Sachlichkeit allein wird den Opfern nicht gerecht
Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels wird seit 1950 alljährlich im Rahmen der Frankfurter Buchmesse verliehen. Preisträger in diesem Jahr ist der Historiker Saul Friedländer. In seinem neu erschienenen Bändchen "Den Holocaust beschreiben" gibt Friedländer in verschiedenen Vorträgen und Gesprächen Auskunft über seine Methodik und sein Selbstverständnis als Historiker.
Saul Friedländer, in Prag geboren, wächst in einer assimilierten, deutsch sprechenden, jüdischen Familie auf. Seine Eltern fliehen mit ihm vor den Nazis nach Frankreich. Dort überlebt er Krieg und Holocaust in einer katholischen Klosterschule, die Eltern werden in Auschwitz umgebracht. Nach Kriegsende geht Friedländer erst nach Israel, studiert dann in Paris, wird Professor in Genf, lehrt später in Tel Aviv und Los Angeles.
Ende der 90er Jahre erscheint der erste, 2006 der zweite Teil seines Opus Magnum "Das 3. Reich und die Juden". Es hebt sich deutlich ab von den Versuchen anderer Historiker, Verfolgung und Vernichtung distanziert-rational darzustellen. Friedländer ist ein herausragender Wissenschaftler und zugleich epischer Erzähler der Shoah.
Über seinen methodischen Ansatz - wie er ihn entwickelt hat und warum er ihn für zwingend hält - gibt Saul Friedländer Auskunft in seinem Vortrag "Den Holocaust beschreiben. Auf dem Weg zu einer integrierten Geschichte." Er ist Kern einer Sammlung von mehreren Vorträgen und Gesprächen, die eben unter diesem Titel erschienen sind. Herausgegeben werden sie vom "Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts", an dem Saul Friedländer in diesem Jahr Gastprofessor war.
"Integrierte Geschichte" heißt für Friedländer, Täter- und Opfergeschichte zu verknüpfen. Eine Gesamtdarstellung der Shoah zu verfassen, die so viele Aspekte wie möglich einbezieht: neben Zeugnissen, die über Handlungen der Täter Auskunft geben, auch solche, die vom Empfinden der Opfer erzählen. Ihrer Sichtweise misst Friedländer besonderen Wert bei. Indem er die Shoah nicht nur aus Täterperspektive erfasst, zeigt er ihre Komplexität.
Explizit wendet sich der Historiker gegen bloße Historisierung der Ereignisse. Sie tendiere zur Abstraktion. Um das zu vermeiden, bezieht Friedländer in seiner Darstellung individuelle Stimmen mit ein, greift zurück auf Briefe, Erinnerungen und Tagebücher, "unersetzliche Quellen für die Geschichte jüdischen Lebens während der Jahre der Verfolgung und Vernichtung". Es ist es ihm wichtig, Raum zu schaffen für Fassungslosigkeit als mögliche Reaktion auf ein noch immer unfassbares Verbrechen.
Im Vortrag "Erlösungsantisemitismus" weist Friedländer gängige Thesen zurück, die die Shoah als sekundäre Folge nationalsozialistischer Politik begreifen. Die Vernichtung der europäischen Juden, so Friedländer, wurde nicht aufgrund eines traditionellen deutschen Antisemitismus vollzogen, nicht aus wirtschaftlichen oder demographischen Erwägungen. Der Historiker weist in seiner Analyse von Hitlers Reden nach, wie zentral der Antisemitismus für dessen Weltanschauung war. Hitlers Entscheidung zum systematischen Judenmord datiert Friedländer auf die Zeit zwischen Oktober und Dezember 1941. Er deutet sie als konsequente Umsetzung von Hitlers pseudoreligiösem Selbstverständnis, die Menschheit in einem apokalyptischen Endkampf gegen den "jüdischen Weltfeind" zu führen.
Weitere Überlegungen im Buch gelten den Fragen, was die Deutschen während des Krieges vom Völkermord wussten. Wie verhielten sich jüdische Historiker unter den Nazis? Wie empfanden die Täter ihr Tun?
Friedländers Aufsätze sind eine gut verständliche Einführung in sein Werk und sein Denken. Sie bezeugen eine tiefe Verbundenheit des Historikers mit dem Gegenstand seiner Arbeit und machen deutlich, dass die Geschichtsschreibung zum Holocaust sich keineswegs mit Sachlichkeit zufrieden geben kann. Die Fragen, die sie voran bringen, das wird spürbar, kommen aus dem Herzen.
Rezensiert von Carsten Hueck
Saul Friedländer: Den Holocaust beschreiben. Auf dem Weg zu einer integrierten Geschichte
Wallstein Verlag, Göttingen 2007
173 Seiten, 15,00 EUR
Ende der 90er Jahre erscheint der erste, 2006 der zweite Teil seines Opus Magnum "Das 3. Reich und die Juden". Es hebt sich deutlich ab von den Versuchen anderer Historiker, Verfolgung und Vernichtung distanziert-rational darzustellen. Friedländer ist ein herausragender Wissenschaftler und zugleich epischer Erzähler der Shoah.
Über seinen methodischen Ansatz - wie er ihn entwickelt hat und warum er ihn für zwingend hält - gibt Saul Friedländer Auskunft in seinem Vortrag "Den Holocaust beschreiben. Auf dem Weg zu einer integrierten Geschichte." Er ist Kern einer Sammlung von mehreren Vorträgen und Gesprächen, die eben unter diesem Titel erschienen sind. Herausgegeben werden sie vom "Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts", an dem Saul Friedländer in diesem Jahr Gastprofessor war.
"Integrierte Geschichte" heißt für Friedländer, Täter- und Opfergeschichte zu verknüpfen. Eine Gesamtdarstellung der Shoah zu verfassen, die so viele Aspekte wie möglich einbezieht: neben Zeugnissen, die über Handlungen der Täter Auskunft geben, auch solche, die vom Empfinden der Opfer erzählen. Ihrer Sichtweise misst Friedländer besonderen Wert bei. Indem er die Shoah nicht nur aus Täterperspektive erfasst, zeigt er ihre Komplexität.
Explizit wendet sich der Historiker gegen bloße Historisierung der Ereignisse. Sie tendiere zur Abstraktion. Um das zu vermeiden, bezieht Friedländer in seiner Darstellung individuelle Stimmen mit ein, greift zurück auf Briefe, Erinnerungen und Tagebücher, "unersetzliche Quellen für die Geschichte jüdischen Lebens während der Jahre der Verfolgung und Vernichtung". Es ist es ihm wichtig, Raum zu schaffen für Fassungslosigkeit als mögliche Reaktion auf ein noch immer unfassbares Verbrechen.
Im Vortrag "Erlösungsantisemitismus" weist Friedländer gängige Thesen zurück, die die Shoah als sekundäre Folge nationalsozialistischer Politik begreifen. Die Vernichtung der europäischen Juden, so Friedländer, wurde nicht aufgrund eines traditionellen deutschen Antisemitismus vollzogen, nicht aus wirtschaftlichen oder demographischen Erwägungen. Der Historiker weist in seiner Analyse von Hitlers Reden nach, wie zentral der Antisemitismus für dessen Weltanschauung war. Hitlers Entscheidung zum systematischen Judenmord datiert Friedländer auf die Zeit zwischen Oktober und Dezember 1941. Er deutet sie als konsequente Umsetzung von Hitlers pseudoreligiösem Selbstverständnis, die Menschheit in einem apokalyptischen Endkampf gegen den "jüdischen Weltfeind" zu führen.
Weitere Überlegungen im Buch gelten den Fragen, was die Deutschen während des Krieges vom Völkermord wussten. Wie verhielten sich jüdische Historiker unter den Nazis? Wie empfanden die Täter ihr Tun?
Friedländers Aufsätze sind eine gut verständliche Einführung in sein Werk und sein Denken. Sie bezeugen eine tiefe Verbundenheit des Historikers mit dem Gegenstand seiner Arbeit und machen deutlich, dass die Geschichtsschreibung zum Holocaust sich keineswegs mit Sachlichkeit zufrieden geben kann. Die Fragen, die sie voran bringen, das wird spürbar, kommen aus dem Herzen.
Rezensiert von Carsten Hueck
Saul Friedländer: Den Holocaust beschreiben. Auf dem Weg zu einer integrierten Geschichte
Wallstein Verlag, Göttingen 2007
173 Seiten, 15,00 EUR