Samira Sedira: „Wenn unsere Welt zerspringt“

Rassismus, Sozialneid und ein grausamer Mehrfachmord

03:40 Minuten
Das Cover des Krimis von Samira Sedira, "Wenn unsere Welt zerspringt". Auf dem Cover sind drei Menschen schemenhaft zu erkennen. Der Titel ist auf einzelnen rosafarbenen Flächen zu lesen. Das Buch ist auf der Krimibestenliste von Deutschlandfunk Kultur. (Bildrechte Buchcover: Piper)
© Piper

Samira Sedira

Aus dem Französischen von Alexandra Baisch

Wenn unsere Welt zerspringtPiper, München 2022

174 Seiten

20,00 Euro

Von Katrin Doerksen · 08.04.2022
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In Samira Sediras Kriminalroman „Wenn unsere Welt zerspringt“ wird eine wohlhabende schwarze Familie in einem französischen Bergdorf ermordet. Ein Mann aus dem Dorf ist der Täter - und wer ist sonst noch alles schuld?
Annas neue Nachbarn sind reich, glamourös, erfolgreich, sie haben ein exquisit eingerichtetes Chalet und fahren kostspielige Autos. Und sie sind schwarz. Allein deswegen sind Sylvia und Bakary Langlois und ihre drei Kinder im abgelegenen französischen Bergdorf Carmac die absolute Ausnahme.
Doch dann fällt die gesamte fünfköpfige Familie einem grausamen Mehrfachmord zum Opfer, und Annas Welt steht vollends Kopf. Denn der Täter ist ihr Ehemann Constant.

Ins Jahr 2015 verlegt

In „Wenn unsere Welt zerspringt“ fiktionalisiert Samira Sedira, geboren 1964 in Algerien, einen Mordfall, der sich 2003 tatsächlich im Haute-Savoie ereignet hat. Sie verlegt ihn aber nach 2015, in das Jahr, in dem immer wieder islamistische Terroranschläge Frankreich erschüttern.
Der Roman springt dabei zwischen dem Gerichtssaal und der Zeit hin und her, in der die Familie Langlois erstmals im Dorf erscheint, während Anna verzweifelt versucht, eine Erklärung zu finden: Wie konnte ihr Mann zu so einer Tat fähig sein?

Emotionale Inventur

Der Roman beginnt mit verdichteten Schilderungen der Natur um Carmac. Anna beschreibt das Wetter, das Alltagsleben im Ort, sie belauscht mit einem fein justierten Gespür für zwischenmenschliche Nuancen die Gespräche der Dorfjugend und der Alten in der Kneipe, ihre vulgären Gesänge bei Hochzeitsfeiern; später einmal zählt sie geradezu zwanghaft alle Gerichte eines opulenten Buffets auf, verrennt sich immer weiter in Einzelheiten des Verhörs durch den Staatsanwalt.
Diese für den überschaubaren Umfang des Buches erstaunliche Detailfülle liest sich wie eine emotionale Inventur, ein Versuch, die zuerst durch die Ankunft der Familie Langlois und dann endgültig durch die Morde zerstörte Ordnung wiederherzustellen: die Ordnung in der Dorfhierarchie, aber auch die Ordnung in Annas eigenen Gedanken und in ihren Erinnerungen an Constant.

Mindestmaß an Empathie

„Alles wird der Frau eines Mörders vorgeworfen“, resigniert sie einmal. Aber tatsächlich ist es diese herausfordernde Perspektive, die „Wenn unsere Welt zerspringt“ so stark macht, weil sie Lesern und Leserinnen ein Mindestmaß an Empathie aufzwingt. Für Anna ist es unmöglich, ihren Mann schlicht als Monster abzustempeln, sie kennt die Vorgeschichte, seine inneren Kämpfe, sie kann es sich nicht einfach machen.
Constants individuelles Handeln verortet Sedira so innerhalb einer kollektiven Schuld beziehungsweise Mitschuld, in der unseligen Intersektion aus verinnerlichtem Rassismus und Sozialneid im Dorf, die Monate der Mikroaggressionen und schlecht verborgenen Eifersüchteleien schließlich in einer Tragödie münden lässt.
Ein Gericht mag in der Lage sein, abschließend darüber zu urteilen. Aber eine einmal zersprungene Welt lässt sich allein dadurch nicht wieder zusammensetzen.

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