Heilung durch Konfrontation
Ab Samstag zeigt das Frankfurter Museum für Moderne Kunst die Ausstellung "Sacrifice and Harmony" des Franko-Algeriers Kader Attia. Attias Installationen thematisieren den gescheiterten Frieden in der arabischen Welt und die Möglichkeiten der Heilung.
Der 1970 geborene Franko-Algerier Kader Attia gehört zu den wichtigsten Künstlern seiner Generation. In seiner Ausstellung "Sacrifice and Harmony", die ab Samstag im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt zu sehen ist, widmet er sich dem Arabischen Frühling und dessen Scheitern.
"Mir geht es in dieser Ausstellung auch darum, was das menschliche Opfer letztendlich bedeutet", sagt Attia. "Es gibt eben diese Tradition der Menschheit, sich zu opfern. Und das hat man getan, um aus dem Chaos eine Art Gleichgewicht, eine Art Harmonie wiederherzustellen."
Obwohl die Opfer des Arabischen Frühlings umsonst gebracht worden seien, gebe es die Chance zur Heilung. Aber dazu müsse man sich erinnern und mit den Wunden leben.
"Der Westen hat eben oft den historischen Fehler begangen, dass er versucht hat, seine Wunden, seine Verletzungen, seine Narben zu verstecken, sie überhaupt nicht mehr zu thematisieren. Opfer und Harmonie bedingen einander. Es gibt kein Opfer ohne die Harmonie. Es gibt keine Harmonie ohne das Opfer. Und Kunst und Krieg hängen auch zusammen."
Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Ja, für seine Kunst braucht man Nerven! Das Werk von Kader Attia zu betrachten, das ist eine Herausforderung. Geboren in Frankreich, konzentriert sich der Sohn algerischer Einwanderer auf die Verletzungen, auf die Wunden und die Narben vor allem in der arabischen Welt. Große Holzköpfe mit entstellten Gesichtern erinnern an die Verstümmelungen, die Soldaten im Ersten Weltkrieg davongetragen haben. Zu sehen sind Attias Skulpturen, Installationen und Fotografien ab heute im Museum für Moderne Kunst unter dem Titel "Sacrifice and Harmony", "Opfer und Harmonie". Wo Kader Attia zwischen den Opfern die Harmonie findet, das habe ich den Künstler hier im "Studio 9"-Gespräch gefragt, guten Morgen, bienvenu!
Kader Attia: Merci!
Durch den Käfig in den Ausstellungsraum
Welty: Wer Ihre Ausstellung besucht, der muss durch eine Art Käfig. Mit einer solchen Konstruktion schützen sich palästinensische Bewohner in Hebron in Israel vor dem Müll, der von den jüdischen Bewohnern der oberen Stockwerke heruntergeworfen wird. Warum wählen Sie diese Art von Eintritt?
Attia: Ich wollte eine ganz konkrete Situation zeigen, die in der kleinen Stadt Hebron tagtäglich geschieht. Und zwar habe ich das aus politischen Gründen gemacht, aber auch aus mystischen Gründen. Denn da treffen Moslems und Juden täglich aufeinander, und das Ganze in der Nähe des Grabes von Abraham. Und das drückt diesen Konflikt eben auch auf einer globalen Dimension letztendlich aus. Ich wollte aber auch von dem Konflikt zwischen Reich und Arm reden, von denen da oben und denen da unten, so habe ich diese Ausstellung auch genannt im Original.
Es geht aber auch darum, dass ein Volk unterdrückt wird von einer Gesellschaft, die meint, über diesem Volk zu stehen. Und es ist auch natürlich nicht nur eine Frage von Unterdrückung und von Gefängnis, sondern ich erinnere auch, dass es sehr viel Gewalt und Terror gegeben hat, zum Beispiel das Attentat von Goldstein, der 19 Tote in einer Moschee in Hebron ermordet hat. Insofern gibt es da sehr viele Bedeutungen.
Was aber Fakt ist, ist, dass in der Altstadt, also oben, da sitzen die orthodoxen Juden. Das sind die Falken, die sich auf illegale, aber auch auf legale Art und Weise die Wohnungen besorgt haben und wirklich versuchen, tagtäglich die Palästinenser, die unter ihnen wohnen, zu provozieren und auch zu verletzen, indem sie einfach ihren Müll herunterschmeißen auf die Straße, streckenweise auch ihre Fäkalien. Und damit wollen sie die palästinensischen Einwohner, die da unten ihre Geschäfte haben, letztendlich zwingen, die Stadt zu verlassen. Nur haben die Kunden, sie müssen davon leben, sie müssen Familien ernähren.
Und insofern ist das für mich auch ein Ausdruck von psychischer und physischer Unterdrückung und das erinnert eben an Gefängnisse, das erinnert an psychiatrische Anstalten, das erinnert aber auch an Konzentrationslager. Und deswegen muss man so meine Ausstellung betreten.
Opfer bringen für das Gleichgewicht
Welty: Was bedeutet das für die Besucher der Ausstellung? In welcher Verfassung betreten sie Ihre Ausstellung und wie nah kommen sie dann damit dem Lebensgefühl in der arabischen Welt, das eben gekennzeichnet ist durch so viel Wut und auch durch so viel Verzweiflung?
Attia: Mir geht es in dieser Ausstellung auch darum, was das menschliche Opfer letztendlich bedeutet. Und das ist ein Konzept, das ich vom französischen Philosophen René Girard mit übernommen habe, der gesagt hat, dass die Mythen so viel Wahrheit letztendlich erhalten, dass sie wie real erscheinen. Und es gibt eben diese Tradition der Menschheit, sich zu opfern. Und das hat man getan, um aus dem Chaos eine Art Gleichgewicht, eine Art Harmonie wiederherzustellen. Daher rührt dann auch der Titel meiner Ausstellung.
Und ich stelle eben heute fest, dass in den besetzten Gebieten, da, wo Palästinenser besetzt sind, eine Ungleichheit herrscht, eine Unterdrückung herrscht. Aber ich stelle eben auch fest, dass der Arabische Frühling eigentlich gescheitert ist und dass die Opfer, die gebracht worden sind, eigentlich umsonst waren. Und die ganze arabische Welt hat ja unter dem Kolonialismus auch deshalb so gelitten, weil der Westen überhaupt nicht verstanden hat, was in Afrika, was in Indien, was in der arabischen Welt vor sich geht.
Und wenn man immer von Demokratie redet, dann muss wirklich gesagt werden: In der arabischen Welt herrscht diese Demokratie nicht, weil, in dem Moment, wo die Demokratie am Entstehen war während des Arabischen Frühlings, ist sie von der Armee unterdrückt worden oder von radikalen Islamisten unterdrückt worden oder aber von Regierungen, die der Westen anerkannt hat, obwohl sie gar nicht legitim waren. Eine Freiheit ohne Frieden kann es nicht geben, das trifft auch auf Ägypten und auf Mursi zu. Und dann kann es eben auch keine Demokratie geben.
Keine Harmonie ohne das Opfer
Welty: Aber wo in diesem Fehlen von Demokratie gibt es denn dann eine Chance auf Positives, auf Heilung, auf Überwindung der Konflikte? Wo zwischen den Opfern finden Sie Harmonie?
Attia: Also, sicher ist die Harmonie möglich. Das ist das, womit ich mich seit Jahren beschäftige. Und ich nenne es reparieren, ich nenne es heilen. Und das kann man historisch sehen, bei Darwin beispielsweise, aber wenn wir zurückblicken in alte Gesellschaften, die haben dann angefangen, kaputte Dinge plötzlich wieder heil zu machen. Für mich ist das ganz wichtig, dass man sich wirklich erinnert. Und der Westen hat eben oft den historischen Fehler begangen, dass er versucht hat, seine Wunden, seine Verletzungen, seine Narben zu verstecken, sie überhaupt nicht mehr zu thematisieren.
Opfer und Harmonie bedingen einander, es gibt kein Opfer ohne die Harmonie, es gibt keine Harmonie ohne das Opfer. Und Kunst und Krieg hängen auch zusammen. Wenn wir uns die großen avantgardistischen Kunstströmungen anschauen wie Dada, die Surrealisten oder die Futuristen, die haben sich während der beiden Kriege, des Ersten und des Zweiten Weltkriegs sozusagen gefunden. Und das ist eben für mich fundamental: Wenn wir etwas verstehen wollen, dann dürfen wir es nicht negieren, dann dürfen wir es nicht unterdrücken, sondern wir müssen permanent mit diesen Wunden leben, damit wir diese Wunden heilen können. Und nur so können Menschen letztendlich friedlich zusammenleben.
Braucht die arabische Welt Demokratie?
Welty: Wenn wir auf diese verschiedenen Schauplätze gucken, wo Heilung, wo Reparatur stattfinden muss, ob das Algerien ist, ob das Ägypten ist, ob das die Banlieues von Paris sind, wo ja auch ein Teil Ihrer Biografie stattfindet: Sind wir zu ungeduldig?
Attia: Das ist wirklich eine gute Frage. Es gibt wirklich auch arabische Wissenschaftler, arabische Gelehrte zum Beispiel in Algerien, die behaupten, wir brauchen gar keine Demokratie, alles, was wir brauchen, ist Wirtschaftswachstum. Aber dann ist noch etwas anderes passiert eben mit diesem Arabischen Frühling – und ich gebe Ihnen recht, dass wahrscheinlich die Erwartungshaltung im Westen einerseits zu hoch ist –, aber ich sehe noch etwas anderes als sehr viel problematisch an, und das ist einfach die Welt, in der wir leben.
Dieser neoliberale Kapitalismus, der überall auf der Welt herrscht, bringt eben auch Geopolitik ins Spiel. Und viele arabische Staaten verfügen über Öl und dann werden die Spielregeln wieder ganz neu aufgestellt. Und deswegen sind Revolutionen eben gestoppt worden, deswegen hat sich das ereignet, was im Irak letztendlich passiert ist, weil letztendlich dieser neoliberale Kapitalismus ganz fatale Auswirkungen gehabt hat und natürlich auch diesen Arabischen Frühling in gewisser Weise stark gestoppt hat.
Welty: Er konfrontiert, um zu vermitteln. Kader Attia stellt aus im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt. Er sprach darüber hier in "Studio 9" und für beides sage ich Danke, wie ich mich auch bei Jörg Taszman fürs Übersetzen bedanke, denn das Gespräch mit Kader Attia haben wir aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.