Sachter Start des Teilchenriesen

Von Frank Grotelüschen |
Nach wochenlangen Vorbereitungsarbeiten wollen die Ingenieure im Forschungszentrum CERN bei Genf den Teilchenbeschleuniger LHC wieder auf Touren bringen und den Geheimnissen des Urknalls auf die Spur kommen. Bekanntlich kam es ja nach dem ersten Start im September 2008 zu einem Crash, der das Abschalten des LHC zur Folge hatte. Tausende Wissenschaftler mussten ihre geplanten Experimente vorerst auf Eis legen.
"5,4,3,2,1 – Yes"

"Es ist ein historischer Moment. Um 10 Uhr 25 ist der Strahl zum ersten Mal umgelaufen. Mein Glückwunsch an alle Beteiligten!"

10. September 2008. Am Forschungszentrum CERN in Genf knallen die Sektkorken. Die Physiker haben die größte Wissenschaftsmaschine aller Zeiten gestartet – den Teilchenbeschleuniger LHC, eingebaut in einen 27 Kilometer großen Ringtunnel. Die Maschine soll Wasserstoffkerne auf Rekordenergien beschleunigen und so heftig aufeinander prallen lassen, dass dabei neue, unbekannte Elementarteilchen entstehen.

"Die bei Weitem größte und energiereichste Maschine, die wir haben auf der Welt. 27 Kilometer. Supraleitende Magnete. Riesige Mengen von Helium. Und hoffentlich bald viel schöne neue Physik."

Sagt CERN-Physiker Helmut Burkhardt. Doch dann, nur neun Tage nach dem Start, gibt es im Tunnel eine Explosion. Zwei Tonnen Flüssighelium, minus 270 Grad kalt, verdampften schlagartig. Die Druckwelle reißt Dutzende von tonnenschweren Magneten aus ihrer Verankerung – Magneten, die die schnellen Wasserstoffkerne auf ihrer Kreisbahn halten wie Schienen und die, weil sie supraleitend sind, auf minus 270 Grad gekühlt werden müssen. Verletzt wird niemand, doch die Unfallstelle gleicht einem Schlachtfeld. Die Ursache: ein defektes Spezialkabel.

"Eine Schwachstelle waren die Kontakte zwischen den Magneten. Da hat man die Supraleitung verloren und leider so eine Erhitzung bekommen, dass das flüssige Helium verdampft ist – was eine Druckwelle erzeugt hat und links und rechts Magnete verschoben hat."

Umgehend beginnen die Reparaturen. 55 Magnete müssen die Physiker austauschen oder reparieren. Damit der Beschleuniger nicht ein zweites Mal durchbrennt, installieren die Experten ein neues Frühwarnsystem. Es soll den Ring sofort abschalten, wenn sich eine Kabelschmelze auch nur andeutet. Sollte dennoch etwas schiefgehen, sollen die Folgen durch zusätzliche Sicherheitssysteme gemildert werden, sagt Helmut Burkhardt.

"Dann sorgen wir jetzt dafür, dass das viel lokaler ist, meinetwegen nur ein Magnet ausgetauscht werden muss. Die Magnete werden besser fixiert. Wenn Helium austritt, haben wir jetzt viel größere Ventile, die sich automatisch öffnen und das Helium schneller austreten lassen, damit es keine Druckwelle mehr gibt."

Doch die Arbeiten dauern länger als erwartet. Mehr als einmal muss das CERN den Termin für den Neustart des Beschleunigers verschieben – zur Enttäuschung der rund 10.000 Physiker aus aller Welt, die darauf brennen, endlich mit dem Riesenring experimentieren zu können. Dann, am 20. November 2009, mehr als ein Jahr nach dem Unfall, ist es soweit: Der LHC läuft wieder, wenn auch nur im Testbetrieb. Dieses Mal gibt's keine böse Überraschung – bislang jedenfalls. Deshalb soll es nun richtig losgehen. Der Testbetrieb ist zu Ende, endlich sollen die Messungen starten, und zwar am Dienstag.

"Ich bin sicher, dass es klappt – ich weiß nur noch nicht genau, wann","

sagt Rolf-Dieter Heuer, der Generaldirektor des CERN. Doch sind er und seine Kollegen vorsichtig geworden: Um ihre Maschine nicht wieder zu beschädigen, fahren sie sie äußerst behutsam hoch – und werden den LHC in den nächsten beiden Jahre nur mit halber Kraft laufen lassen.

""Wir gehen Schritt für Schritt vor. Deswegen laufen wir auch nur bei der halben Energie – nur in Anführungsstrichen. Denn ist einen Faktor dreieinhalb über der Energie, die jemals erreicht wurde – also ein fantastisches Potenzial für Entdeckungen in den nächsten zwei Jahren."

Also: Zwar läuft der 3 Milliarden Euro teure Superbeschleuniger vorerst nur mit angezogener Handbremse. Dennoch könnte er bereits neue Elementarteilchen produzieren – und damit eine nobelpreisverdächtige Physik. Insbesondere hofft Rolf-Dieter Heuer darauf, mit Hilfe des LHC ein altes physikalischen Rätsel zu lösen: Was nur steckt hinter jener rätselhaften dunklen Materie, die die Galaxien im Weltall zusammenhält wie ein unsichtbarer Klebstoff?

"Mein Traum wäre, dass man in den nächsten zwei Jahren das erste Licht ins dunkle Universum bringt. Und das wäre natürlich der Traum eines jeden Physikers."

Andere Physiker aber sind merklich zurückhaltender, etwa Kerstin Jon-And von der Universität Stockholm. Mit der reduzierten Energie wird die Datennahme bei LHC länger dauern als geplant, sagt Kerstin Jon-And.

"Deshalb denke ich, dass wir anfangs nur Phänomene finden werden, die bereits bekannt sind. Etwas wirklich Neues können wir in dieser Phase nur mit viel Glück entdecken."

Das bezieht sich vor allem auf die Suche nach dem Higgs-Teilchen, eine der Hauptaufgaben des LHC. Das Higgs soll dafür verantwortlich sein, dass andere Teilchen und damit auch wir Menschen überhaupt Masse besitzen. Doch solange der Beschleuniger nur mit angezogener Handbremse läuft, wird er das Higgs kaum aufspüren können. Das dürfte erst möglich sein, wenn der LHC mit ganzer Kraft läuft. Das aber wird frühestens 2013 passieren. Denn nach der ersten Phase mit halber Energie wird das CERN den Ring erst mal für ein Jahr abschalten müssen, um ihn gründlich zu warten und zu inspizieren.
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