Der beste Ort für ein Atommülllager?
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Deutschland sucht ein Endlager für den Atommüll. Die Gemeinde Saldenburg im Bayerischen Wald befürchtet, dafür gute Bedingungen zu haben. Sie liegt auf einer großen Granitplatte. In der Region wächst die Sorge um die Zukunft der ganzen Gegend.
"Irgendeinen wirds erwischen." Und möglicherweise ihn: Bürgermeister Max König von der SPD und seine Gemeinde Saldenburg - 30 Ortsteile, knapp 2000 Einwohner, tief im unteren Bayerischen Wald. Max König steht auf der Treppe zum Rathaus und grüßt von da fast jedes Auto, das vorbeifährt. Alles hier ist massiv: Max Königs Körper, die Treppe, das Rathaus.
"Das ist ein altes Granit-Gebäude. Und auch im Hintergrund unsere Burg Saldenburg ist komplett aus Stein."
Viele Steinbrüche an den Hängen
Die grauen Felsen mit der rauen Oberfläche ragen zwischen den Bäumen um die Burg immer wieder meterhoch auf. An den Hängen klaffen Steinbrüche. Bis vor dem Krieg sorgte der Granit hier fast allein für ein karges Auskommen.
"Wir hatten ja sehr viele Steinbrüche hier. Daraus resultiert natürlich, dass wir gerade in den Wintermonaten sehr viel Arbeitslosigkeit hatten mit teilweise 40 bis 50 Prozent. Mittlerweile hat sich das Ganze Wirtschaftsleben gewandelt. Wir haben eigentlich Vollbeschäftigung."
Mittlerweile ist der Granit hier das Problem. Er ist hart und stabil – und theoretisch eine Gesteinssorte, unter der sich Atommüll lagern ließe. Das befürchten sie hier, seitdem der Saldenburger Granit in einer geologischen Studie zur Endlagersuche auftauchte.
Irgendwo muss der Atommüll hin
Schon Mitte der 90er gründete Max König mit dem Nachbarbürgermeister eine Bürgerinitiative. Er ist kein Träumer. Für ihn ist klar: Der Atommüll muss irgendwo hin. Nur hier in Saldenburg, findet er, wäre so ein Lager eine Katastrophe.
"Es würde natürlich alles kaputtmachen. Weil ich denke, dass sich hier dann keiner mehr ein Häusle bauen will oder dergleichen. Oder natürlich auch das Thema der Wirtschaftsneuansiedlungen – oder Erweiterungen – das wird sich dann jeder Unternehmer dementsprechend überlegen. Und ich hoffe, dass das einfach nicht kommt."
Die Ungewissheit teilt auch das Besucherpärchen aus dem nahen Passau. An diesem windigen Frühlingstag sind die beiden auf den Aussichtsturm neben der Burg gestiegen und schauen in die Weite.
"Das ist wunderbar: Natur, Geschichte, frische Luft. Das, was in den Städten eigentlich nicht mehr da ist, wird hier geschenkt."
"Erstens ist das eine Ferienregion. Und die ist ja noch ziemlich ursprünglich. Wir haben ja auch einen Nationalpark und so weiter. So wäre das eigentlich prädestiniert dafür, dass man den Tourismus aufbaut und nicht das ganze - ja - verstrahlt."
CSU erklärt Bayern für ungeeignet
Die Angst vor dem Atom-Endlager ist groß. Das wissen auch die bayerischen Regierungsparteien CSU und Freie Wähler. Die haben schon mal im Koalitionsvertrag festgehalten, dass sie Bayern nicht für ein geeignetes Endlager-Gebiet halten. Doch kann sich ein Bundesland, das laut der Agentur für Erneuerbare Energien noch 2017 für über ein Drittel des Atomstroms verantwortlich war, so einfach wegducken? Und wie geeignet wäre denn tatsächlich der bayerische Untergrund für ein Endlager?
Wer wissen will, wie die Endlagersuche funktioniert, muss mit Steffen Kanitz reden. Er arbeitet als Geschäftsführer der Bundesgesellschaft für die Endlagersuche in Peine und stellt klar: Das Endlagergestein muss so dicht sein, dass man an der Oberfläche keine Strahlung messen kann.
"Man geht deswegen in die Tiefe, weil man sagt, es gibt keine von Menschen gemachten Bauwerke, die so viele Jahrtausende, Jahrhunderttausende überdauern, dass wir von einem wartungsfreien Endlager sprechen können. Es geht darum, nachfolgenden Generationen nicht die Bürde aufzuerlegen, sich noch um die radioaktiven Abfälle kümmern zu müssen."
Für eine Million Jahre
Also ab damit tief unter die Erde. Entweder in Tongestein, in Salzhöhlen – oder in Granit. Wie in Schweden.
"Die Schweden lagern in einem Standort ein, der hat sich seit 140 Millionen Jahren geologisch nicht verändert. Und deswegen kann der Geologe sagen: Wenn es sich 140 Millionen Jahre nicht verändert hat und ich gewisse Parameter berücksichtige, kann ich davon ausgehen, dass es sich über die nächsten eine Million Jahre auch nicht weiter verändert."
Einen solchen Tresor, den suchen sie jetzt. Und in Saldenburg fragen sie sich: Kommt der Saldenburger Granit in die engere Auswahl? Dazu muss man Experten bemühen, wie Gerhard Enste von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover, der sich mit kristallinem Gestein auskennt, zu dem auch Granit gehört.
Kaum Bohrungen in Granit
"Die Herausforderung ist ja, wir haben kristallines Gestein immer mehr oder weniger geklüftet vorliegen." Geklüftet heißt: rissig. "Und wir brauchen ja Bereiche, die wenig geklüftet oder am besten gar nicht geklüftet sind. Gar nicht geklüftet gibt es voraussichtlich nicht. Wenig geklüftet, da wird es wenige Bereiche geben. Nur wie findet man die denn?"
Im Granit lagern nur selten wertvolle Rohstoffe wie Gas oder Öl. Deshalb gibt es in Deutschland kaum Bohrungen in diesem Gestein. Auch der Saldenburger Granit ist relativ unerforscht. Sagt der Geologe vom Bayerischen Landesamt für Umwelt, Roland Eichhorn.
"Wenn man bedenkt, dass wir gerade jetzt durch die Bundesgesellschaft in einer frühen Phase sind, wäre es verfrüht und nicht angebracht, jetzt schon Vermutungen anzustellen."
Doch wenn noch gar nichts klar ist, warum ist man sich in der Bayerischen Staatsregierung so sicher, dass Bayerns Granit- und Tonvorkommen gar nicht geeignet sind? Ein Anruf beim Umweltminister Torsten Glauber von den Freien Wählern. Er findet, man habe doch damals schon ein Endlager gefunden. Im Salzstock Gorleben, der nun mit dem neuen Suchverfahren ausgeschlossen wurde.
Gorleben ist nicht der beste Standort
"Wir haben berücksichtigt, dass man 1,6 Milliarden Steuergeld verbaut hat, bei der Endlagersuche – und dann hat man den Schlüssel abgezogen. Und das ist eine politische Entscheidung. Das muss man dem Steuerzahler erst mal erklären."
Doch Gorleben sei eben nicht der bestmögliche Standort, erklärt Steffen Kanitz von der Bundesgesellschaft für Endlagersuche.
"Die Nachteile lassen sich zusammenfassen darin, dass der Salzstock sehr weit aufgestiegen ist, das heißt, er hat grundwasserführende Schichten durchstoßen. Wir müssen also davon ausgehen, dass im Laufe des Betrachtungszeitraums von einer Million Jahren Grundwasser mit diesem Salzstock in Verbindung kommt."
Das sei eine wissenschaftliche, keine politische Entscheidung. Und so werde es auch weitergehen – Bayern eingeschlossen.
Fehler der Vergangenheit vermeiden
"Na ja, das eine sind, glaube ich, politische Willensbekundungen, die wir natürlich ernst nehmen, die auf das Auswahlverfahren erst einmal keine Auswirkungen haben. Das heißt, wir haben aus allen Bundesländern die Daten bekommen, um das zu bewerten. Wir arbeiten mit den geologischen Landesämtern zusammen."
Und dort, im Bayerischen Landesamt für Umwelt, ist man übrigens für das bundesweite Such-Verfahren voll des Lobes. Der Geologe Roland Eichhorn sagt: "Ich glaube, es ist ein sehr gutes, ein sehr wissenschaftsbasiertes Verfahren, das uns in die Lage versetzt, die Fehler der Vergangenheit zu vermeiden."
Mit den Fehlern meint Roland Eichhorn, dass etwa das Atomlager Gorleben vor allem eine politische Entscheidung war – ohne Beteiligung der Öffentlichkeit. In die Suche sollen nun auch mögliche Betroffene einbezogen werden, wie Martin Behringer, Bürgermeister von Thurmansbang, der Nachbargemeinde von Saldenburg - ebenfalls umgeben von Granitfelsen.
"Es soll das beste Endlager gefunden werden - also da glaube ich, da sind wir uns ja alle einig. Natürlich wünsche ich mir, dass das nicht unbedingt bei uns ist."
Tschechien sucht auch ein Endlager
Doch nicht nur die deutsche Endlagersuche drückt Behringer aufs Gemüt. Auch Tschechien könnte sich am Ende für ein Endlager nahe der deutschen Grenze entscheiden – nur 50 Kilometer von Thurmansbang entfernt. Ein Endlager in der Granitplatte, die sich von Tschechien über den Bayerischen Wald bis in den Schwarzwald zieht.
"Wenn Tschechien den Atommüll an der Grenze lagert, dann wird die Luft für uns sehr dünn. Das sage ich immer wieder. Weil dann gehen unsere Argumente irgendwann mal aus, zu sagen: 50 Kilometer weiter ist er zwar geeignet, aber bei uns ist er nicht geeignet."