 2020
416 Seiten, 50 Euro
Corine Pelluchon: "Wovon wir leben"© Deutschlandradio / wbg Academic
"Was ändert sich in Ethik und Politik, wenn wir in unserem Denken vom Körper statt vom Geist ausgehen?", fragt die Philosophin Corine Pelluchon. Der Körper braucht Nahrung, er friert, er will berührt, will geliebt werden. Pelluchons Materialismus soll den Blick erweitern – hin zu einer Existenzialphilosophie, die auch Tierwohl und Umweltschutz mitdenkt. 33 Punkte
9 (-) Branko Milanović: "Kapitalismus global"
Aus dem Englischen von Stephan Gebauer
Suhrkamp, Berlin 2020
404 Seiten, 26 Euro
Branko Milanović: "Kapitalismus global"© Suhrkamp / Deutschlandradio
"Capitalism, Alone" lautet Milanovićs Originaltitel. Der Kapitalismus scheint alternativlos, die Frage ist aber, welche Variante sich durchsetzt: seine liberale Spielart, geprägt von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit? Oder doch der autoritäre Kapitalismus der Willkür? Der serbische Ökonom ist überzeugt: Wir selbst entscheiden darüber, wie es weitergeht. 31 Punkte
10 (-) Yuval Noah Harari: "Sapiens"
Illustriert von Daniel Casanave und David Vandermeulen
Aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn
C. H. Beck, München 2020
248 Seiten, 25 Euro
Yuval Noah Harari: "Sapiens"© C. H. Beck / Deutschlandradio
Sein Bestseller "Eine kurze Geschichte der Menschheit" machte Harari weltberühmt. Nun gibt es die Hochgeschwindigkeitsreise durch die Zeit auch als Graphic Novel. Im ersten der vier Teile nimmt der gezeichnete Harari seine Nichte Zoe genauso väterlich an die Hand wie sonst seine Leser – und erklärt ihr den Aufstieg des schwächlichen Sapiens zum König der Tiere. 30 Punkte
10 (-) Ezra Klein: "Der tiefe Graben"
Aus dem Englischen von Katrin Harlaß
Hoffmann und Campe, Hamburg 2020
384 Seiten, 19,99 Euro
Ezra Klein. "Der tiefe Graben"© Hoffmann und Camoe / Deutschlandradio
Wie gespalten die amerikanische Gesellschaft ist, hat sich zuletzt bei der Präsidentschaftswahl gezeigt. Wie konnte es so weit kommen? Der Journalist Ezra Klein begibt sich auf eine Spurensuche, indem er Reportage und historische Einordnung miteinander verwebt. Sein Fazit: Nicht die Polarisierung ist das Problem, sondern der Umgang mit ihr. 30 Punkte
So funktioniert die Abstimmung:
Jedes Jurymitglied vergibt an vier Sachbücher je einmal 15, 10, 6 und 3 Punkte.
Die Jury der Sachbuch-Bestenliste:
René Aguigah (Deutschlandfunk Kultur)
Peter Arens (ZDF)
Susanne Billig (Deutschlandfunk Kultur)
Ralph Bollmann (FAS)
Stefan Brauburger (ZDF)
Alexander Cammann (DIE ZEIT)
Gregor Dotzauer (Der Tagesspiegel)
Heike Faller (DIE ZEIT)
Daniel Fiedler (ZDF)
Jenny Friedrich-Freksa (Kulturaustausch)
Manuel J. Hartung (DIE ZEIT)
Thorsten Jantschek (Deutschlandfunk Kultur)
Kim Kindermann (Deutschlandfunk Kultur)
Inge Kutter (DIE ZEIT)
Hannah Lühmann (DIE WELT)
Ijoma Mangold (DIE ZEIT)
Susanne Mayer (DIE ZEIT)
Tania Martini (taz)
Catherine Newmark (Deutschlandfunk Kultur)
Jutta Person (freie Literaturkritikerin)
Bettina von Pfeil (ZDF)
Jens-Christian Rabe (Süddeutsche Zeitung)
Christian Rabhansl (Deutschlandfunk Kultur)
Anne Reidt (ZDF)
Anna Riek (ZDF)
Stephan Schlak (Zeitschrift für Ideengeschichte)
Hilal Sezgin (freie Autorin)
Catrin Stövesand (Deutschlandfunk)
Elisabeth von Thadden (DIE ZEIT)
Julia Voss (Leuphana-Uni Lüneburg)