Salafismusprävention in Deutschland steckt noch in den Kinderschuhen

Von Ita Niehaus |
Es gibt viele Gründe, warum Jugendliche Salafisten werden. Das ist problematisch, weil immer wieder gewaltbereite Gruppen unter ihnen entstehen. Dabei ist der Salafismus keine einheitliche Bewegung - das macht es so schwierig, die Jugendlichen vor ihm zu schützen.
"Wie kannst du zu einem gehen, mit ihm ein Glas Wasser trinken, ja, und seinen Gesetzen zusprechen, wo dieser Mensch deine muslimischen Geschwister abschlachtet."

Ein kleiner Ausschnitt aus einem Video eines salafistischen Predigers aus dem Internet. Um die Radikalisierung von Jugendlichen ging es im Vortrag der Berliner Extremismus-Expertin Claudia Dantschke auf einer internationalen Tagung zum Thema Salafismus an der Universität Osnabrück.

Dantschke: "Inzwischen entsteht eine sogenannte dritte Generation, der Pop-Dschihad, das sind jetzt junge Erwachsene, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind…"

Viel zu oft noch wird der Salafismus als eine einheitliche Bewegung gesehen. Davor warnen die Expertinnen und Experten. Es existieren sehr unterschiedliche salafistische Strömungen. Von den ganz frommen Gläubigen bis hin zu den gewaltbereiten Dschihadisten. Bülent Ucar, Direktor des Instituts für Islamische Theologie der Universität Osnabrück.

"Entscheidend ist, dass allen gemein ist, sie haben ein ausgeprägt apodiktisches Religionsverständnis. Sie verstehen religiöse Quellen sehr wörtlich und einseitig. Ihre Grundanschauung orientiert sich an der Frühzeit des Islam.""

Empirische Untersuchungen über diese radikale islamische Richtung gibt es bisher nicht in Deutschland. Und auch die Salafismusprävention steckt noch in den Anfängen, kritisiert der Islamwissenschaftler. Dabei wächst die Salafisten-Szene. In Nordrhein-Westfalen soll sich die Zahl verdoppelt haben im vergangenen Jahr. Bundesweit geht der Verfassungsschutz von rund 4500 Salafisten aus. Wie viele davon gewaltbereit sind, kann man nur schätzen.

"Die Salafisten werden in den Medien hochgekocht. Wenn man sich die Muslime anschaut, ist die salafistische Bewegung eine kleine Minderheit innerhalb des Islams. Und innerhalb des Salafismus sind diejenigen, die gewaltbereit sind, wiederum eine weitere Minderheit."

Dennoch: Die Angst vor dem Islam ist weit verbreitet und auch die Islamfeindlichkeit nimmt zu. Bülent Ucar warnt davor, das Thema zu verharmlosen.

"Denn ein Anschlag macht die Arbeit von 1000 Dialogveranstaltungen klein. Und daher sind die größten Leidtragenden die religiösen Muslime in Deutschland, weil sie dadurch unter einen gewissen Generalverdacht kommen."

Vor allem für Jugendliche, die keine Perspektive haben und orientierungslos sind, ist der Salafismus attraktiv. Er gibt einfache Antworten in einer immer komplizierter werdenden Welt. Er teilt sie ein in Gut und Böse, in Richtig und Falsch.

Dantschke:"Die Mehrheit der Jugendlichen ist auf der Suche nach Anerkennung, Gemeinschaft, Orientierung. Und der Zufall spielt oft eine Rolle, dass sie sich dem Salafismus zuwenden und dann dort verharren, weil es dort diese Religionsinterpretation genau diese Fragen, die sie beantwortet haben wollen, gibt. Er schafft Gemeinschaft usw. Das heißt, die Motivation von Jugendlichen ist das Entscheidende und nur der geringere Teil ist religiös motiviert, da einzusteigen."

Diese Erfahrung macht Claudia Dantschke immer wieder. Die Extremismus-Expertin berät im Zentrum Demokratische Kultur in Berlin die Angehörigen von Jugendlichen, die in den Salafismus abgleiten.

"Ganz wichtig ist zu schauen, wo liegt die Motivation? Gibt es zum Beispiel innerfamiliäre Konflikte, die bereinigt werden können oder wo liegt woanders der Grund dafür? Kann auch in der Schule sein. Das muss man analysieren. Denn dort muss man ansetzen. Und dann muss man analysieren, ist überhaupt eine Radikalisierungsgefahr da? Oder hat der sich einfach nur dem Islam zugewandt und das wars?"

Es ist ein langwieriger, schwerer Prozess, gewaltbereite Salafisten aus ihrer Ecke wieder herauszuholen. Die Familie spielt dabei eine zentrale Rolle. Wichtig ist vor allem, in Verbindung zu bleiben.

"Die Eltern sollen niemals Islamexperten werden. Es hat keinen Sinn, dass sie sich zu
Halbtheologen ausbilden und dann mit dem Sohn über islamische Theologie zu reden. Da schaut man, gibt es jemanden, der also eine Anerkennung vielleicht genießt von diesem jungen Mann? Der eben Muslim ist und theologisch gebildet. Den man einladen kann, dass mal ein Gespräch stattfindet."

Immer mehr setzt sich die Erkenntnis durch, Salafismus nicht allein unter Sicherheitsaspekten zu betrachten, sondern als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Darüber waren sich auch die meisten Experten und Expertinnen auf der Osnabrücker Tagung einig. Bisher gibt es jedoch bundesweit nur wenige Beratungsstellen - und die auch nur auf Projektbasis.

"Keiner weiß, wie es nach der Bundestagswahl weitergeht. Das heißt, fangen wir wieder bei null an? Wir brauchen dazu feste Strukturen. Denn nicht jeder Fall ist gleich. Wir brauchen nicht immer Psychologen, Familientherapie, wir brauchen auch nicht immer einen Imam. Wir brauchen Netzwerke, wo man von Fall zu Fall zurückgreifen kann."

Kaffeepause auf der Osnabrücker Tagung über Salafismus in Deutschland. Zeit, um miteinander ins Gespräch zu kommen.

Dantschke: "So wie es Freiräume gibt, um Musik zu machen, so muss es Freiräume geben, um seine Religion zu leben - Jugendzentren…"

Du'A Zeitun: "Das ist ja unser Ziel, weil es gibt ja auch christliche Organisationen, die auch Jugendliche aufbauen..."

Du'A Zeitun studiert Islamische Theologie an der Universität Osnabrück und engagiert sich unter anderem als Jugendleiterin in einer muslimischen Jugendorganisation.

"Natürlich ist es dann unsere Aufgabe, zu sagen, nehmt euch Bücher und sucht nach Wissen, aber nehmt euch nicht irgendein Vorbild aus dem Internet und nehmt es als Lehre auf. Das geht gar nicht. Da sind wir sehr offen in Gesprächen."

Religiöse Aufklärung und funktionierende Netzwerke sind wichtige Bausteine erfolgreicher Prävention. Islamwissenschaftler wie Bülent Ucar fordern außerdem, den Salafismus in Deutschland umfassend und interdisziplinär zu erforschen.

"Wir dürfen es nicht zulassen, dass der Islamdiskurs in Deutschland auf beiden Seiten von Extremisten geführt wird. Und daher: Weder die Rechtspopulisten noch die Salafisten dürfen hier eine Meinungshoheit bekommen, sondern die breite Mitte bei den Muslimen wie auch Nicht- Muslimen muss sich mit dieser Thematik auseinandersetzen - und zwar sachlich und differenziert."

Doch das allein reicht nicht aus. Die Gesellschaft muss noch mehr auf die Jugendlichen zugehen.

Du'A Zeitun: "Ihnen Vertrauen auch schenken und nicht das Gefühl geben, jeder von euch könnte ein Täter sein. Und daher finde ich es immer wichtig, die Muslime mit einzubinden, zu sagen, wie kann man eine professionelle Präventionsarbeit leisten. Und das kann man nicht nur von einer Seite, sondern man muss gemeinsam arbeiten."


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