Sahel, Baltikum, Venezuela
Luftaufnahme eines Dorfes in der Sahelzone: Aus der Region wird in den Medien eher selten berichtet. © picture alliance / AP Photo / Leo Correa
Von wo Sie mehr hören wollen
27:56 Minuten
Warum erfahren wir kaum etwas über den Tschad, obwohl die Region so wichtig ist? Das fragt ein Hörer, der sich mehr Infos aus der Sahelzone wünscht. Auch das Baltikum und Venezuela steht bei unseren Hörerinnen auf den Wunschzetteln für Auslandsreportagen.
Traditionell verschenken wir zu Weihnachten eine „Wunschweltzeit“ und meistens kommen dabei gleich mehrere Sendungen heraus. Warum aus manchen Regionen viel und aus anderen kaum oder gar nicht berichtet wird, beschäftig viele Hörerinnen und Hörer. „Wenn halt viel los ist in Deutschland und Europa, dann sinkt das Interesse für andere Regionen wie die Sahelregion“, sagt Jens Borchers. Er war jahrelang Korrespondent mit Sitz in Rabat, Marokko, und zuständig für über 20 Länder in Westafrika. Auch die Sahelregion gehörte zu seinem Berichtsgebiet: ein 7000 Kilometer langer Streifen, der sich südlich der Sahara von West- nach Ostafrika zieht und Länder wie Tschad, Mali, Niger und auch den Sudan umfasst.
Wer will was über die Sahelzone wissen?
Jens Borchers war häufig dort unterwegs, aber seine Berichte stießen in den Redaktionen der ARD vor allem dann auf Interesse, wenn es um Migration und Flucht ging. Die dortigen Konflikte, die Kultur, der Alltag, die Rolle der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich – all das kommt in den Nachrichten kaum vor.
„Schade“, findet das unser Hörer Uwe Petzold, der selbst Mali und den Tschad bereist hat. Er wünscht sich viel mehr Hintergrundinformationen aus der Region. „Mir kam bei meinem Besuch die Region wie ein rechtsfreier Raum vor mit einer extrem schlechten Infrastruktur.“ Den Eindruck bestätigt Jens Borchers. Dies liegt auch daran, dass Länder wie der Tschad nicht gut regiert werden, aber dennoch Unterstützung aus dem Westen bekommen.
Nicht jeder Putsch wird vom Westen verurteilt
Zuletzt fand im Tschad ein Putsch statt, der kaum auf internationalen Protest stieß. „Das offensichtliche Desinteresse der westlichen Partner an der Frage, ob der Tschad eine Diktatur oder eine Demokratie ist, überrascht nicht. Die Interessen sind eindeutig. Tschad gilt als strategisch wichtiger Partner im Kampf gegen Islamisten, bei der Kontrolle der Fluchtrouten Richtung Libyen, bei der Kontrolle des Unruheherdes Sudan. Überall spielt das Militär des Tschad eine Schlüsselrolle und dahinter stehen Werte wie Freiheit und Demokratie eindeutig zurück“, so fasst Jens Borchers die Lage zusammen.
„Für die Menschen vor Ort spielt die Sorge um die tägliche Existenz die entscheidende Rolle“, das hat Uwe Petzold beobachtet. Die großen Themen der internationalen Politik haben gar keinen Platz, wenn das Überleben nicht gesichert ist.
Das Baltikum: Tor zwischen Europa und Russland
„Ich habe mein Herz seit vier Jahren an Lettland und ans gesamte Baltikum verloren“, schreibt uns Magnus Claus. Wir wollen wissen, was das Besondere dort ist und haben ihn angerufen. „Die Kultur, die Verbundenheit der Menschen mit der Natur, die Ruhe. Die Mentalität ist viel entspannter. Es ist sehr, sehr viel ruhiger als in Deutschland, und das gefällt mir total.“
Alle drei baltischen Staaten – Lettland, Estland und Litauen – haben jeweils knapp zwei Millionen Einwohner, und in so kleinen Länder pflegt man die eigene Sprache und Kultur mit besonderer Hingabe, zumal nach der langen Zeit der Unterordnung und Okkupation. „Das soziale Miteinander funktioniert noch, die Familie hat einen hohen Stellenwert.“ Magnus Claus vermisst das oft in Deutschland.
Er liebt die Gelassenheit der Balten und schwärmt von der digitalen Infrastruktur: „Du kannst im Wald ganz allein zwischen Rehen sitzen und hast perfektes Internet.“ Das Baltikum als Brücke zwischen Europa und Russland, so seine Meinung, hat viel mehr Aufmerksamkeit in den Medien verdient.
Venezuela – Aus den Nachrichten verschwunden
Venezuela ist eigentlich aufgrund seiner Erdölvorkommen ein reiches Land, aber sehr viele Menschen leben dort in Armut. Millionen sind bereits geflohen, überwiegend nach Kolumbien. Nicolás Maduro, Nachfolger von Hugo Chavez, regiert dort seit 2013 und schafft es nicht, die Wirtschaft zu konsolidieren. Er ist international isoliert und sanktioniert. Die Oppositionsbewegung mit ihrem Anführer Juán Guaidó – gefeiert und unterstützt unter anderem von der EU – ist in der Versenkung verschwunden.
Keine Aussicht auf Wandel
Aber die Lage der Menschen dort ist immer noch zum Verzweifeln. Unser Hörer Swen Kählert findet deshalb, man dürfe das Land und die Menschen dort nicht vergessen. Er selbst ist seit den Neunzigerjahren immer wieder in Venezuela, zuletzt war er in diesem Herbst dort. „Es fehlen Gulli-Deckel, weil die Leute die mitnehmen, weil es Altmetall ist. Rechts und links von der Fahrbahn schneiden sie die Vegetation ab und bitten dann dafür um Geld. Das sind aber keine staatlichen Firmen, das sind einfach Leute, die das machen. Oder sie kommen mit Desinfektionsmittel in die U-Bahn und desinfizieren den Fußboden. Dafür wollen sie dann einen Dollar. Das habe ich vorher nie gesehen.“
Über Venezuela wurde eine Zeitlang viel berichtet, vor allem, als die Oppositionsbewegung stark schien. „Die ist auf Grund gelaufen“, meint Günther Maihold, Lateinamerikaexperte und stellvertretender Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. „Es sind wieder die alten Spannungen aufgetreten innerhalb der Opposition, sie ist fragmentiert. Das hat dem Maduro-Regime geholfen, weiter zu spalten. Es gibt derzeit keine Reformkoalition, die in der Lage wäre, der Regierung etwas entgegenzusetzen.“
Die klugen Köpfe sind gegangen
Venezuela lebt vom Erdöl. Die erfolgreichen Sozialprogramme, die Maduros Vorgänger Hugo Chavez durchgeführt hatte, basierten auf einem hohen Ölpreis. Doch der Preis für Öl ist auf den internationalen Märkten gesunken. Hinzu kam, dass Venezuela immer weniger Erdöl selbst produzieren konnte. „Das führte zu einer Unterfinanzierung des Staates. Die Sozialprogramme konnten nicht mehr finanziert werden. Dann kamen die Sanktionen dazu. Man wich dann auf informelle Wege aus, wie zum Beispiel auf den informellen Goldhandel, und versuchte gemeinsam mit Kuba eine Überlebensstrategie zu entwickeln.“
Die Migration ist im vergangenen Jahr zurückgegangen, weil die Situation in den Aufnahmeländer Kolumbien, Peru, Chile, Ecuador ebenfalls immer schwieriger wird. Nichtsdestotrotz haben insgesamt sechs Millionen Venezolaner das Land verlassen, teilweise kluge Köpfe, die nun fehlen.
"Die Menschen sind müde"
Ein Umbruch ist nicht in Sicht, auch wenn die Versorgungslage für alle, die keine Dollars aus dem Ausland bekommen, katastrophal ist. Swen Kählert hat beobachtet, dass in den Familien das Thema Politik vermieden wird. „Die Menschen sind einfach müde. Auch ehemalige Chavez-Anhänger, die inzwischen einen anderen Weg befürworten, wissen nicht mehr weiter, denn es gibt keine geschlossene Opposition. Die Frage aller Frage in den Familien ist: Wie kommen wir über die Runden?“