Sally McGrane: „Die Hand von Odessa“
© Voland & Quist
Krieg der Katzen
03:20 Minuten
Sally McGrane
Übersetzt von Diana Feuerbach
Die Hand von OdessaVoland & Quist, Berlin 2022416 Seiten
24,00 Euro
Gangster, Investoren und die Nase von Lenin: Sally McGranes grandios komischer Politthriller „Die Hand von Odessa“ schickt einen Kater namens Smiley in den Kampf gegen die Ideologien, die dem russischen Krieg gegen die Ukraine zugrundeliegen.
Ein Politthriller mit Katzen als Hauptfiguren? Kann das gutgehen? Eigentlich nicht, im Falle von Sally McGranes „Die Hand von Odessa“ aber doch. Sehr gut sogar.
Odessa, irgendwann zeitnah vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Der leicht abgehalfterte Ex-CIA-Mann Max Rushmore, der schon in McGranes Roman „Moskau um Mitternacht“ mitgespielt hat, wird in die Metropole am Schwarzen Meer geschickt, um von einem eher sinnfreien Kongress über hybride Kriegsführung zu berichten.
Alte Gangster und abgehalfterte CIA-Agenten
Aber vor Ort, und manchmal tief in den berühmten Katakomben der Stadt versteckt, tun sich weit interessantere Themen auf. Anscheinend ist es jungen Forschern gelungen, menschliche Körperteile zu züchten, was nicht nur nette Investoren anlockt.
Zudem will ein alter Gangster den Konflikt zwischen der Ukraine und Russland zu Eskalation treiben. Die prorussische Fraktion will den (auch in der Realität existierenden) damaligen Gouverneur der Ukraine, Grischa loswerden, der, obwohl seine eine abgetrennte Hand unter abenteuerlichen Umständen aufgefunden wird, weiterhin zweihändig agiert.
Kater Smiley als misstrauischer Beobachter
Wenn eine riesengroße Lenin-Nase aus Metall durch die Stadt gekarrt wird, wissen wir, dass wir nicht nur im aktuellen Chronotopos Odessa sind, sondern in einem literarischen Echoraum. Denn alle aberwitzigen Machinationen und Intrigen, die wir hier gar nicht alle erwähnen können, werden von dem beinharten Kater Smiley misstrauisch beobachtet, der, wie es Katzen nun mal tun, sein Revier als Boss aller Katzen eifersüchtig schützen will.
Wobei natürlich Smiley nicht zufällig Smiley heißt, wie Le Carré-Leser schon längst bemerkt haben, und bei dem Namen „Rushmore“ kann man nicht umhin, an den Mount Rushmore (den mit den Präsidentenköpfen) in Hitchcocks Politthriller-Klassiker „North by Northwest“ zu denken.
Literarischer Echoraum zwischen Gogol und Le Carré
Das sind nur einige Aspekte eines grandios irrwitzigen Romans, der schier explodiert vor bizarren Figuren, abgedrehten Twists und satirisch bis polemisch-kritischen Seitenhieben auf die realexistierende Politik, nicht nur die der Region.
„Die Hand von Odessa“ ist zudem ein Roman, der sich sehr virtuos (und von Diana Feuerbach großartig übersetzt) aus allem bedient, was Odessa als Stadt der Literatur und der Kunst und als geschichtsträchtiger kosmopolitischer Melting Pot – vor dem Krieg lebten 136 verschiedene Ethnien dort – an der Schwarzmeerküste zu bieten hat. Vor allem Gogol, siehe oben: „Die Nase“, und Isaak Babel sind omnipräsent, die fantastischen Elemente wie Kater Smiley bewahren den Roman vor einem banalen Abbildungs-Realismus.
Sally McGrane setzt auf die Kraft der Komik
Für die harte Realität indes sorgt die aktuelle politische Situation, die im Roman jederzeit aufscheint, denn der Krieg auf der Krim ist stets omnipräsent und auch die böse Ahnung, dass dies erst der Anfang sein könnte.
Was aber nicht daran hindert, dass Sally McGrane auf die Kraft der Komik setzt, die Ideologien und Dogmen radikal zersetzen. Darin liegt der utopische, hoffnungsmachende Moment des Buchs. Aber vor allem ist der Roman eine große Liebeserklärung an eine wahnsinnig faszinierende Stadt, die jeden Schutz der Welt verdient.