"Es ist ein bisschen wie im Museum"
An einem geheimen Ort in Österreich durfte Georg Mascolo einen Blick auf den österreichischen Teil der Sammlung Gurlitt werfen. Die beeindruckenden Kunstwerke seien dort gesichert und in guten Händen, so der Journalist.
Jörg Degenhardt: Sie können sich sicherlich noch an die unglaubliche Geschichte erinnern. Sie ist ja auch noch relativ frisch. Vergangenen November war bekannt geworden, dass die Polizei rund 1400 Kunstwerke in der Wohnung des Kunstsammlers Cornelius Gurlitt in München-Schwabing beschlagnahmt hatte. Die Werke sollen zum Teil in der Nazi-Zeit jüdischen Familien unter Zwang abgenommen worden sein. Viele Bilder sind möglicherweise aber auch dem Privatbesitz seines Vaters Hildebrand Gurlitt zuzuordnen. Mittlerweile ist bekannt geworden, dass sich in Gurlitts Haus in Salzburg weitere Kunstwerke befinden, deutlich mehr als bisher angenommen. Sie werden an einem geheimen Ort aufbewahrt, zu dem der Kunstsammler jetzt erstmals Journalisten Zugang gewährt hat.
Zu den Auserwählten, kann man ja sagen, gehörte auch Georg Mascolo, der Leiter des Rechercheverbundes von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung. Herr Mascolo, guten Morgen!
Georg Mascolo: Guten Morgen!
Degenhardt: Zunächst: Was ist denn da zu sehen an jenem geheimen Ort?
"Eine beeindruckende Sammlung"
Mascolo: Was ist zu sehen? Es ist ein bisschen wie im Museum, mit einem Unterschied: Die Bilder und die Zeichnungen – darum geht es ja im wesentlichen – hängen nicht an der Wand, sondern die meisten liegen entweder in Mappen oder auf Tischen. Restauratoren arbeiten daran. Der Bestand ist außerordentlich. Wir alle kennen die Namen der Künstler, um die es geht bei diesem Fund: Monet, Renoir, Manet, Courbet, Pissaro, Gauguin, Cézanne, Toulouse-Lautrec, Liebermann, Rodin, Picasso, Munch. Eine beeindruckende Sammlung und nach meinem Eindruck – ich muss gleich einräumen, dass ich kein Kunstexperte bin – handelt es sich um eine Miniatur dessen, was wir aus dem Schwabinger Fund bereits kennen, also Bilder, die unstreitig aus dem Besitz von der Familie Gurlitt stammen, aber, so ist zu vermuten, auch Bilder, die ganz klassisch Raubkunst sind und zurückgegeben werden müssen.
Degenhardt: Sie sagten gerade, Sie seien kein Kunstexperte. Trotzdem: Gab es da etwas, was Ihnen gewissermaßen die Sprache verschlagen hat, als Sie es gesehen haben?
Mascolo: Auch wenn ich kein Kunstexperte bin, kenne ich diese Namen und bin ein regelmäßiger Besucher von Museen und hoffe sehr, dass diese Bilder – ich habe es gerade gesagt, manche sind in schlechtem Zustand, sie müssen restauriert werden – eines Tages der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, und hoffe auch, dass das bald geschieht.
Degenhardt: Können Sie etwas sagen zu diesem Ort, an dem die Bilder aufbewahrt wurden, aufbewahrt werden, sodass sie nicht möglicherweise auch noch weiteren Schaden nehmen? Sie haben ja schon angedeutet, einige müssen restauriert werden.
"Schaden nehmen die Bilder an diesem Ort ganz sicher nicht"
Mascolo: Nein, Schaden nehmen die Bilder an diesem Ort ganz sicher nicht. Er ist gut gesichert. Restauratoren arbeiten daran, beständig 22 Grad Museumstemperatur. Es ist einer dieser Orte, die darauf spezialisiert sind, Kunst aufzubewahren auch für Museen oder für private Sammler. Wenn es um die Frage geht, ist die Salzburger Kunst jetzt gesichert und in guten Händen und muss man befürchten, dass sie weiteren Schaden nimmt, so kann man diese Frage ganz sicher mit nein beantworten. Ich kann Ihnen den Ort nicht nennen, aus einem einfachen Grund: Wir haben diese Vereinbarung getroffen, weil die Versicherung darauf besteht, dass der Lagerort einer so wertvollen Kunstsammlung geheim gehalten werden muss. Deswegen muss ich um diesen Punkt einen Bogen machen.
Degenhardt: Das verstehen wir. – Wie steht es jetzt um die Rückgabe der Bilder? An wen und wann könnte das erste Bild zurückgegeben werden?
Mascolo: Nach unseren Recherchen ist das erste Bild, das herausgegeben wird, das Matisse-Bild "Die sitzende Frau", ohne Frage eines der bedeutendsten und wertvollsten Bilder, die in der Schwabinger Wohnung von Cornelius Gurlitt gefunden worden sind, Originalbesitz des Pariser Kunsthändlers Paul Rosenberg, dann zwischendurch im Besitz von Hermann Göring, also ganz unzweifelhaft Raubkunst.
Es wäre gut, wenn diese Übergabe jetzt schnell stattfindet. Und dann hat der gerichtliche Betreuer von Cornelius Gurlitt uns hier versichert, dass der Wille seines Mandanten Cornelius Gurlitt sei, alle Bilder vorbehaltlos herauszugeben, die aus jüdischem Besitz geraubt oder gestohlen worden sind. An dieser Ankündigung wird sich Cornelius Gurlitt in Zukunft messen lassen müssen und ich hoffe, dass er das tut.
Degenhardt: Der Fall Gurlitt – da fällt mir der Vergleich ein zu einer Wundertüte. Rechnen Sie jetzt mit weiteren Überraschungen, mit weiteren Bilderfunden oder Vergleichbarem?
Weitere Bilderfunde "nicht ausgeschlossen"
Mascolo: Ich halte das zumindest nicht für ausgeschlossen. Wir alle waren ja schon überrascht, dass er ganz offensichtlich 2011 aus Salzburg eben nicht mit allen seinen Bildern nach München gezogen ist, sondern einen Teil davon – und zwar nicht den unwichtigsten – in Salzburg gelassen hat. Wir wissen inzwischen von seinem Vater, dass er verschiedentlich die Unwahrheit gesagt hat über seine Bilder, vieles sei im Krieg oder zum Kriegsende vernichtet worden, nicht mehr aufzufinden. Wir wissen, dass Hildebrand Gurlitt mit insgesamt sechs Depots gearbeitet hat. Wenn Sie mich fragen, halte ich für ausgeschlossen, dass das das Ende der Sammlung Gurlitt ist, so ist die Antwort darauf nein.
Degenhardt: Georg Mascolo, der Leiter des Rechercheverbundes von Norddeutschem Rundfunk, Westdeutschem Rundfunk und Süddeutscher Zeitung, über Kunstwerke des Kunstsammlers Cornelius Gurlitt, die noch an einem geheimen Ort in Österreich lagern. Vielen Dank für das Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.