Die singende Sozialistin
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Sie kam aus armen Verhältnissen und wurde mit ihren Brecht-Interpretationen nicht nur in ihrer Heimat Italien bekannt. Milva konnte die verschiedensten musikalischen Formate bespielen. Und die Herzen des Publikums gewinnen.
Als die große Diva Milva in Österreich vor zehn Jahren mal Dürrenmatts "Alte Dame" spielen sollte, lernte sie acht Monate lang jede Silbe auswendig – und schickte dem Regisseur dann eine CD als Beweis, dass sie es konnte. Unter ihrer Würde war das nicht, denn sie füllt ihre Rolle als extrem begabte Sängerin seit jeher mit dem Ethos der Arbeiterin.
Aber so war sie schließlich überhaupt zum Singen gekommen: Als ihre Eltern in den 50er-Jahren aus Geldgründen die Kleinstadt an der Po-Mündung verließen, weil Papas Fischhandlung pleitegegangen war und in die große Stadt Bologna zog, wo es vielleicht Arbeit gab, und als die 16-jährige Maria Ilva Biolcati mit der begnadeten Stimme ein bisschen Geld dazu verdienen konnte.
Von kleinen Nachtklubs auf die großen Bühnen
Mit kurzgeschnittenem, tiefschwarzem Haar trat sie als "Sabrina" in kleinen Nachtklubs auf. Ihre Schwester schickte eine Tonbandaufnahme an den traditionellen Talentwettbewerb des italienischen Rundfunks, wo Milva sich gegen 7600 Mitbewerberinnen durchsetzte. 1959 war das. Von da an stand Milva der Weg zum Erfolg offen, und sie verstand es blenden, ihn zu beschreiten.
Milva ließ sich die schwarzen Haare rot färben und wurde zu La Rossa, die ein paar Jahre lang als italienische Schlagersängerin reüssierte – höchst erfolgreich, neben Mina. Aber zwölf Jahre später war die überzeugte Sozialistin aus der Arbeiterklasse von dem Brecht-Erneuerer Giorgio Strehler fürs Theater entdeckt worden. 1972 erschien also ihre erste Brecht-Langspielplatte "Milva canta Brecht", die den deutschen linken Dichter in Italien überhaupt erst bekannt machte – und Milva in Deutschland. Aber die Tür, die sie da aufstieß, war riesig.
Milva sang – und spielte und erbrach förmlich ihren Brecht – und wurde zur Ikone der deutschen Linken. Gleichzeitig wuchs sie zum Rollenmodel für selbtbewusste Frauen, für die sie Schlagerchansons übers Selbstbewußtsein sang. Aber das waren nur Facetten in Milvas botanischem Garten der verschiedensten musikalischen Früchte: Sie sang Schlager, sang Piaf, Theodorakis, Morricone – sie sang Tango mit Astor Piazolla und altmodische Operetten und gar in einer Avantgardeoper von Luciano Berio, der ihr eine Rolle eigens auf dem Leib geschrieben hatte.
Milva war stets eine Entertainerin mit dem Herzen auf dem rechten Fleck also links: Deshalb konnte sie durchaus mit Harald Juhnke zusammen die Zuhälterballade aus der Dreigroschenoper singen. Und egal, was sie sang und spielte, strahlte sie Grandezza und Eleganz aus, spätestens mit dem minutiös einstudierten Griff in die rote Mähne, die sie trägt wie ein Kostüm.
Der Wunsch, nur noch Qualität zu singen
Nur ihr Privatleben hinter der Bühne war nicht so strahlend. Ihre einzige Ehe hielt zehn Jahre, die Partner verließen sie, und in den 1990er-Jahren litt ihr Lebensgefährte an einer Depression, die ihn schließlich in den Selbstmord trieb. 1997 starb auch noch Milvas Mentor Giorgio Strehler.
Von all dem ließ Milva den Fan nichts merken: und ackerte sich schließlich auch wieder mit ihrer enormen Willensstärke aus dem Loch heraus. Anfang der Nullerjahre hatte sie jede Menge Pläne: Arbeitete an der Vertonung von Gedichten einer italienischen Lyrikerin, wollte an der Film- und Theater-Hochschule in Rom Vorlesungen über Brecht-Interpretation geben, eine Art Autobiografie schreiben. Und vor allem sagte sie: "Ich will in Zukunft nur Musik von hoher Qualität singen."
Im September 2010 teilte Milva dann mit, dass sie aus gesundheitlichen Gründen nur noch gelegentlich auftreten werde. Da war es etwas schade, dass der einzige Auftritt, von dem man in Deutschland danach noch erfuhr, 2012 im Musikantenstadl stattfand.