Deutschlandfunk Kultur, ZDF und "Die Zeit" präsentieren gemeinsam die stärksten Sachbücher des Monats. Gekürt werden die Titel von einer Jury aus 30 Kritikerinnen und Kritikern.
1 (-) Omri Boehm: "Israel – eine Utopie"
Aus dem Englischen von Michael Adrian
Propyläen, Berlin 2020
256 Seiten, 20 Euro
Omri Boehm: "Israel – eine Utopie"© Propyläen Verlag / Deutschlandradio
"Lasst das Licht der öffentlichen Debatte dazu beitragen, ein rationales Urteil über den jüdischen Staat zu fällen", sagt der Philosoph Omri Boehm. Er unterscheidet in Bezug auf Israel Selbstbestimmung und Souveränität: Das israelische Volk habe ein Recht auf Selbstbestimmung, aber keines auf eine Souveränität, die Minderheiten oder andere Völker unterdrücke. Boehm benennt Demokratiedefizite, ganz ohne Polemik. 68 Punkte
2 (-) Ronen Steinke: "Terror gegen Juden. Wie antisemitische Gewalt erstarkt und der Staat versagt. Eine Anklage"
Berlin Verlag, Berlin 2020
256 Seiten, 18 Euro
Ronen Steinke: „Terror gegen Juden“.© Piper / Berlin Verlag / Deutschlandradio
Jüdische Schulen müssen von bewaffneten Sicherheitskräften bewacht werden, jüdischer Gottesdienst findet unter Polizeischutz statt, Bedrohungen sind alltäglich. Der Journalist Ronen Steinke analysiert die Entwicklung des Antisemitismus in Deutschland seit der Nachkriegszeit. Seine Befunde sind erschreckend: Die Judenfeindlichkeit erstarkt wieder, und die deutschen Ermittlungsbehörden versagen. 43 Punkte
3 (-) Eliot Weinberger: "Neulich in Amerika"
Aus dem Englischen von Beatrice Faßbender, Eike Schönfeld und Peter Torberg
Berenberg, Berlin 2020
272 Seiten, 16 Euro
Eliot Weinberger: "Neulich in Amerika"© Berenberg Verlag / Deutschlandradio
Eliot Weinberger ist einer der letzten Heroen der amerikanischen Linken. Der Essayist nimmt kein Blatt vor den Mund und demontiert in seinem Buch brillant sowohl die Bush- als auch die Trump-Jahre. Vor allem legt er deren "Phrasensumpf" trocken. Dieses Buch zählt schon jetzt zu den Klassikern einer politischen Kritik, die die Sprache der Demagogen messerscharf auseinandernimmt. 43 Punkte
4 (-) Max Czollek: "Gegenwartsbewältigung"
Hanser, München 2020
208 Seiten, 20 Euro
Max Czollek: "Gegenwartsbewältigung"© Carl Hanser Verlag / Deutschlandradio
Wer ist deutsch, wer nicht? Gerade in Krisenzeiten spaltet diese Frage die Gesellschaft, sagt der Publizist und Lyriker Max Czollek. Sein Bestseller "Desintegriert euch!" war ein Manifest für die plurale Gesellschaft und forderte mehr Vielfalt hierzulande. Jetzt legt der Autor nach: In seinem neuen Buch dekonstruiert er das hiesige Verständnis von Nation und Kultur, das noch immer völkisch geprägt sei. 39 Punkte
5 (-) Michael Volkmer/Karin Werner (Hrsg.): "Die Corona-Gesellschaft. Analysen zur Lage und Perspektiven für die Zukunft"
transcript, Bielefeld 2020
432 Seiten, 24,50 Euro
Michael Volkmer/Karin Werner (Hrsg.): „Die Corona-Gesellschaft.“© transcript Verlag / Deutschlandradio
Die Coronakrise ist vor allem eine gesellschaftliche Krise. Jenseits von Ansteckungs- und Mortalitätsraten hat sie tiefgreifende Auswirkungen auf den Zusammenhalt im Land. Die hier versammelten Beiträge sind in den Monaten des Ausnahmezustands entstanden. Sie vermessen die Corona-Gesellschaft und zeigen Perspektiven auf für eine Zukunft danach. 37 Punkte
6 (-) Jakob Hein: "Hypochonder leben länger"
Galiani-Berlin, Berlin 2020
240 Seiten, 20 Euro
Jakob Hein: "Hypochonder leben länger"© Galliani-Berlin / Deutschlandradio
Der Berliner Kinder- und Jugendpsychiater erzählt aus seiner Praxis. Patentrezepte gibt er keine, er ermutigt, Fragen an sich und andere zu stellen. Jakob Hein weiß, wie kompliziert es für viele Menschen ist, aus Sackgassen herauszufinden, egal ob im Beruf, in der Beziehung oder anderswo. Ein Ratgeber, der nicht nur lebensnah ist, sondern auch klug. 36 Punkte
7 (-) Arnold Esch: "Von Rom bis an die Ränder der Welt. Geschichte in ihrer Landschaft"
C. H. Beck, München 2020
399 Seiten, 29,95 Euro
Der Historiker Arnold Esch führt uns durch die Landschaften Italiens und auf ferne Kontinente. Von der Antike bis ins 20. Jahrhundert folgt er den faszinierenden Spuren von Reisenden, Pilgern, Kaufleuten und Gelehrten. Ob römischer Soldat oder Gesandter des französischen Königs – die Stimmen, die zu Wort kommen, überraschen. Eine intellektuelle Reise um die Welt. 30 Punkte
Arnold Esch: "Von Rom bis an die Ränder der Welt"© Verlag C.H.Beck / Deutschlandradio
8 (-) Robin DiAngelo: "Wir müssen über Rassismus sprechen. Was es bedeutet, in unserer Gesellschaft weiß zu sein"
Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff
Hoffmann und Campe, Hamburg 2020
224 Seiten, 25 Euro
Robin DiAngelo: "Wir müssen über Rassismus sprechen"© Hoffmann und Campe / Deutschlandradio
Die Soziologin Robin DiAngelo tourt in den USA mit ihrem Buch "White Fragility" durch Talkshows und erläutert, wie man als weißer Mensch seinen Rassismus loswird. Bei aller Zustimmung gibt es auch Kritik, etwa an ihrer Aussage, dass zur Überwindung des inneren Rassisten Selbstkasteiung nötig ist. Dennoch: Das Buch sensibilisiert für tief wurzelnde Klischees, die von vielen für rassismusfrei gehalten werden. 25 Punkte
9 (-) Garrett M. Graff: "Und auf einmal diese Stille. Die Oral History des 11. September"
Aus dem Englischen von Philipp Albers und Hannes Meyer
Suhrkamp Nova, Berlin 2020
537 Seiten, 20 Euro
Garrett M. Graff: „Und auf einmal diese Stille“© Suhrkamp Nova / Deutschlandradio
Mehrere Jahre lang hat der US-Historiker Garrett M. Graff für dieses erschütternde Buch recherchiert. Es präsentiert ein vielstimmiges Panorama, die Augenzeugen des 11. September 2001 kommen zu Wort. Kein Tag der jüngeren Vergangenheit hat sich stärker ins kollektive Gedächtnis gebrannt. Die Bilder, die Geschichten, die Konsequenzen. Doch die Worte derer, die den 11. September live erlebt haben, fehlten – bis jetzt. 25 Punkte
10 (-) Danielle Allen: "Politische Gleichheit"
Aus dem Englischen von Christine Pries
Suhrkamp, Berlin 2020
240 Seiten, 28 Euro
Danielle Allen: "Politische Gleichheit"© Suhrkamp Verlag / Deutschlandradio
Wer hat die Macht und warum? Kann es sein, dass wir in den letzten Jahren verlernt haben, die Ungleichheiten in unserer Gesellschaft zu sehen? Haben uns deshalb die neuen ökonomischen Verwerfungen und der Rechtspopulismus so unvorbereitet getroffen? Ja, sagt Danielle Allen und entwickelt einen neuen Begriff von politischer Gleichheit für plurale Gesellschaften. 22 Punkte
So funktioniert die Abstimmung:
Jedes Jurymitglied vergibt an vier Sachbücher je einmal 15, 10, 6 und 3 Punkte.
Die Jury der Sachbuch-Bestenliste:
René Aguigah (Deutschlandfunk Kultur)
Peter Arens (ZDF)
Susanne Billig (Deutschlandfunk Kultur)
Ralph Bollmann (FAS)
Stefan Brauburger (ZDF)
Alexander Cammann (DIE ZEIT)
Gregor Dotzauer (Der Tagesspiegel)
Heike Faller (DIE ZEIT)
Daniel Fiedler (ZDF)
Jenny Friedrich-Freksa (Kulturaustausch)
Manuel J. Hartung (DIE ZEIT)
Thorsten Jantschek (Deutschlandfunk Kultur)
Kim Kindermann (Deutschlandfunk Kultur)
Inge Kutter (DIE ZEIT)
Hannah Lühmann (DIE WELT)
Ijoma Mangold (DIE ZEIT)
Susanne Mayer (DIE ZEIT)
Tania Martini (taz)
Catherine Newmark (Deutschlandfunk Kultur)
Jutta Person (freie Literaturkritikerin)
Bettina von Pfeil (ZDF)
Jens-Christian Rabe (Süddeutsche Zeitung)
Christian Rabhansl (Deutschlandfunk Kultur)
Anne Reidt (ZDF)
Anna Riek (ZDF)
Stephan Schlak (Zeitschrift für Ideengeschichte)
Hilal Sezgin (freie Autorin)
Catrin Stövesand (Deutschlandfunk)
Elisabeth von Thadden (DIE ZEIT)
Julia Voss (Leuphana-Uni Lüneburg)