Salafisten auf dem Vormarsch

Von Ludger Fittkau |
Ein Mainzer Moscheeverein ließ im Mai Mohammed al Arifi, einen international bekannten Salafistenprediger aus Saudi-Arabien, auftreten. Der Fall sorgt auch deshalb für Aufregung, weil der Verein die erste staatlich geförderte muslimische Kita des Landes betreibt.
Ein Beitrag des Deutschlandradios hat in der rheinland-pfälzischen Landespolitik eine heftige Diskussion ausgelöst. Wir hatten aufgedeckt, dass in einem Mainzer Moscheeverein, der die erste staatlich geförderte muslimische Kita des Landes betreibt, ein international bekannter Salafistenprediger aus Saudi-Arabien aufgetreten war: Mohammed al Arifi. Er propagiert etwa Körperstrafen für "ungehorsame" Frauen oder Homosexuelle. Nach unserem Beitrag und weiterer Berichterstattung in regionalen Medien hat sich der Moscheeverein in einem offenen Brief an die Mainzer Landesregierung vom dem salafistischen Gastprediger distanziert. Man habe zu wenig über ihn gewusst, heißt es. Das Thema beschäftigt nun auch den Landtag in Rheinland-Pfalz. Die Mainzer Diskussion um die Grenzen religiöser Toleranz wirft ein Schlaglicht auf die bundesweit wachsende Bewegung des Salafismus und den schwierigen Umgang damit.

Die Geschichte ist kompliziert - und heikel. Es geht um Religionsfreiheit. Zugleich geht es um die Grenzen von religiöser Toleranz, selbst in einer Demokratie:Abgeschottete Erziehung von Kindern, Geschlechtertrennung, die Gefahr fanatischer Indoktrination. Es geht aber auch um überforderte Politiker, Empfindlichkeiten auf allen Seiten und viel Nichtwissen übereinander.

Die Geschichte beginnt um die Jahreswende 2012/2013. Silvester tritt in Mainz ein saudi-arabischer Prediger in einer Moschee auf. Sein Name: Mohammed al Arifi - ein international bekannter Fernsehprediger. Er ist umstritten, weil er etwa in der Talkshow eines libanesischen Fernsehsenders davon spricht, wie ein Mann seine Ehefrau schlagen muss. Wohlgemerkt: Nicht, dass er sie schlägt, sondern wie - so nämlich, das keine bleibenden Spuren an ihrem Körper zurückbleiben. Der Islamwissenschaftler Dr. Michael Kiefer von der Uni Osnabrück gilt als einer der führenden deutschen Salafismus–Experten:

"Al Arifi, trotz seiner großen Bekanntheit, muss man natürlich kritisch sehen. Seine Positionen in Bezug auf Homosexuelle, in Bezug auf Andersgläubige sind alles andere als erbaulich aus unserer Sicht. Das darf man schon sehr kritisch sehen. Aber letztendlich: Verhindern können sie das nicht, wenn diese Menschen eingeladen werden, dann sind sie dort. Und solange hier nicht zu Straftaten aufgefordert wird, ist diese Tätigkeit ja auch durch die Religionsfreiheit, die bei uns ja auch einen Verfassungsrang hat, gedeckt."

Moscheeverein distanziert sich nach fünf Monaten

Doch nachdem Anfang Mai durch einen Bericht des Deutschlandradios bekannt wurde, dass Mohammed Al Arifi in Mainz war, gibt es in Rheinland-Pfalz eine heftige Diskussion um diesen Auftritt. Denn die Moschee, in der der umstrittene Prediger zu Gast war, betreibt seit 2009 den ersten staatlich anerkannten muslimischen Kindergarten in Mainz.

Die CDU-Fraktion im Rat der Stadt Mainz schreibt einen Brief an den Kita-Trägerverein und fragt, wie der Kontakt zu Mohammed al Arifi zustande kam:

"Wir können überhaupt nicht nachvollziehen, dass ein Mann mit solchen radikalen Einstellungen bei ihnen willkommen war und in ihren Räumlichkeiten eine Rede halten durfte. Aufgrund der Tatsache, dass der von ihnen betriebene Al-Nur-Kindergarten von der Stadt Mainz monatlich mit mehr als 15.000 Euro gefördert wird, möchten wir sie bitten, uns über den Vorfall aufzuklären".

Bekannt ist inzwischen: Am 1. Januar 2013, also einen Tag nach seinem Auftritt in Mainz, sprach Mohammed Al Arifi in Heidelberg. Auf der Homepage des Verfassungsschutzes Baden-Württemberg ist zu lesen: Al Arifi traf dort "führende Protagonisten unterschiedlicher salafistischer Einrichtungen" in Baden-Württemberg sowie der Gruppe DAWA FFM aus Frankfurt am Main. Diese Gruppe rief laut Bundesinnenministerium dazu auf, andere Religionen zu bekämpfen. Deshalb wurde DAWA FFM im März 2013 verboten. In der Verbotsverfügung heißt es, DAWA FFM richte "sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung".

In Mainz distanziert sich der Al Nur-Moscheeverein, in dessen Gebetsraum al Arifi einen Tag zuvor aufgetreten war, nach der öffentlichen Kritik fünf Monate später vom saudi-arabischen Prediger. Zunächst hatte der Vorstand des Moschee-Vereins al Arifi als "gemäßigt" bezeichnet. Jetzt heißt es: Man habe versäumt, sich eingehender über seine Ansichten zu erkundigen. Der Kita-Trägerverein entschuldigt sich in einem offenen Brief an die rheinland-pfälzische Landesregierung.

Wachsendes Interesse an "Original"-Predigern

Im Beirat der staatlich geförderten Kita des muslimischen Trägervereins sitzt Professor Günter Meyer, Wirtschaftsgeograph an der Universität Mainz mit Schwerpunkt Vorderer Orient. Der Trägerverein der Al Nur-Kita hätte schon mit ein paar Klicks im Internet erfahren können, wofür ihr Gastredner Mohammed al Arifi steht, so Meyer:

"Sie hätten es selbstverständlich wissen können. (…) Das ist Naivität, man kann auch sagen, das ist Dummheit. Aber es zeigt nicht, dass es in irgendeiner Weise hier wahabitisch-salafistische Grundtendenzen innerhalb des Vereins gibt."

Dem Islamwissenschaftler Dr. Michael Kiefer von der Uni Osnabrück fällt es hingegen schwer zu glauben, dass der Mainzer Moscheeverein die Positionen des berühmten Fernsehpredigers al Arifi nicht kannte. Er stellt bundesweit in vielen Moscheegemeinden ein wachsendes Interesse an Auftritten von Gelehrten aus dem salafistisch-wahabitischen Spektrum wie al Arifi fest:

"Das ist in der Tat etwas ganz anderes als die klassischen Jugendprediger, die wir so in den letzten Jahren gekannt haben – Pierre Vogel und andere. Es ist in der Tat zu erkennen, dass der Trend bei den Jugendlichen hin zu den wahabitischen Originalen geht."

Diese angesagten "Original"-Prediger aus Saudi-Arabien propagieren strenge religiöse Praktiken, Kleiderordnungen und Alltagsethiken. Sie fordern weitgehende Geschlechtertrennung im öffentlichen Raum. Musik oder Mädchensport unter freiem Himmel werden abgelehnt. Diese oft körperfeindlichen Regeln stammen angeblich aus dem 7. Jahrhundert nach Christus - also der Zeit des Propheten Mohammed und seiner direkten Nachfahren. Diese im Islam theologisch höchst umstrittenen Lehren sind nicht neu, betont der Salafismus-Experte Michael Kiefer:

"Was relativ neu ist, ist die Massenwirksamkeit dieser Bewegung. Das hat meines Erachtens sehr viel mit Saudi-Arabien zu tun, die in den letzten 20 Jahren systematisch dafür Sorge getragen haben, dass ihre Auffassung von Islam weiter verbreitet wird. Ob das nun in Indonesien ist, in Bosnien ist oder auch hier ist. Überall sehen wir, dass der saudische Islam, das Salafismus, den die Wahabia dort vertritt, auf dem Vormarsch ist."

Salafismus-Experte rät zur Gelassenheit

Dieser Vormarsch wird auch durch diejenigen gefördert, die in den letzten Jahren das Bild des Salafismus in Deutschland prägten. Zu ihnen gehört auch der ehemalige katholische Klosterschüler Pierre Vogel, einst ein deutscher Jugendmeister im Boxen. Der Konvertit mischt sich übers Internet in die rheinland-pfälzische Debatte ein. Er fordert den Al Nur-Kita-Trägerverein in Mainz auf, sich nicht von den Auftritten Mohammed al Arifis sowie eines zweiten salafistischen Predigers namens Ibrahim Hassan zu distanzieren. Auch wenn die staatliche Finanzierung der Kita durch die Auftritte in Gefahr gerate, wendet sich Vogel in einer Internet-Rede an die Mainzer Glaubensbrüder:

"Ja, natürlich, es könnte jetzt sein, dass dieser Kindergarten jetzt zugemacht wird, was allerdings nicht so einfach ist, wenn man vernünftige Rechtsanwälte hat. Einen Rechtsanwalt einsetzt, der sich mit verfassungsrechtlichen Fragen auskennt, ja."

Der Salafismus–Experte Michael Kiefer rät der deutschen Politik und den Sicherheitsbehörden grundsätzlich zur Gelassenheit. Es mache wenig Sinn, auf den Vormarsch der Salafisten in Moscheevereinen mit Streichung von Fördermitteln oder gar Vereinsverboten zu reagieren. Wie im Falle des Anfang 2013 verbotenen DAWA FFM in Frankfurt am Main oder eines Solinger Vereins im letzten Jahr.

Michael Kiefer: "Ein Teil des Vereines ist ausgereist nach Syrien und nach Ägypten. Und man hört, dass einige der Vereinsmitglieder im syrischen Bürgerkriegsgeschehen mitmischen. Denn die Befürchtung, die man haben muss ist, dass diese Vereinsmitglieder irgendwann wieder zurückkommen und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass hierdurch das eine oder andere neue Sicherheitsproblem entsteht, was man so vorher nicht absehen konnte."

Zurückhaltung bei staatlicher Repression, aber genau hinschauen, um frühzeitig Extemismus- Prävention zu leisten. Das will auch Mustafa Cimsit, der Vorsitzende der neugegründeten "Schura" Rheinland-Pfalz. In dieser Dachorganisation haben sich bisher 15 Moscheegemeinden des Landes zusammengeschlossen:

"Deswegen haben wir als Schura-Landesverband schon nach unserer Gründung sofort reagiert und gesagt: Wir brauchen die Prävention zu muslimischem und anti-muslimischem Extremismus. Und da vielleicht noch mal durch sie der Ruf an die Regierung, dass sie uns doch in diesem Sinne unterstützen soll."

Mehr staatliches Geld für Extremismus-Prävention - das hält auch der Islamwissenschaftler Michael Kiefer von der Uni Osnabrück für nötig. Zumal auf der anderen Seite gerade die Ölscheichs eine Menge Geld dafür ausgeben, dem salafistisch oder wahabitisch ausgerichteten Islam in Nordafrika und Europa Bühnen zu geben, beobachtet Kiefer:

"Das Geld der Saudis, das Geld der Kataris, das spielt natürlich eine sehr große Rolle, das ist gar keine Frage.(…) Hinzu kommt die finanzielle Unterstützung der Bewegungen auch im Kontext des arabischen Frühlings. Da spielt Geld aus dieser Region, aus Saudi-Arabien, aus Katar vielleicht sogar eine entscheidende Rolle."

Womöglich auch immer mehr saudisches Geld, das nach Deutschland fließt. Saudi-Arabien ist Bezugspunkt etwa in den öffentlichen Aktivitäten des "Islamischen Informations – und Serviceleistungen e.V". – kurz IIS. e.V. Der Verein hat seinen Hauptsitz in Frankfurt am Main. Zweigstellen hat er in Wiesbaden und Mainz.

Nach Ansicht von Islamismusexperten und Sicherheitsorganen ist der IIS e.V. salafistisch ausgerichtet. Ibrahim Hassan ist einer der Prediger dieses Vereins. Wie al Arifi ist er auch in der Mainzer Al Nur–Moschee aufgetreten. Wie al Arifi hält auch Ibrahim Hassan leichte körperliche Gewalt gegen bestimmte Menschengruppen für akzeptabel. Etwa als Strafe für einen Moslem, der Alkohol getrunken habe, so Hassan in einer Freitagspredigt des IIS e.V, die auf "You Tube" veröffentlicht wurde:

"Aber es ist jetzt nicht gemeint, brecht ihm die Knochen und so weiter. Das ist nur als Erziehungsmaßnahme gedacht, dass die Gesellschaft das verabscheut, weil Alkohol schädlich ist."

Trotz dieses Plädoyers für in Deutschland gesetzeswidrige Körperstrafen verteidigt Dr. Abdullatif Hussein, der Vorsitzende des Trägervereins der Al Nur-Kita, den Prediger Ibrahim Hassan in einem Interview mit dem SWR vor dem Radikalismusvorwurf:

"So wie ich ihn kenne, ich kenne ihn auch persönlich, er ist ein ganz normaler Mensch. Soviel zu Radikalismus. Das ist ein Begriff, den man so oder so auslegen kann."

Die rot-grüne Landesregierung hat den Auftritt Ibrahim Hassans in der Mainzer Al Nur-Moschee bisher nicht thematisiert. Miguel Vicente, der Integrationsbeauftragte der rheinland-pfälzischen Landesregierung:

"Ich kenne keine konkreten Detail-Äußerungen dieser Person, über die haben wir auch nicht gesprochen."

Moscheevereine sympathisieren mit Salafisten

Eine erstaunliche Antwort. Denn wohlgemerkt: Auf "You Tube" ist Ibrahim Hassan mit mehreren salafistisch ausgerichteten Predigten in deutscher Sprache zu sehen, in denen er etwa die Ablehnung eines Kopftuches durch Frauen als "Teufelswerk" bezeichnet, ebenso wie zu lautes Lachen.

Zurzeit studiert Hassan in Kairo, doch in den letzten Jahren ist er eben regelmäßig im Rhein-Main-Raum im Namen des Frankfurter Moscheevereins IIS e.V. aufgetreten, der vom hessischen Verfassungsschutz als "extremistisch beeinflusst" bezeichnet wird. Gefragt, wie sie die Kooperation des Al Nur Kita-Trägervereins, der offiziell Arab Nil –Rhein-Verein heißt mit dem IIS e.V bewertet, antwortet Irene Alt, die grüne Integrationsministerin des Landes Rheinland-Pfalz schriftlich:

"Der Landesregierung liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass der Arab Nil-Rhein-Verein und IIS miteinander kooperieren."

Ist das Ausdruck von Überforderung oder Ignoranz? Ein kurzer Blick ins Internet hätte gereicht, um auf die gemeinsamen Gebetsveranstaltungen der beiden Moscheevereine zu stoßen, die seit Jahren regelmäßig stattfinden. Hier etwa eine Begrüßung zu einer gemeinsamen Veranstaltung im Jahr 2010:

"Im Namen der Gemeinden, die dieses Fest organisiert haben, gemeinsam, der Nur–Moschee und der Gemeinde des IIS …"

Auch Professor Günter Meyer, Mitglied des Beirates der Al-Nur Kita, bestätigt die punktuelle Kooperation des Trägervereins mit dem salafistisch ausgerichteten Frankfurter IIS e.V.:

"Das sind einige wenige Veranstaltungen, vielleicht einmal oder zweimal im Jahr, wo sie tatsächlich gemeinsam auftreten. Ansonsten sind die Aktivitäten beider Vereine völlig unterschiedlich."

Daniel Köbler ist Fraktionsvorsitzender der Grünen im rheinland-pfälzischen Landtag. Er ist jetzt erst einmal froh darüber, dass sich der Al Nur- Kita-Trägerverein von den extremistischen Äußerungen des Mohammed Al Arifi distanziert hat:

"Das ist auch nicht zu tolerieren. Das muss man auch immer klar sagen. Ich habe den Verein erlebt als integrationswillig. Und dann sind eben solche Vorträge von solchen Personen ein Bärendienst auch für die eigenen Integrationsbemühungen."

Arab Nil–Rhein e.V. – der offizielle Name des Vereins schlägt einen großen Bogen vom Orient zum Okzident. Bis heute hat der Moscheeverein viel Vertrauen vor allem bei rot-grünen Mainzer Kommunalpolitikern. Doch bereits Anfang 2009, als es um die geplante öffentliche Förderung der Vereins - Kita ging, gab es auch Zweifel am Integrationswillen des Trägervereins. Schon damals wurden durch journalistische Recherchen die Namen umstrittener Islamisten bekannt, die im Alltag des Moscheevereins in den vergangenen Jahren eine Rolle spielten: etwa in Büchern in der Vereinsbibliothek oder in Internet-Links. Zu einem von ihnen, dem Ägypter Yusuf al Qaradawi, schreibt das Mainzer Innenministerium am 29.4. 2013 wörtlich:

"Auf der Vereinshomepage fand sich über mehrere Jahre hinweg ein Link zu Yusuf al-Qaradawi (…) eine ideologische Leitfigur der Muslimbruderschaft. Zu den Eckpunkten seines Denkens gehört die Einheit von Religion und Politik, was sich konkret in seiner Forderung nach Anwendung der Scharia- Bestimmungen äußert."

Noch deutlich schärfer als das Mainzer Innenministerium äußert sich die Bundeszentrale für Politische Bildung zu al Qaradawi. Sie betreibt gemeinsam mit dem Goethe-Institut und der Deutschen Welle seit Jahren das Internet-Portal "Qantara.de". Es dient dem Dialog mit der islamischen Welt. Über den seit langem in Katar lebenden Yusuf al Qaradawi ist dort in mehreren Beiträgen zu lesen, dass dieser "Intoleranz" lehre und "mit seinen Anfeindungen gegen religiöse Minderheiten" – sowie mit seinem "religiösen Rassismus" dem Dialog und der interreligiösen Verständigung schade. In Frankreich habe bereits vor Jahren der ehemalige Staatspräsident Nicolas Sarkozy, der jüdische Wurzeln hat, al Qaradawi wegen antisemitischer Äußerungen als "unwillkommen" bezeichnet.

Die führende norwegische Tageszeitung "Aftenposten" berichtete im Februar 2009, dass al Quaradawi im wichtigen arabischen Fernsehsender "Al Jazeera" den Holocaust als "Strafe Gottes" für die Juden bezeichnet habe.

Fast genau zur gleichen Zeit steht die Frage der staatlichen Förderung der muslimischen Kita in Mainz vor der Entscheidung. Der Kita-Trägerverein löscht laut Mainzer Innenministerium zu diesem Zeitpunkt aufgrund kritischer Berichte unter anderem des SWR den Link zur Homepage al Qaradawis. Diese Löschung habe der Arab Nil Rhein-Verein damals damit begründet, dass der öffentliche Druck zu groß sei, sagt das Mainzer Innenministerium heute. Die Distanzierung, schreibt das Ministerium, erfolgte nicht "aufgrund einer kritischen Auseinandersetzung des Vereins mit dem Gedankengut al–Qaradawis".

Grenzen zwischen Muslimbruderschaft und Salafisten verschwimmen

Es sei nicht selten, dass Moscheevereine, die mit führenden Muslimbrüdern wie al-Qaradawi sympathisieren sich auch für den Salafismus interessieren, sagt der Islamwissenschaftler Michael Kiefer von der Uni Osnabrück:

"Die Grenzen sind schwimmend zwischen Muslimbruderschaft und salafistisch orientierten Bewegungen. Manche Akteure sind mal hier und mal dort, es sind keine abgeschlossenen Lager, in die man sich hineinbegibt und dann vertritt man deren Positionen."

Im Vorstand des Kita -Trägervereins gibt es sicherlich einige Männer, die mit ägyptischen Moslembrüdern sympathisieren, räumt Kita-Beitragsmitglied Professor Günter Meyer ein. Salafistische Einflüsse auf die Kita schließt er jedoch aus. Das zeige sich schon daran, dass Salafisten Musik ablehnen, die Al Nur-Kita aber Musikerziehung zur Bedingung für den Kita-Alltag mache, so Meyer:

Das zeigt schon, wäre es eine salafistische Einrichtung, so etwas wäre absolut undenkbar. Und es nehmen tatsächlich alle Kinder daran teil.

Klar ist: Salafismus ist in Rheinland-Pfalz bisher kein Massenphänomen. Bundesweit soll die Bewegung zwar schon mehrere tausend Anhänger haben. In Rheinland-Pfalz sind es laut Mainzer Innenministerium bisher gerade einmal 60. Doch die Bewegung hat Zulauf. Der Islamwissenschaftler Michael Kiefer rät den Behörden dazu, vor allem auf junge Salafisten früh zuzugehen und mahnende Gespräche zu führen:

"Unsere Nachbarn, vor allem in Großbritannien haben mit solchen Interventionen zum Teil sehr große Erfolge zu verzeichnen. Also in Großbritannien gab es im Rahmen eines bestimmten Programms rund 1000 Interventionen. Und in keinem Fall war es so, dass bei den jungen Menschen, wo interveniert wurde, dann delinquentes Verhalten gezeigt wurde."

In Mainz jedoch ist das Gespräch zurzeit kompliziert. Auch, weil eine islamfeindliche Schmierattacke am Gebäude der Al Nur-Moschee zu Pfingsten eine neue Schärfe hineinbringt. Der attackierte Moscheeverein spricht zu recht von einer "roten Linie", die hier gegenüber den Muslimen überschritten wurde.

Zwar hat ein 17 Jahre alter Schüler inzwischen die Aktion gestanden. Er habe gegen den Auftritt al Arifis protestieren wollen, erklärte er der Polizei. Doch Vorstandmitglieder des Al-Nur Moscheevereins machen im ersten Zorn einen führenden Mainzer CDU-Politiker mitverantwortlich für diese Aktion und titulieren ihn als "Hassprediger". Der Parlamentarier hatte einen Brief mit den kritischen Fragen zum al Arifi -Auftritt in der Moschee an den Vorstand des Trägervereins geschickt.

Die rheinland-pfälzische CDU fordert daraufhin eine Entschuldigung des Vorstandes des Moscheevereins. Als diese ausbleibt, appelliert die Union an den Mainzer SPD-Oberbürgermeister sowie die rot-grüne Landesregierung, verbale Attacken auf demokratisch gewählte Abgeordnete klar zurückzuweisen, die Fragen stellen.

Ist mit der Bezeichnung eines Parlamentariers als "Hassprediger" nicht ebenfalls eine rote Linie überschritten worden? Aus Sicht der grünen Integrationsministerin Irene Alt offenbar nicht. Sie reagiert – wie auch der Mainzer Oberbürgermeister – lediglich mit einem allgemeinen Appell zur Zurückhaltung an alle Seiten. Politiker fühlen sich alleingelassen.

Religionsfreiheit ist ein hohes Gut

Ein Gefühl, das auch Muslime in dieser Gesellschaft oft haben. Sagt Mustafa Cimsit, der Vorsitzende des neuen muslimischen Landesverbandes Schura Rheinland-Pfalz. Doch er weiß: Es ist nicht gut für den aus öffentlichen Mitteln geförderten islamischen Kita-Trägerverein, wenn örtliche christdemokratische Parlamentarier ihm angstvoll begegnen:

"Wir werden natürlich dem Arab Nil–Verein empfehlen, dass sie sich der CDU annähert und auch hier ein konstruktives Signal aussendet. Dafür werden wir uns einsetzen und ich hoffe, dass dieser gegenseitige Respekt und Anerkennung, wie sie ja bisher in der Gemeindearbeit zwischen der Gemeinde und allen Parteien gegeben war, dann wieder aufrechterhalten wird und weitergeführt wird."

Um wieder gegenseitigen Respekt und Anerkennung zu erreichen, muss jedoch mehr Transparenz und Wissen geschaffen werden. Vielleicht verzichtbar: Politisch Verantwortliche müssen genauer hinschauen, als sie es bisher taten. Der Mainzer Al Nur–Kita-Trägerverein muss sich kritische Fragen von Politik und Medien gefallen lassen, auch wenn es um unangenehme Details geht: Wer genau lud Mohammed Al Arifi nach Mainz ein? Wer begleitete ihn? Warum veranstaltet man gemeinsame religiöse Großveranstaltungen mit einem anderen Moscheeverein, den Sicherheitsbehörden als "extremistisch beeinflusst" bezeichnen? Wie sieht man im Vereinsvorstand den Vormarsch des Salafismus? Wie weit geht die Geschlechtertrennung, die der Verein propagiert?

Denn: Religionsfreiheit ist ein hohes Gut. Demokratische Öffentlichkeit und die Gleichheit der Geschlechter sind es aber auch. Es gibt auch in der Demokratie Grenzen religiöser Toleranz. Diese heikle Mainzer Geschichte ist noch nicht zu Ende erzählt.