Die Stimme Timbuktus
Als Islamisten 2012 den Norden Malis besetzten, mussten viele Menschen flüchten. Unter ihnen war auch die Sängerin Khaïra Arby aus Timbuktu, die seither mit hypnotischen Sounds gegen den Krieg ansingt. Im Berliner Lido gab sie ihr einziges Deutschlandkonzert.
In der Mitte der Bühne steht eine Diva: In ihrem rot-weißen Gewand, mit Kopfschmuck und schweren Ketten um den Hals ist die füllige Sängerin Khaïra Arby eine Erscheinung. Dazu kommt die warme Stimme der 55-Jährigen.
Beim Konzert in Berlin entwickelt die Musik ihrer Band einen hypnotischen Sog. Lässige rhythmische Schleifen, begleitet von Kalebassen, Djembé-Trommel und Talking Drum. Dazu – mal rockige, mal perlende – E-Gitarren, die Ngoni-Laute und Khaïras wie ein Widerhall von Weite und Wüste klingende Stimme.
Khaïra Arby, sie ist die "Nachtigall des Nordens" genannt wurden – oder auch "Königin des Wüstenblues". Ihre Heimat ist das legendäre Timbuktu. Am Schnittpunkt großer Verkehrswege gelegen gilt es seit Jahrhunderten als weltoffene Stadt. So ist es auch für Khaïra selbstverständlich, in mehreren Sprachen zu singen:
"In allen Sprachen, die es in Mali gibt. Ich spreche das Arabisch der Berber, Bambara, Ful, Dogon, Senufo und ich beherrsche auch zwei Dialekte der Tuareg."
Doch als 2012 islamistische Extremisten die Oasenstadt im Norden Malis besetzten, war es mit dem Frieden vorbei. Die Fanatiker zerstörten wichtige Mausoleen, verboten "westliche" Musik und duldeten nur noch Koransuren als Handy-Klingeltöne. Auch Khaïra wurde bedroht, und ihr blieb keine Wahl, als Timbuktu zu verlassen:
"Es war sehr schwierig. Ich wurde ja zum Weggehen gezwungen. In Bamako habe ich kein Haus, ich musste mir also etwas mieten. Meine Instrumente und mein Equipment wurden zerstört, und ich wurde von meinen Eltern getrennt. Meine Familie lebt jetzt verstreut in Burkino Faso, Niger und Mauretanien. Ich aber bleibe in Bamako."
Ihre Stimme sei ihre Waffe, sagt Khaïra
Die radikalen Islamisten wurden zwar schon 2013 vertrieben, doch die Kämpfe im Norden Malis dauern an. So ruft Khaïra ihre Landsleute weiterhin von Malis Hauptstadt zur Versöhnung auf. Ihre Stimme sei ihre Waffe, sagt sie. Und die auch einzusetzen, halte sie für ihre Mission:
"Ja, das ist sehr wichtig für mich. Weil man mit Liedern Botschaften des Friedens besser artikulieren und verbreiten kann, als es die Politiker können."
In Berlin stellt Khaïra ihr neues Album "Gossip" vor. Darauf gibt es gleich mehrere Friedenslieder – und viele Hymnen: auf Freunde und Unterstützer, auf die erste Frau, die in der Timbuktu-Region Bürgermeisterin wurde, und im Song "Tandina" auf ein verstorbenes Bandmitglied – ihren Leadgitarristen Bastos. Seinen Platz eingenommen hat Dramane Toure, der Sohn von Bastos.
Eine Familienangelegenheit ist ihre fünfköpfige Begleitband ohnehin: Neben Dramane Toure spielen auch zwei ihrer Söhne und ein Neffe mit. Und gerade wenn sich ihre jungen Begleiter etwas zurücknehmen, dann kommt Khaïras Stimme zur Geltung – wie beim Reggae "Tijani Ascofare". Gewidmet ist das Lied eben jenem Tijani, einem Jugendfreund, der noch später, als er Karriere beim Militär machte, seine schützende Hand über Khaïra hielt.
Im Berliner Lido ist das Publikum erst zurückhaltend. Doch schnell ist der Bann gebrochen. Mit anmutigen Gesten fordert Khaïra die Zuschauer zum Mitmachen auf. Die, die gekommen sind, nehmen die Einladung dankend an – es sind keine zweihundert Gäste. In Timbuktu ist Khaïra Arby eine Legende – in Deutschland gilt es sie noch zu entdecken.