Salonkultur

Männerklub auf noblem Parkett

Blick auf die Pfaueninsel im Berliner Wannsee
Abgeschieden vom West-Berliner Großstadtrummel debattierten die Wissenschaftler unermüdlich. © picture alliance / dpa
Von Edelgard Abenstein |
Sie trafen sich in den 80er-Jahren in einer Villa im Berliner Grunewald. Abgeschottet von der Welt wollten die Wissenschaftler ein intellektuelles Utopia erschaffen. Uwe Pörksen erzählt im Sachbuch "Camelot in Grunewald", was hinter den Mauern der Villa vor sich ging.
Das gute alte West-Berlin liefert neuerdings den Stoff für allerlei nostalgische Rückblicke. Ob Party-, Kunst- oder Popszene: die Zeiten des Biotops im Schatten der Mauer liegen weit genug zurück, um ohne Einspruch der Wirklichkeit erzählerisch durchgeknetet zu werden. Auch die Reminiszenz an das 1981 gegründete Wissenschaftskolleg am Berliner Halensee folgt diesem Trend.
In einer feinen alten Villa entstand hier ein Dorado der "schöpferischen Muße" für die Wissenschaft, gegen die Massenuniversität, in der die Forschung zunehmend auf der Strecke blieb. Es war eine Art Camelot, wie der legendäre Hof um König Artus hieß. Man schrieb sich "Elite", "Leistung" und "Exzellenz" - absolute Tabuwörter in jenen Jahren - auf die Fahnen und versammelte unter diesem noblen Motto achtzehn Wissenschaftler aus aller Welt. Den greisen Kabbalaforscher und Walter-Benjamin-Freund Gershom Scholem etwa, Ivan Illich, den polyglotten Kulturwissenschaftler aus Mexiko oder den Bielefelder Pädagogen Hartmut von Hentig.
Fachsimpelnde Tête-à-Têtes im Park
Auch der Freiburger Sprachwissenschaftler Uwe Pörksen gehörte dazu. Gestützt auf sein Tagebuch, berichtet er von diesem Gründungsjahr. Mal stringent, mal assoziativ, bisweilen chaotisch erzählt er, wie es im akademischen Utopia damals zugegangen ist, was für Blüten Klein-Princeton im Grunewald so trieb. Das reicht von den stilbildenden Maßnahmen des Gründungsrektors Peter Wapnewski beim täglichen Mittagessen über fachsimpelnde Tête-à-Têtes im Park bis zu den abendlichen Kolloquien, in denen man sich über eine "Ästhetik des Negativen" interdisziplinär die Köpfe zerbrach oder über die moderne Linguistik, die sich in "Plastikwörtern" von der Humboldtschen Bildungssprache entfernt habe.
Der Autor verkneift sich Seitenhiebe
Mit milder Ironie skizziert Pörksen den Männerklub auf noblem Parkett, der sich mit gerade mal zwei Frauen schmückte: Wie der schriftstellernde Literaturkritiker Hans Egon Holthusen voller Stolz eine von Gottfried Benn an ihn gerichtete Postkarte herumschwenkte, die vorne eine "Beauty im Bikini" und hinten einen Hölderlinvers ("Wer das Tiefste gedacht, liebt das Lebendigste") zeigte. Er verschweigt auch nicht, dass der Vortrag "Wie männlich ist die Wissenschaft?" der Soziologin Helga Novotny ohne jedes Echo blieb, weil "das kein richtiges Kollegthema" war.
Wer gerne Klatsch liest, kommt nicht auf seine Kosten. Auch Seitenhiebe verkneift sich der Autor. Mit übergroßer Zurückhaltung pflegt Pörksen den deskriptiven Stil. Obwohl er teilweise in wörtlicher, allzu umständlicher Rede Debatten wiedergibt, scheint nichts von der heftigen Streitkultur auf, die damals in der Frontstadt zwischen den verschiedenen Theorielagern vorherrschte. Man führte doch ein abgeschirmtes Nischendasein an den Ufern des Halensee. Im Nachhinein mutet das alles sehr artig und gediegen an. Wenn intellektuelle Existenz bedeutet, nicht den Anschluss ans konkrete Leben zu verlieren, dann zeigt "Camelot in Grunwald" nur einen sehr beengten Ausschnitt aus der Welt des Denkens der 80er-Jahre.

Uwe Pörksen: Camelot in Grunewald
Szenen aus dem intellektuellen Leben der 80er Jahre
Beck-Verlag, München 2014
236 Seiten, 24,95 EUR