Deutschlandfunk Kultur, ZDF und "Die Zeit" präsentieren gemeinsam die stärksten Sachbücher des Monats. Gekürt werden die Titel von einer Jury aus 30 Kritikerinnen und Kritikern.
1 (-) Volker Ullrich: "Acht Tage im Mai. Die letzte Woche des Dritten Reiches"
C.H. Beck, München 2020
317 Seiten, 24 Euro
Volker Ullrich gelingt, viele Details zu einer Gesamtdarstellung und einem Stimmungsbild zu fügen.© C. H. Beck / Deutschlandradio
Adolf Hitler ist tot, doch der Krieg ist noch nicht zu Ende. Der Historiker und Publizist Volker Ullrich schildert die letzten Tage des NS-Regimes. Dabei verbindet er unzählige zeitgleich stattfindende und doch gegenläufige Ereignisse zu einer Gesamtdarstellung. Diese Studie wartet nicht mit spektakulären neuen Erkenntnissen auf. Vielmehr ist sie der geglückte Versuch, als Chronik ein Stimmungsbild zu erzeugen. 54 Punkte
2 (-) Philippa Perry: "Das Buch, von dem du dir wünschst, deine Eltern hätten es gelesen. (und deine Kinder werden froh sein, wenn du es gelesen hast)"
Aus dem Englischen von Karin Schuler
Ullstein, Berlin 2020
304 Seiten, 19,99 Euro
Philippa Perry betont die Eltern-Kind-Beziehung in ihrem Erziehungsratgeber.© Ullstein / Deutschlandradio
Einen ganz besonderen Erziehungsratgeber legt die Psychologin Philippa Perry vor. In lebendig erzählten Fallgeschichten aus eigener Elternschaft und psychotherapeutischer Praxis rückt sie ein komplexes Thema in den Blick: die Qualität der Eltern-Kind-Beziehung. Immer wieder rät die Autorin mit viel psychologischem Hintergrundwissen: "Definieren Sie sich selbst – nicht Ihr Kind."
42 Punkte
Rezension
3 (-) Philip Manow: "(Ent-)Demokratisierung der Demokratie"
Suhrkamp, Berlin 2020
160 Seiten, 16 Euro
Philip Manow sieht die EU als Auslöser einer "Krise der Repräsentation" mit weitreichenden Folgen.© Suhrkamp
Philip Manow bürstet eingewöhnte Perspektiven gegen den Strich. Die Erfolge populistischer Parteien seien keine "Krise der Demokratie", schreibt der Bremer Politikwissenschaftler, sondern eine "Krise der Repräsentation". Die Denationalisierung der Politik durch die EU sei der Auslöser dafür. So profitierten gerade jene liberalen Eliten, die sich selber für besonders demokratiefreundlich halten. 41 Punkte
4 (-) Clive Hamilton, Mareike Ohlberg: "Die lautlose Eroberung. Wie China westliche Demokratien unterwandert und die Welt neu ordnet"
Aus dem Englischen von Stephan Gebauer
DVA, München 2020
496 Seiten, 26 Euro
Clive Hamilton und Mareike Ohlberg regen mit ihrem Buch an, darüber nachzudenken, welches Verhältnis Europa zu China anstreben sollte.© DVA / Deutschlandradio
China ist eine Weltmacht geworden. Lange gab es noch die Hoffnung, dass sich das Land durch den Wohlstand demokratisieren würde. Doch das Gegenteil ist der Fall. China wird mächtig – und aggressiver. Wie vielfältig der chinesische Einfluss bei uns ist, enthüllen die beiden Autoren. Es ist ein Anstoß zu einer notwendigen Debatte: Wie soll Europa mit der neuen Weltmacht China umgehen? 35 Punkte
5 (-) Rüdiger Zill: "Der absolute Leser. Hans Blumenberg. Eine intellektuelle Biographie"
Suhrkamp, Berlin 2020
816 Seiten, 38 Euro
Rüdiger Zill schaut dem originellen Denker Hans Blumenberg bei der Arbeit des Denkens zu.© Suhrkamp / Deutschlandradio
Hans Blumenberg wollte allein durch seine Philosophie sprechen, seine Person sollte der Öffentlichkeit verborgen bleiben. Jetzt wagt Rüdiger Zill einen biografischen Blick: auf Blumenbergs katholische Prägung, seine Verfolgung durch das NS-Regime, seinen Erfolg in der alten Bundesrepublik. Der Autor schaut dem Philosophen über die Schulter und zeigt, wie das Handwerk des Denkens funktioniert. 30 Punkte
6 (-) Bettina Hitzer "Krebs fühlen. Eine Emotionsgeschichte des 20. Jahrhunderts"
Klett-Cotta, Stuttgart 2020
540 Seiten, 28 Euro
Eine Emotionsgeschichte, ausgezeichnet mit dem Leipziger Buchpreis.© Deutschlandradio / Klett-Cotta
Angst, Ekel, Aufklärung, das Verlorengehen in Apparaturen und aggressiven Therapieverfahren – mit der Krankheit Krebs ist eine komplexe Geschichte der Emotionen verbunden. Die Historikerin Bettina Hitzer erzählt, wie sich der Umgang mit der Diagnose im 20. Jahrhundert verändert hat. Heute dominiert vor allem die Hoffnung, die Krankheit überwinden zu können und sich als Mensch neu zu finden. 28 Punkte
7 (-) Robert Pfaller: "Die blitzenden Waffen. Über die Macht der Form"
S. Fischer, Frankfurt am Main 2020
288 Seiten, 22 Euro
Warum lieben wir bestimmte Autos – und oft nicht die nützlichsten? Warum berührt uns ein bestimmtes Kunstwerk, während andere uns kalt lassen? In welchen Worten muss ein guter Ratschlag formuliert sein, damit er beim Gegenüber Wirkung zeigt? In seinem neuen Buch untersucht der Philosoph Robert Pfaller Funktion, Bedingung und Wirkungsweise der Form, um ihrem Geheimnis auf die Spur zur kommen. 27 Punkte
Robert Pfaller spürt dem Geheimnis der Form nach.© Fischerverlage / Deutschlandradio
8 (3) Christina Clemm: "AktenEinsicht. Geschichten von Frauen und Gewalt"
Kunstmann, München 2020
206 Seiten, 20 Euro
Über Gewalt gegen Frauen berichtet die Anwältin für Strafrecht, Christina Clemm - auch auf der Grundlage von Akteneinsichten.© Verlag Antje Kunstmann GmbH
Jede dritte Frau wird zum Gewaltopfer. Gewalt gegen Frauen ist ein alltägliches Phänomen, auch wenn es nur selten in die Öffentlichkeit gerät. Die Strafrechtsanwältin Christina Clemm erzählt Geschichten von Frauen, die körperliche und sexualisierte Gewalt erlebt haben. Dabei schildert sie nicht nur Fallbeispiele, sondern gibt auch Einblicke in die Arbeit von Justiz und Polizei. Eine wichtige Studie gegen das Schweigen. 25 Punkte
9 (1) Lori Gottlieb: "Vielleicht solltest du mal mit jemandem darüber reden"
Aus dem Englischen von Elisabeth Liebl
Hanser Verlag, München 2020
528 Seiten, 25 Euro
Lori Gottlieb arbeitet als Therapeutin in Los Angeles.© Hanser Blau / Deutschlandradio
Ein Auf und Ab der Gefühle: Mit erzählerischer Kraft und psychologischem Wissen berichtet die Therapeutin Lori Gottlieb aus ihrer eigenen Therapiepraxis. Alle Gefühle, die die Patienten empfinden, kennt auch der Leser: Abwehr, Widerstand, Trauer, Enttäuschung, Wut, Erstaunen, Hoffnung und immer wieder diese zarte Liebe zu diesem krummen, widerstandsfähigen menschlichen Leben. 23 Punkte
10 (-) Binyamin Appelbaum: "Die Stunde der Ökonomen. Falsche Propheten, freie Märkte und die Spaltung der Gesellschaft"
Aus dem Englischen von Martina Wiese
S. Fischer, Frankfurt am Main 2020
560 Seiten, 26 Euro
Welche Ideen haben zum Aufstieg des Neo-Liberalismus beigetragen und wer hat sie entwickelt? Darüber schreibt Binyamin Appelbaum.© Fischerverlage / Deutschlandradio
Sie waren die Vertreter des deregulierten Marktes: Milton Friedman, Arthur Laffer, Thomas Schelling. Der Ökonom Binyamin Appelbaum legt eine Ideengeschichte der Wirtschaftswissenschaftler vor, die zum Aufstieg des Neo-Liberalismus beigetragen haben. Fesselnd erzählt Appelbaum vom Aufstieg und Fall dieser Lehren und macht deutlich: Das uneingeschränkte Vertrauen in den Markt gefährdet die Zukunft der liberalen Demokratie. 22 Punkte
So funktioniert die Abstimmung:
Jedes Jurymitglied vergibt an vier Sachbücher je einmal 15, 10, 6 und 3 Punkte.
Die Jury der Sachbuch-Bestenliste:
René Aguigah (Deutschlandfunk Kultur)
Peter Arens (ZDF)
Susanne Billig (Deutschlandfunk Kultur)
Ralph Bollmann (FAS)
Stefan Brauburger (ZDF)
Alexander Cammann (DIE ZEIT)
Gregor Dotzauer (Der Tagesspiegel)
Heike Faller (DIE ZEIT)
Daniel Fiedler (ZDF)
Jenny Friedrich-Freksa (Kulturaustausch)
Manuel J. Hartung (DIE ZEIT)
Thorsten Jantschek (Deutschlandfunk Kultur)
Kim Kindermann (Deutschlandfunk Kultur)
Inge Kutter (DIE ZEIT)
Hannah Lühmann (DIE WELT)
Ijoma Mangold (DIE ZEIT)
Susanne Mayer (DIE ZEIT)
Tania Martini (taz)
Catherine Newmark (Deutschlandfunk Kultur)
Jutta Person (freie Literaturkritikerin)
Bettina von Pfeil (ZDF)
Jens-Christian Rabe (Süddeutsche Zeitung)
Christian Rabhansl (Deutschlandfunk Kultur)
Anne Reidt (ZDF)
Anna Riek (ZDF)
Stephan Schlak (Zeitschrift für Ideengeschichte)
Hilal Sezgin (freie Autorin)
Catrin Stövesand (Deutschlandfunk)
Elisabeth von Thadden (DIE ZEIT)
Julia Voss (Leuphana-Uni Lüneburg