Samanta Schweblin: Sieben leere Häuser
Aus dem Spanischen von Marianne Gareis
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018
150 Seiten, 20 Euro
Das Buch erscheint am 12.2.2018.
Die Untiefen der Seele
Depression, Verzweiflung und Verlassensein: Die Geschichten in "Sieben leere Häuser" handeln von Menschen, in deren Leben etwas fehlt oder etwas verloren gegangen ist – starke, sehr eindringliche Texte der argentinischen Schriftstellerin Samanta Schweblin.
Samanta Schweblin ist eine unerbittliche Seelenforscherin. Auch in "Sieben leere Häuser" führt uns die argentinische Schriftstellerin in die Abgründe zeitgenössischer Paar- und Familienbeziehungen.
1978 in Buenos Aires geboren, lebt Schweblin zurzeit in Berlin. Mit ihrem Roman "Das Gift" und dem Band mit Erzählungen "Die Wahrheit über die Zukunft" wurde sie auch hierzulande als sprachmächtige Autorin bekannt, die die Untiefen der menschlichen Existenz ausleuchtet. Sie hat für ihr Werk zahlreiche Preise bekommen, unter anderem war sie im vergangenen Jahr auf der Longlist zum Man Booker International Prize.
Schmucke Anwesen mit gepflegten Vorgärten
"Sieben leere Häuser" ist wieder ein Sammelband mit Kurzgeschichten. Eine Frau fährt durch die Straßen wohlhabender Viertel und betrachtet die schmucken Anwesen mit ihren gepflegten Vorgärten. Einmal dringt sie unter einem Vorwand in eines dieser Häuser ein und nimmt heimlich eine Zuckerdose mit - ausgerechnet das Stück, das der gutsituierten Besitzerin als einziges am Herzen liegt.
Die "arme" Frau leidet unendlich unter ihrer sozialen Lage und träumt sich in eine schöne Welt der Villen - die "reiche" Frau wirkt aber genauso verzweifelt, denn ihr Lebensglück liegt in der Erinnerung, die ein Stück Porzellan verkörpert; die Leere ihres Lebens darf der Leser erahnen.
Es sind Geschichten von Depression, Verzweiflung und Verlassensein. Über Menschen - fast ausnahmslos Frauen - die sich in ihren Häusern nicht mehr zurechtfinden. In deren Leben etwas fehlt oder verloren gegangen ist.
Das eigene Verschwinden vorbereiten
In der Erzählung "Die Höhlenatmung" gleitet die Protagonistin nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes in eine Scheinwelt. Sie packt ohne Unterlass Kisten, um ihr eigenes Verschwinden vorzubereiten. Eine andere Frau tritt im Bademantel und mit nassen Haaren auf die Straße und findet Sekunden des Glücks während der Fahrt im offenen Wagen ihres Hausmeisters. Oder die Frau, die nachts rausgeht, um Aspirin zu kaufen und in einer verlassenen U-Bahn-Station strandet, ohne zu wissen wohin.
Die Erzählungen sind sehr universell. Die Handlung ist jeweils offenkundig in Argentinien angesiedelt, die Stadt Buenos Aires taucht aber so gut wie nicht direkt auf, höchstens einmal in einem Straßennamen oder in einem Detail wie dem, dass der Müll zur Abholung auf erhöhte Körbe auf dem Gehweg gestellt wird.
Diese Frauen in ihrer Verlorenheit könnten überall auf der Welt leben - auch wenn es vielleicht nicht nur ein Klischee ist, dass in Buenos Aires mit seiner großen Psychoanalytiker-Dichte verhältnismäßig viele Menschen an depressiven Stimmungen leiden.
Samanta Schweblins Sprache evoziert die Verlorenheit, die Ortlosigkeit ihrer Figuren ausgesprochen gut - die Leere in den Häusern, die eine Leere der Seele ist.
Stark, sehr eindringlich, sehr fordernd
Die Texte sind stark, sehr eindringlich, sehr fordernd - sehr existentialistisch. Sie führen zu Fragen über Sinn und Unsinn der Existenz. In dieser Eindringlichkeit liegt aber auch eine Gefahr: Man gewinnt im Laufe der Lektüre den Eindruck, dass sich die Autorin doch zu sehr in ihre Katastrophenszenarien hineinfallen lässt. Der Stil ist frei von jeder Ironie oder einer sonstigen Form der Distanzierung.
Also: Eine wirklich starke, tief in der Seele schürfende, zum Teil gewalttätige Sprache - gelegentlich in der ungebrochenen Düsternis aber vielleicht doch auch etwas manieriert. Dennoch: Sieben starke Erzählungen aus den Untiefen der menschlichen Seele. Mit dem Buch festigt Samanta Schweblin ihre Position als herausragende Autorin in der argentinischen Gegenwartsliteratur