Deutschlandfunk Kultur, ZDF und "Die Zeit" präsentieren gemeinsam die stärksten Sachbücher des Monats. Gekürt werden die Titel von einer Jury aus 30 Kritikerinnen und Kritikern.
Götz Aly: "Das Prachtboot"© Deutschlandradio / S. Fischer
Das Entree des Berliner Humboldt Forums soll das sogenannte Luf-Boot schmücken: ein 16 Meter langes Holzboot, das die Bewohner der Südseeinsel Luf vor 150 Jahren gebaut haben. Der Historiker Götz Aly erzählt die Geschichte des Diebstahls im Rahmen eines Völkermordes durch deutsche Kolonialisten. Das nächste Kapitel in der Kunstraub-Debatte. 66 Punkte
2 (3) Christine M. Korsgaard: "Tiere wie wir. Warum wir moralische Pflichten gegenüber Tieren haben"
Aus dem Englischen von Stefan Lorenzer
C. H. Beck, München 2021
346 Seiten, 29,95 Euro
Christine M. Korsgaard,:"Tiere wie wir: Warum wir moralische Pflichten gegenüber Tieren haben"© Deutschlandradio / C. H. Beck
Hat das Leben eines Tieres denselben Wert wie das eines Menschen? Ja, sagt Christine M. Korsgaard. Die Harvard-Philosophin argumentiert mit Kant, warum Tiere weder benutzt noch gegessen werden dürfen. Als bewusste Wesen seien sie "Zweck an sich selbst". Eine der radikalsten Streitschriften seit Peter Singers Buch "Animal Liberation" von 1975. 41 Punkte
Helen Macdonald: "Abendflüge"© Deutschlandradio / Hanser
Ihr Buch wirkt wie die im 16. Jahrhundert beliebten Wunderkammern mit Holzkästen voller exotischer Objekte. Man nimmt sie heraus, staunt und ist berührt vom Gefühl, ein Teil davon zu sein. In 41 Essays erzählt Helen Macdonald vom Abendflug des Mauerseglers, von wilden Tieren, Mythen und Märchen. Über den Reichtum der Natur und ihre Fragilität. 41 Punkte
4 (-) Toon Horsten: "Der Pater und der Philosoph. Die abenteuerliche Rettung von Husserls Vermächtnis"
Aus dem Niederländischen von Marlene Müller-Haas
Galiani, Berlin 2021
288 Seiten, 24 Euro
Toon Horsten: "Der Pater und der Philosoph. Die abenteuerliche Rettung von Husserls Vermächtnis"© Deutschlandradio / Galiani
Fast 40.000 Seiten umfasst der Nachlass des Philosophen Edmund Husserl. Ohne einen Franziskaner wäre er kaum erhalten geblieben. Denn Husserl, Begründer der Phänomenologie, war Jude. Als Pater Van Breda zum Studium nach Freiburg kam, erkannte er, dass Husserls Werk durch die Nazis vernichtet werden könnte – und widmete der Rettung sein Leben. 40 Punkte
Bénédicte Savoy/Merten Lagatz/Philippa Sissis (Hrsg.): "Beute: Ein Bildatlas zu Kunstraub und Kulturerbe"© Deutschlandradio / Matthes & Seitz
"Die Autorität der Museen bröckelt, und viele wollen wissen: Woher kommen die dort ausgestellten Objekte?", sagt Bénédicte Savoy. Nach ihrem Buch Afrikas Kampf um seine Kunst erscheint nun ein mit anderen Berliner Kunsthistorikern recherchierter Bildband über Raubkunst. Das Protokoll einer Unrechtsgeschichte, die bis in die Antike zurückreicht. 37 Punkte
6 (4) Tom Holland: "Herrschaft. Die Entstehung des Westens"
Aus dem Englischen von Susanne Held
Klett-Cotta, Stuttgart 2021
624 Seiten, 28 Euro
Tom Holland: "Herrschaft. Die Entstehung des Westens" © Deutschlandradio / Klett-Cotta
Die Geschichte des Westens ist die Geschichte des Christentums, meint Tom Holland. Alles Denken – selbst das naturwissenschaftliche und säkulare – sei eine Folge des christlichen Glaubens. Geschickt spannt der Historiker einen Bogen über die Jahrtausende: von der Liebesbotschaft des Kirchenvaters Augustinus bis zum Beatles-Song "All You Need Is Love". 33 Punkte
Leslie Jamison: "Es muss schreien, es muss brennen"© Deutschlandradio / Hanser Verlag
"Seit der Erforschung der kleinsten Teilchen und der Entdeckung der fernsten Orte geht es nicht mehr um das Streben nach Extremen", schreibt Leslie Jamison. Es gehe "um die Erfassung dessen, was dazwischenliegt". In ihren Essays erkundet die amerikanische Autorin die Schattierungen der Seele, mit tastender Vorsicht und gnadenloser Ehrlichkeit. 31 Punkte
8 (-) Peter Longerich: "Antisemitismus - Eine deutsche Geschichte. Von der Aufklärung bis heute"
Siedler, München 2021
640 Seiten, 34 Euro
Peter Longerich: "Antisemitismus - Eine deutsche Geschichte"© Deutschlandradio / Siedler
Warum lehnt eine Mehrheit immer wieder eine Minderheit ab? Statt auf die Ausgestoßenen müsse man auf die "Verfasstheit dieser Mehrheit" schauen, so Peter Longerich. Über Jahrhunderte haben die Deutschen nach absurden Gründen gesucht, Juden auszuschließen. Der Historiker zeigt: Das Verhältnis zum Judentum ist von jeher Spiegel eines brüchigen Selbstbildes. 30 Punkte
Dan Diner: "Ein anderer Krieg"© Deutschlandradio / DVA / Random House
Hitlers Überfall auf Polen oder Russland, die Schlacht um Berlin oder im Pazifik: Die Geschichtsschreibung des Zweiten Weltkriegs entwickelt sich meist entlang dieser Wendepunkte. Der Historiker Dan Diner lenkt den Blick woanders hin: auf den Nahen Osten und sein Öl. Denn das Schicksal Palästinas war eng verwoben mit diesem Krieg. 28 Punkte
9 (7) David Goodhart: "Kopf, Hand, Herz. Das neue Ringen um Status: Warum Handwerks- und Pflegeberufe mehr Gewicht brauchen"
Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer
Penguin, München 2021
400 Seiten, 22 Euro
Der Kopf ist zu einflussreich geworden, findet der britische Journalist David Goodhart. Denn ob Verkäuferinnen oder Pflegekräfte: Die Corona-Pandemie habe gezeigt, wie wichtig körperliche Arbeit ist. Die größte Wertschätzung bekämen aber Jobs mit akademischer Ausbildung. Goodhart fordert daher, die Berufe "der Hand und des Herzens" endlich aufzuwerten. 28 Punkte
David Goodhart: "Kopf, Hand, Herz, Das neue Ringen um Status: Warum Handwerks- und Pflegeberufe mehr Gewicht brauchen"© Deutschlandradio / Penguin
So funktioniert die Abstimmung:
Jedes Jurymitglied vergibt an vier Sachbücher je einmal 15, 10, 6 und 3 Punkte.
Die Jury der Sachbuch-Bestenliste:
René Aguigah (Deutschlandfunk Kultur)
Peter Arens (ZDF)
Susanne Billig (Deutschlandfunk Kultur)
Ralph Bollmann (FAS)
Stefan Brauburger (ZDF)
Alexander Cammann (DIE ZEIT)
Gregor Dotzauer (Der Tagesspiegel)
Heike Faller (DIE ZEIT)
Daniel Fiedler (ZDF)
Jenny Friedrich-Freksa (Kulturaustausch)
Manuel J. Hartung (DIE ZEIT)
Thorsten Jantschek (Deutschlandfunk Kultur)
Kim Kindermann (Deutschlandfunk Kultur)
Inge Kutter (DIE ZEIT)
Hannah Lühmann (DIE WELT)
Ijoma Mangold (DIE ZEIT)
Susanne Mayer (DIE ZEIT)
Tania Martini (taz)
Catherine Newmark (Deutschlandfunk Kultur)
Jutta Person (freie Literaturkritikerin)
Bettina von Pfeil (ZDF)
Jens-Christian Rabe (Süddeutsche Zeitung)
Christian Rabhansl (Deutschlandfunk Kultur)
Anne Reidt (ZDF)
Anna Riek (ZDF)
Stephan Schlak (Zeitschrift für Ideengeschichte)
Hilal Sezgin (freie Autorin)
Catrin Stövesand (Deutschlandfunk)
Elisabeth von Thadden (DIE ZEIT)
Julia Voss (Leuphana-Uni Lüneburg)