Rebecca Böhme: "Human Touch. Warum körperliche Nähe so wichtig ist"
CH Beck, München, 2019, 192 Seiten, 14,95 Euro
Berührung boomt
28:14 Minuten
Vergessen sie den "Darm mit Charme". Das Sachbuch "Human Touch" von Rebecca Böhme könnte der nächste medizinische Super-Bestseller werden. Überhaupt haben Sachbücher zum Thema Berührung und körperliche Nähe Konjunktur. Wir stellen die Neuerscheinungen vor.
Sachbücher über unseren Körper finden sich oft oben auf den Bestseller-Listen: über unser Gehirn und über Neurowissenschaften, über Ernährung und unseren Darm.
Nun rückt ein weiteres Körperorgan, eine weitere Fähigkeit unseres Körpers in den Fokus von Autoren und Verlagen: In den vergangenen Monaten sind zahlreiche Sachbücher über Berührungen, unseren Tastsinn und körperliche Nähe erschienen. Anlässlich der Leipziger Buchmesse stellen wir die wichtigsten Neuheiten zu diesem Thema vor.
Rebecca Böhme: "Human Touch"
"Human Touch" stellt sich, wie viele andere Bücher auch, in die Tradition von "Darm mit Charme", dem Super-Bestseller im Medizinbereich. Die Autorin des Buchs – die junge Neurowissenschaftlerin Rebecca Böhme – geht vor allem der Frage nach: Was passiert eigentlich im Gehirn bei einer Berührung, warum genau erleben wir körperliche Wärme und Nähe als so angenehm?
Sprachlich sehr eingängig und gut verständlich schildert sie die Körperreaktionen und zahlreichen positiven Effekte von Berührungen: Sie verringern die Stressanfälligkeit, senken den Blutdruck und verstärken kognitive Fähigkeiten, etwa die Merk- und Lernfähigkeit. Berührungen erhöhen die Schmerztoleranz und beschleunigen sogar die Wundheilung.
Immer wieder greift das Buch – neben medizinischen und psychologischen Aspekten – auch kulturanthropologische und sozialwissenschaftliche Zugangsweisen zum Thema Berührung auf, schildert beispielsweise, wo und wie in unserer Gesellschaft überhaupt Sozialkontakte stattfinden und wie stark diese kulturell geprägt sind.
So wurde in einer Studie beispielsweise festgestellt, dass sich Liebespaare in Puerto Rico im Schnitt 180 Mal pro Stunde in irgendeiner Weise anfassen, wenn sie im Café sitzen. In Großbritannien, zum Vergleich, kein einziges Mal.
Ulfried Geuter: "Praxis Körperpsychotherapie"
Ein fundiertes Buch, das sich grundsätzlich mit dem Thema Körper und Heilung befasst, ist: "Praxis Körperpsychotherapie" von Ulfried Geuter. Der Autor unterrichtet Körperpsychotherapie an der Universität Marburg.
Der Leser bekommt einen lebhaften Eindruck, wie reichhaltig das Repertoire und die Methodenvielfalt der Körperpsychotherapien sind. Auch, wenn es sich ausdrücklich an Laien wendet, ist das Sachbuch allerdings eher für die Fachwelt geschrieben.
Was die Rolle des Körpers angeht, spricht Ulfried Geuter von einem regelrechten "body-turn" oder einem "somatic turn" in den Wissenschaften – in der Psychologie, aber auch in der Soziologie und in den Kulturwissenschaften. Weil man zunehmend erkannt hat, dass der Körper in den verschiedensten Bereichen eine zentrale, unverzichtbare Rolle spielt. Wir haben den Körper nicht, wir sind Körper. Und wir setzen ihn ein, zum Beispiel auf der sozialen Bühne, als das moderne Medium der Selbstdarstellung.
Ulfried Geuter: "Praxis Körperpsychotherapie: 10 Prinzipien der Arbeit im therapeutischen Prozess"
Springer Verlag, Heidelberg 2019, 508 Seiten, 44,99 Euro
Martin Grunwald: "Homo hapticus"
Beeindruckend schildert das Buch "Homo Hapticus" die fundamentale Bedeutung des Tastsinns. Das Buch von Martin Grunwald, einem international renommierten Haptik-Forscher am Institut für Hirnforschung der Universität Leipzig, ist vor gut einem Jahr erschienen.
Wunderbar klar und reichhaltig, vor allem aber kenntnisreich schreibt Martin Grunwald über neue Forschungsergebnisse: Im ersten Kapitel geht er intensiv auf die menschliche Embryonal-Entwicklung ein, um die fundamentale Bedeutung des Tastsinns dabei herauszuarbeiten. Denn lange vor dem Hören, lange vor dem Sehen fühlt der Embryo.
Grunwald berichtet außerdem – sehr spannend – direkt von seinen Studien im Haptik-Labor. Dort erforscht er etwa, ab wann wir eine Berührung spüren und welche Bedeutung dabei die winzigen Härchen auf unserer Haut haben. Wer dieses Kapitel liest, wird es sich in Zukunft überlegen, ob er sich seine Körperhaare wirklich radikal ausreißen oder weglasern lassen möchte.
Martin Grunwald: "Homo hapticus – Warum wir ohne Tastsinn nicht leben können"
Droemer, München, 2017, 304 Seiten, 19,99 Euro
Elisabeth von Thadden: "Die berührungslose Gesellschaft"
Ein sehr kluges Buch, vor einigen Monaten erschienen, stammt von der "Zeit"-Redakteurin Elisabeth von Thadden und heißt "Die berührungslose Gesellschaft". Dieses Buch setzt sich mit dem grundsätzlichen Dilemma auseinander, dass wir alle auf der einen Seite Nähe, Berührungen, menschliche Wärme brauchen – sie aber auf der anderen Seite auch mit gutem Grund als risikoreich oder sogar gefährlich empfinden.
Unfreiwillige Nähe ist immer eine Grenzverletzung – oder sogar Gewalt. In ihrem Buch arbeitet die Autorin heraus, wie sich in der Moderne allmählich der Respekt für Körpergrenzen entwickelt hat und wie sich eine Ächtung der ungewollten Berührung durchgesetzt hat.
Manche Phasen dieser – natürlich sehr begrüßenswerten – Entwicklung haben sich erstaunlich spät ereignet, unterstreicht die Autorin: Erst 1928 wurde das Züchtigungsrecht des Ehemannes an seiner Frau verboten. Erst 1997 die Vergewaltigung in der Ehe. Erst 2005 hat Deutschland sexuelle Gewalt als Asylgrund anerkannt. Und die #MeToo-Debatte findet jetzt erst statt – in unserer Gegenwart.
Kritisch bewertet von Thadden allerdings, dass die digitalen Welten heute stark an die Stelle der direkten, persönlichen Begegnung treten. Ein Indiz dafür, dass die Mensch-Tastatur-Berührung nicht ausreicht, um das Nähebedürfnis der Millionen von Singles in den Großstädten von heute zu erfüllen, ist die wachsende Zahl von Haustieren, sagt Elisabeth von Thadden – von felltragenden Haustieren. Auf diesem Umweg sorgt das Säugetier in uns dafür, so interpretiert sie es, dass die Streicheleinheiten auch in digitalen Zeiten nicht zu kurz kommen.
Kritisch bewertet von Thadden allerdings, dass die digitalen Welten heute stark an die Stelle der direkten, persönlichen Begegnung treten. Ein Indiz dafür, dass die Mensch-Tastatur-Berührung nicht ausreicht, um das Nähebedürfnis der Millionen von Singles in den Großstädten von heute zu erfüllen, ist die wachsende Zahl von Haustieren, sagt Elisabeth von Thadden – von felltragenden Haustieren. Auf diesem Umweg sorgt das Säugetier in uns dafür, so interpretiert sie es, dass die Streicheleinheiten auch in digitalen Zeiten nicht zu kurz kommen.
Elisabeth von Thadden: "Die berührungslose Gesellschaft"
CH Beck, München, 2018, 224 Seiten, 16,95 Euro
Isabella Guanzini: "Zärtlichkeit"
Mit den kulturwissenschaftlichen Aspekten der Berührung beschäftigt sich das Buch "Zärtlichkeit – Eine Philosophie der sanften Macht". In ihm beleuchtet die italienische Philosophin Isabella Guanzini die zwischenmenschliche Verletzlichkeit und Berührbarkeit. Sie spricht von einem zärtlichen Mitfühlen mit anderen Menschen – vor allem solchen, die arm sind, ausgenutzt und ausgebeutet.
Die katholischen Schlenker und Zitate von Papst Franziskus in dem Buch sind sicher nicht jedermanns Sache. Trotzdem liefert Guanzini ein vielschichtiges Buch, das sich unter anderem auf die Suche nach Orten macht, an denen auch in der neoliberal zugerichteten Welt Berührungsängste überwunden werden und eine "neue menschliche Ökologie" sichtbar wird.
Isabella Guanzini: "Zärtlichkeit. Eine Philosophie der sanften Macht"
Übersetzt von Grit Fröhlich und Ruth Karzel
CH Beck, München, 2019, 220 Seiten, 18,00 Euro
Folgendes Buch zum Thema Berührungen und Distanz zwischen Kunstwerken und Betrachtern wird erst Ende März erscheinen:
Carolin Meister, Kristin Marek (Hrsg.): "Berührung – Taktiles in Kunst und Theorie"
Verlag Wilhelm Fink, Paderborn, 2019, ca. 400 Seiten, circa 69,00 Euro