Stromtrasse? Find' ich klasse!
In Bayern und Thüringen laufen die Bürger Sturm gegen die geplanten Stromtrassen, die für die Energiewende nötig werden. Ganz anders in Sachsen-Anhalt - dort regt sich bislang kaum Protest. Doch das könnte sich bald ändern.
An der B189 - zwölf Kilometer nördlich von Magdeburg - liegt das 11.000 Einwohner große Städtchen Wolmirstedt, Amtssitz des gleichnamigen Landkreises Börde, der für seine guten Böden bekannt ist. Wolmirstedt: Ein Ort ohne historischen Stadtkern, geprägt von fünfstöckigen VEB-Plattenbauten. Am Rand der Stadt entspannt sich am Himmel ein Spinnennetz, ein mächtiges Gewirr von Hochspannungsleitungen. Der künftige Startpunkt der so viel diskutierten 500-Kilovolt-Hochspannungstrasse von Wolmirstedt in Sachsen-Anhalt nach Grundremmingen in Bayern.
"Find ich klasse, wir brauchen doch Strom", sagt ein Mann, mit dicken Einkaufstüten in der Hand. Er steht in der zugigen August-Bebel-Straße, dem Wolmirstedter Einkaufsboulevard mit der so typisch roten Kleinstadt-Klinker-Architektur.
"Wo soll es denn herkommen? Sollen wir das mit den Säcken hintragen oder wie?"
Aus der beschlossenen Energiewende wird nichts, wenn keine Stromtrassen kommen, sagt der Anfang Sechzigjährige. Die gigantischen Masten - die halb so hoch wie der Berliner Funkturm seien - findet er super. Wie viele Andere auch im Norden Sachsen-Anhalts.
Wo genau die Trassen verlaufen sollen, ist noch unklar
Es regt sich: Nichts. Anders als in Bayern oder Thüringen gibt es in Sachsen-Anhalt keine einzige Bürgerinitiative, die gegen die Stromtrassen mobil macht. Was möglicherweise daran liegt, vermutet Oliver Wendenkampf vom Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland – kurz BUND –, dass beispielsweise im Norden Sachsen-Anhalts keine konkreten Trassenpläne vorliegen. Nichts Genaues, weiß man. Nicht mal der Netzbetreiber 50Hertz, der die HGÜ-Leitungen – die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungs-Leitungen, wie es technisch korrekt heißt – verlegen wird. Bis jetzt ist der Trassenverlauf für die Menschen nur vage durch "Korridore" zwischen den Endpunkten fragmentarisch angedeutet.
"Wir haben ja schon die Erfahrung gemacht, bei ganz vielen anderen Projekten, die in die Natur eingreifen, dass es erst zu größerem Widerstand kommt, wenn man die eigene unmittelbare Betroffenheit erkennt. Dazu muss man die Fläche kennen, wo eine Anlage drauf gebaut werden soll oder die Trasse. Und solange man die nicht kennt, weiß man nicht, ob man unmittelbar betroffen ist. Wenn man aber unmittelbarer betroffen ist, da kommt man stärker dazu, sich zu beteiligen."
In Sachsen-Anhalt können viele Menschen mit dem Streit um die Stromtrassen überhaupt nichts anfangen, winken bei dem Thema nur ab. Die Gründe sieht Umweltschützer Wendenkampf auch darin, dass in Sachsen-Anhalt Einwände oder Kritiken jeglicher Art von Landespolitikern autoritär wegdiskutiert würden. Ein Umgang, der die Menschen im Land irritiere bzw. einschüchtere, so seine Beobachtung.
"In Sachsen-Anhalt habe ich eher den Eindruck, dass man weniger als in anderen Bundesländern die Hoffnung hat, dass das, was man aus bürgerschaftlichem Engagement artikuliert, in der Politik überhaupt so weit ankommt, dass darüber nachgedacht wird. Hier wird nach meinem Eindruck sehr stark so gehandelt, dass das, was man mal geplant hat, auch durchgezogen wird. Und ob da die Bevölkerung eine andere Sicht hat oder nicht, ist relativ egal."
Ortswechsel. In Stößen gärt und brodelt es. Ein kleines Dorf im Süden Sachsen-Anhalts. Es liegt im Burgenlandkreis, einer idyllisch gelegenen hügeligen Gegend, an der Grenze zu Thüringen. Stößen ist das gallische Dorf Sachsen-Anhalts, das einsam gegen die Mega-Stromtrassen kämpft. Hier sind die Menschen richtig wütend. Was damit zu tun hat, dass die Stromtrasse haarscharf am Marktplatz des 900 Seelen-Ortes vorbei gehen soll.
Einer, der richtig tiefe Sorgenfalten im Gesicht hat, ist der Rentner Reiner Ludwig. Die Strommasten sollen nämlich hinter seinem Haus aufgestellt werden.
"Auf der einen Seite ist diese Energiewende notwendig. Aber nicht um jeden Preis. Man könnte sich jetzt im Vorfeld noch darüber einigen, wo geht der Weg lang. Und nicht beim Nachbarn durch den Vorgarten."
Der Bürgermeister droht mit einem Proteststurm
Erst die Windräder vor dem Haus. Jetzt die Strommasten. Ludwig fühlt sich vom Netzbetreiber 50 Hertz überrumpelt. Mag sich nicht ausmalen, dass spätestens 2018 500 KV Leitungen an seinem Haus vorbei führen sollen.
67 mögliche Trassenverläufe sind auf der Webseite des Netzbetreibers 50 Hertz für den sogenannten Korridor D für die Hochspannungsleitung nach Bayern zu sehen. Das über 1000 Jahre alte, mittelalterliche Dorf Stößen scheint aber bei keiner Planung verschont zu werden. Das liegt an der hochmittelalterlichen Herrschaftslandschaft Saale-Unstrut, die in direkter Nachbarschaft liegt und dieses Jahr möglicherweise zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wird. Eine Gegend, zu der der berühmte Naumburger Dom oder das ehemalige Zisterzienser Kloster Pforte gehört. Dass hier kein Strommast das Landschaftsbild zerstören wird, ist jedem völlig klar. Auch Evelyne Schwikall. Bauamtsleiterin der Verbandsgemeinde Wethautal, zu der Stößen gehört.
"Wir sind nicht gegen die Trasse. Es geht ganz einfach darum, dass die Bürger rechtzeitig vor Ort mit einbezogen werden."
Beim Netzbetreiber 50 Hertz kann man diese Kritik nicht nachvollziehen. Stattdessen rühmt man seine Öffentlichkeitsarbeit und betont vor Ort zu sein. Der ehrenamtliche Bürgermeister in Stößen, einstiges SED- und späteres CDU-Mitglied Horst Schubert schüttelt den Kopf.
"Unter den 500.000 Volt entsteht doch ein großes Magnetfeld. Und wenn dann die Einwohner ringsum gesundheitlich benachteiligt werden, dann werden wir einen Proteststurm entfachen…"
…wie der dann aussehe? Schubert grinst.
"Da blockieren wir die Arbeiten, ganz einfach. Machen wir uns zwar strafbar, aber da finden sich Leute."
Was würde eine Erdverkabelung kosten?
Aufruhr. Es fühlt sich an, als hätte man in ein Widerstandsnest gestochen. Doch als Totalverweigerer wie etwa in Bayern, sehen sich die Menschen in Stößen nicht. Reiner Ludwig fordert eine Erdverkabelung.
"Aber ich möchte es nicht haben, dass auf der einen Seite Hochleitungen kommen und ein Stückchen weiter unten im Süden ist es dann ein Naturschutzgebiet. Und dann machen wir gleich mal zwei Kilometer unter die Erde, weil man den Hasen stört. Das geht nicht."
Stößen grenzt jetzt schon an eine Trasse, an die A 9 Berlin-München. Und: Jeder habe irgendwie seinen Preis für die Energiewende zu zahlen, sagt der frühere Autoschrauber Ludwig noch. Aber der soll wenigstens gleich sein, ob in Bayern, Thüringen oder Sachsen-Anhalt.
Gegenargumente hat der Netzbetreiber 50 Hertz: Eine Erdverkabelung sei um ein fünf- bis zehnfaches teurer als gewöhnliche Hochspannungsleitungen. Das könne man den Menschen, die die Ausbaukosten mit der Stromrechnung mit bezahlen, nicht vermitteln. Stimmt nicht, sagt Dorothea Frederking von der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.
"Inzwischen gibt es Innovationen, dass die unterirdische Verkabelung, nicht teurer ist als die oberirdischen Leitungen. Diese Technik sollte genutzt werden."
2018 sollen die konkreten Trassenverläufe feststehen. 2019 ist Baubeginn, wenn alles nach Plan läuft. Ob es dann in Sachsen-Anhalt immer noch so ruhig ist? Der aus der bayrischen Oberpfalz nach Stößen eingewanderte Landwirt Roland Reil hat so seine Zweifel. Er kritisiert den Stromtrassenbefürworter, Sachsen-Anhalts CDU-Ministerpräsidenten Reiner Haseloff, und bezeichnet ihn als einen Industrie- und keinen Bürger-Versteher.
"So was ginge in Bayern nicht. Aber hier denkt man, dass man es machen kann."
Man hat fast den Eindruck, als wolle der Ur-Bayer Roland Reil den Menschen zwischen Arendsee und Zeitz eine Prise südliche Grantler-Wut mitgeben. Damit auch die Menschen in Sachsen-Anhalt auf die Barrikaden gehen. Wegen der Mega-Stromtrassen. In Stößen zumindest.