Sächsisches Heldenleben

Von Nana Brink |
Was bringt Menschen dazu, eine der blutigsten Schlachten der jüngeren deutschen Geschichte "nachzuspielen"? Jahr um Jahr ziehen zum Jahrestag der Völkerschlacht 1500 Freiwillige ins Feld. Zum 200. Jahrestag der Schlacht haben sich nun sogar 6000 Teilnehmer angemeldet.
Bevor wir in die Schlacht ziehen, wollen wir uns erinnern. Die Leipziger Völkerschlacht: 16. bis 19. Oktober 1813. Auf der einen Seite: Russland, Preußen, Österreich, Schweden. Auf der anderen: Napoleon und seine deutschen Verbündeten. Die Fronten sind klar. Vier Tage, eine halbe Million Soldaten, 110.000 Gefallene. Die größte Schlacht des 19. Jahrhunderts. Auf europäischem Boden.

"Abteilung rechts um! Gewehr auf! Vorwärts marsch... Wir gehen jetzt in Richtung Gefechtsfeld... das ist der Anmarsch... in einer viertel Stunde... ist schon ein bisschen aufregend... weiß ja, wie es ausgeht ... aber es ist immer ein bisschen anders... Routine wäre das Schlimmste."

Die Leipziger Völkerschlacht 2013. Erster Tag. Über 6000 Soldaten. Keine Gefallenen. Und wir sehen: Die Fronten sind durchlässig.

"Hat der irgendeine Darstellung? Leipziger haben wir viele? Was stellt der für eine Waffengattung dar? Franzose, Sachse, Preuße? Die Sachsen haben ein Extra-Biwak ... Hier sind nur Preußen .... am besten durch die Gassen gehen, die Einheiten formieren sich gerade, hier so ein bisschen links schwenken...da wo es glitzert, sind schon ein paar Offiziere, Sie werden ihn schon finden, wenn er ein Preuße ist...."

Wir finden unseren Preußen. Im Biwak. Mit Sachsen und Franzosen. "Reenactment" nennt man dieses Hobby. Erfunden haben es die Waffenbrüder aus Amerika. Dort findet jährlich der "Bürgerkrieg" statt. Hier wiederholt sich jedes Jahr die Völkerschlacht.

"Nö Keilerei nicht, Gruppenerlebnis unter Männern, ich weiß nicht, ob sich ne Skattruppe zusammen oder ne Frauengruppe mit Stricken und Häkeln nicht auch so, es sind psychologisch immer dieselben Abläufe, man hat ein gemeinsames Hobby und det macht Spaß, basta!"

"Jetzt gehen die preußischen Jäger vor mit Unterstützung der Lützower…. Gefechtsfeuer… preußische Infanterie unter Hauptmann Breuer, ... Preußen wussten zu kämpfen... und nun wollen wir das Bild mal auf uns wirken lassen…"

Kapitel 1 – "Hier wird nicht gespielt!"
Früh morgens sind wir ins Biwak geladen. Und irgendwie fehl am Platz. Zwischen qualmenden Lagerfeuern, Pferden, Wassereimern und müden Soldatengesichtern.

"Zack zack, macht mal euren Dienst hier!... Kleine Prozedur, das dauert immer ein paar Minuten, eher man sich angezogen hat. So dann haben wir für die linke Seite, wo der Säbel hängt die Trinkflasche... ganz wichtig...Wasser, wobei man früher Alkohol drin hatte, sauberer als Wasser .... Ja, es ist schon so, dass es ein Lebensgefühl ist, so authentisch darstellen, wie es nur geht und jeder nach seiner Facon... aber verkleiden wäre das falsche Wort, das ist kein Theater, was wir machen, sondern das lebt man schon richtig damit, wir schlüpfen in diese Rolle hinein und leben sehr viel unseres Lebens in dieser Zeit..."

Wir lernen: Darstellen heißt das richtige Wort. Es wird "dargestellt". Und gedrillt. Und exerziert.

"Ein Capitain der 27. Linie, momentan abkommandiert als Adjutant eines Brigadegenerals, sieht man an der Armbinde. Ich mache dieses Hobby mittlerweile 24 Jahre und angefangen als einfacher Soldat und ich weiß, was ich meinen Soldaten zumuten kann. Aus dem Gefühl heraus, weil ich selber schon in der Linie gestanden habe. Dann müssen sie das Exerzierreglement beherrschen und ... alle sind nach dem französischen Reglement gedrillt."

Also: Soldat darstellen. In der Vormittagshitze.

"Ich darf mich erst mal vorstellen, ich bin Wehrmann der Kurmärkischen Landwehr. Und ich bin im Moment dabei, meine Muskete zu pflegen mit einem Öllappen, und die braucht Pflege, weil sie ist nicht wie die heutigen Waffen aus Stahl, sondern aus Eisen, und Eisen hat einen entscheidenden Nachteil, Eisen und Feuchtigkeit heißt immer Rost! Und dieser Rost muss beseitigt werden ,nicht nur damit ich nachher keine Ärger kriege mit meinem vorgesetzten Offizier, sondern auch um diese Muskete mit seinem Steinschloss funktionsfähig zu halten... (hört man).. das macht Spaß, das ist Geschichte, das ist lebende Geschichte, und natürlich, gehört ein Stück Ehrlichkeit dazu, es macht Spaß, so eine Muskete abzufeuern! Det knallt und rumst und da kommt der kleine Junge in mir hoch."

Wir sehen also: Die Leipziger Völkerschlacht macht Spaß. Aber der Spaß hat Grenzen....

"Also tot umfallen ist nur, wenn der Offizier sagt, jetzt müssen alle umfallen... aber da ich Fahnenträger bin, darf ich eh nicht umfallen, Fahnenträger fällt nicht... die Fahne ist das wichtigste in der Truppe, wenn die Fahne oben ist, ist die Moral der Truppe auch so, dass sie kämpfen ... Manchmal ja, wenn die Munition alle ist...und dann ist man da... und dann steht man wieder auf und das ist das Schöne!"

Kapitel 2 – Sachsen in preußischen Uniformen
Nur noch ein paar Stunden bis zum Beginn der Völkerschlacht. Wir sind verwirrt. Im Preußenlager sprechen Preußen Sächsisch.

"Darauf kommt es bei uns gar nicht an! Also gewinnen oder verlieren, spielt keine Rolle. Erstens gleicht es sich ja aus, weil wir diese Epoche ja durchspielen, von 1806 bis 1815, und da spielt es keine Rolle. Ja falsche Seite, will ich gar nicht bewerten, sagen wir, auf der Verliererseite gestanden. Denn falsch ist ja eher eine Betrachtungsweise. Aber Sie haben sicherlich recht, 1806, haben die Sachsen mit Preußen in Jena-Auerstedt gekämpft und haben verloren und 1813 haben sie gegen die Preußen mit den Franzosen gekämpft und haben auch verloren, - ja Sachsen Glanz und Preußens Gloria. Ich bin preußischer Unteroffizier und gehöre dem 2. Garderegiment zu Fuß an. Und wir haben heute das Glück, historisch gesehen, diese Schlacht auch zu gewinnen!"

Die Feinde also treffen sich am Lagerfeuer. Auch so ein falsches Wort, erfahren wir.

"Aber Feindschaften gibt's zwischen uns gar nicht.... wir haben Gefechte, da kämpfen wir gegen die Sachsen und dann haben wir Gefecht, da mit den Sachsen, aber Feindschaften... wir historischen Vereine sind alle untereinander Kameraden. Jedem wird geholfen, wenn es etwas fehlt, egal, was es ist, Essen trinken, ein Schlafplatz, man guckt immer, das alle unterkommen.

Auf dem Schlachtfeld wird es dann dargestellt, wir gehen dann auch ins Gemenge, das wird schon mal ein bisschen grober, wenn’s vorbei ist, bedanken wir uns alle und ob s ein Franzose oder ein Pole ist, im Nachhinein sitzen wir alle am Bierwagen und trinken ein Bier, ob Franzose oder Preuße...."

Und dann wird es philosophisch. Kurz vor dem Mittagessen. Am Lagerfeuer. Zwischen Franzosen, Preußen und Sachsen.

"Das ist immer das berühmte Thema: Warum stellt man Krieg dar? Ich sage immer, an unseren Feuern lebt eigentlich der Frieden, denn wir treffen uns hier mit Leuten aus ganz Europa, der ganzen Welt in diesen Biwaks und da gibt es eben keine Feindschaft im Gegensatz zu den Soldaten, die früher hier gesessen haben. Wir reden alle über das vereinte Europa, aber bei uns findet das schon längst statt, schon bevor man darüber geredet hat .... und trotzdem wir Waffen in der Hand haben und Uniform tragen, sind wir die Friedlichsten, die sich über Ländergrenzen hinweg verstehen..."

"Wir freuen uns immer wieder, wenn wir die Leute treffen, die nett sind, freundlich sind oder die Franzosen, aber am Lagerfeuer bisschen klönen , mehr wollen wir nicht und dann die Geschichte nachstellen, dass ist eigentlich eine völkerverbindende Sache, wir machen mehr wie unsere Herren Politiker in Berlin... (lacht)....kurz gesagt, wie haben alle dasselbe Hobby…"

In einem sind sich die Preußen, Sachsen und Franzosen auch einig. Die Völkerschlacht 1939 bis 45 ist tabu.

"Nein, in keinem Fall, da ist eine Barriere, wir im Verein haben einen Kodex: Menschen, die noch leben und an Kriegen teilgenommen haben, deren Periode stellen wir nicht nach, aus Respekt... für mich persönlich ist es gar keine Frage, so was zu tun, dafür leben noch zu viele Leute, die das mit gemacht haben, und im Zweiten Weltkrieg sind ja auch böse Sachen in Verbindung mit den Juden, und ich glaube, wenn ich dann als Wehrmachtssoldat auftreten würde, könnte ich solchen Leute, die im Holocaust waren, ganz bös weh tun, das würde ich nie mit mir übereinbringen können."

Wir wechseln jetzt die Seiten. Auf dem Weg zum Sachsen-Lager liegt ein Buchenhain. Steinplatten neben dem Kiesweg. Hunderte Namen mit Kreuzen. Wir sind fast allein.

"Aber ich staune über die vielen Länder, die hier aufgeführt sind... die waren doch nicht alle hier, oder?? Die Russen, und aus Kroatien und weiß ich woher .... die sind alle vom Zweiten Weltkrieg... Das eine ist Krieg und das andere ist auch Krieg, das passt doch alles zusammen, da sehe ich keinen Widerspruch....
Das man es nachspielt, ist natürlich merkwürdig, aber es tut der Sache keinen Abbruch, dass man sich erinnert einerseits, und das man es nachspielt, das mögen die Leute, ich sehe da keine große Sache darin..."

Kapitel 3 – Fröhliches Lagerleben
Mittag. Wir erreichen das Lager der Sachsen. Ein Eisenkessel hängt über dem Feuer. Mit Erbsensuppe. Davor ein paar Dutzend Soldaten in schmutzig-weißen Hosen. Mit Blechnäpfen und -löffeln.

"Ey sag amal! (Küchenmagd haut Soldat auf die Finger)... kriegst gleich ein paar, kannst nicht warten... der hat so nen Hunger hier... ey eine! Die sind abgezählt!... Eine Wiener, die sind abgezählt .... das ist nicht dein Ernst? ... Und Brötchen... und jetzt kriegt ich dem seine angetaschte Wurscht?????... au das wird ja heiß!... Nu freilich.... Danke das reicht!"

Das Rezept für die Suppe stammt von 1813. Die Wiener Würste sind ein Zugeständnis.

"Eigentlich gibt's ein Gesetz, ab um neun sonnabends hat jedes neuzeitliche Material zu verschwinden, um auch für die Besucher einen realen historischen Eindruck herzustellen und da muss man dann auch mal darauf hinweisen, dass das zu verschwinden hat... keine Handys gar nichts, höchstens im Zelt dann, nichts außen, auch kein Handy, weil das gab's damals nicht."

Streng ist das Reglement. Eigentlich.

"Es ist ein ewiger Fachstreit innerhalb der Gruppe, darf abends eine Plastikflasche auf dem Tisch stehen? Nein, die hat da nichts zu suchen! Mit der Brille, die ich jetzt trage, dürfte ich hier gar nicht rumlaufen, ja man kann's übertreiben...."

Aber die Geruchsbildung ist authentisch.

"Ohne Seife... aber als Mann ist das nicht so schlimm... man riecht das nicht untereinander, wenn jetzt da gewisse Reinigungsdefizite sind... (lachen)... na so stinken wir nicht wie ein Wiedehopf... wir haben auch in unserem Gepäck Ersatzhemden... da wird auch mal ein Hemd gewaschen... Es ist ja auch ein bisschen Lagerfeuerromantik dabei... und auch ne Kameradschaft.... und das man auch aus dem normalen Alltag mal rausschert... und das Schönste ist, wenn man wieder zurückkommt, das ist dann die Badewanne..."


Aber davor ist die Schlacht. Und das Mittagsschläfchen. Auff Stroh.

"Übereinander! ... (lachen)... nein, Decke....und Stroh ... (lachen)... ich muss dazu sagen, ich habe ein Zimmer im Hilton... da schläft es sich ziemlich gut drauf auf dem Stroh...wir schlafen uns mal richtig aus, weil wir zuhause nicht ausschlafen dürfen... gestern mit Hut, heute mal ohne... wo ist denn die Führung? Keine Ahnung..."

Kapitel 4 – Ohne Prüfung kein Schuss!
Früher Nachmittag. Aufbruchsstimmung im Lager der Preußen. Ein Offizier bittet uns unter eine weiße Zeltplane. Wir blicken in 20 gespannte Augenpaare.

"Franzosen geben nicht auf, sie geben einfach nicht auf und dann wird ihnen angeboten.... kein Bajonettangriff, dann Ruhe... es könnte sich was ändern, selbstständig reagieren, ihr seid alle dazu ausgebildet.... danke Männer."

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Wir sind schließlich in Preußen.

"Wir haben Sicherheitsregularien und die beachten wir auch. Wer sich so ne Muskete kauft und damit rumhantiert, der begeht eine Straftat! Und es ist auch gut so, dass wir eine Prüfung machen, die geht ein ganzes Wochenende ... denn Schwarzpulver hat bestimmte Eigenschaften und da gibst auch den ganz großen Punkt, Unfallverhütung...Ich darf nur mit Schwarzpulver böllern, ist ja kein Schießen, weil kein Schuss im Lauf ist, darf ich nur mit Prüfung, nach Paragraf 27 des Sprengstoffgesetzes, wenn ich sie nicht habe, begehe ich eine Straftat."

<ha>Schluss. Showdown auf dem SchlachtfeldWir treffen unseren preußischen Offizier wieder. Er ist ein wenig nervös. So kurz vor der Schlacht.

"Also die Stiefel, die ich anhaben darf, als Gardist, die grauen Feldhosen, der Uniformrock... die waren eng geschnitten, etwas auf den Körper geschnitten... blauen Uniformrock mit goldenen Knöpfen... müssen wir die Knöpfe zumachen, sind acht Stück. Hören Sie schon die Befehle des 1. Garderegiments, die sich schon fertig machen. Und links von mir marschiert schon ein sächsisches Regiment, während sich die Preußen noch ein bisschen Zeit lassen können. So Uniformrock ist angezogen, Knöpfe sind zu..."

Da steht er. Geschniegelt. Kerzengerade. Ungeduldig.

"Fertig werden! Soll ich Dir mal zeigen, wie Eile aussieht! Da haste nen wunden Po....! Das ist die Mittagsschläfrigkeit.... Feeertiig werden!"


Es dauert eine Weile, bis aus Kurmärkischer Landwehr, Garderegiment und Lützower Freicorps ein marschierender Haufen wird.

"Ein Wunsch ist, das alles gut, dass keiner verletzt wird, daran denkt man jetzt, die Abläufe sind klar, ich selber bin jetzt nicht kirchlich, deshalb kein Gebet, historisch aber wäre das so... und dann marschieren auf Gefechtsfeld und schwitzen schön vor uns hin."

"Sie merken schon die Preußen, die Preußen... Sie hören Kommandos, ganz nah an den Geschützen, fast jeder Kanonier ist fast taub…. Und die Kommandeure müssen so laut brüllen, dass auch jeder Handgriff sitzt... (Gefechtslärm) …Ich möchte das hier noch einmal sagen, dass die sächsische Armee einer der tapfersten Armeen auf der napoleonischen Seite war und haben um den Adler gekämpft, und Napoleon hat ihnen den immer wieder verwehrt..."

"Die Gendarmerie und der Rittmeister weisen einen Fotografen vom Platz, so geht’s natürlich nicht, das einfach hier, wenn die Gewehre und Kanonen sprechen…"

Nach drei Stunden nehmen wir unsere Ohrstöpsel heraus. Die Völkerschlacht 2013 ist zu Ende. Die Toten stehen auf. Und die Fronten verwischen wieder.

" Vive la France!... Vive la France!"</ha>
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