Sammeln, bewahren, erforschen, ausstellen?

Von Anette Schneider |
Seit ihrer Entstehung vor gut 200 Jahren zählt das Sammeln, Bewahren, Erforschen und Ausstellen von Kunstschätzen und Kulturgegenständen zu den substanziellen Anliegen der Museen. Doch angesichts einer zunehmenden Ökonomisierung von Kunst und Kultur fällt es den Museen zunehmend schwer, ihren kulturellen Auftrag zu erfüllen.
Restauratorin: "Ich suche mir jetzt die Zustandsprotokolle für das nächste Bild, das verpackt werden soll. Das ist nach Städten geordnet. Wir haben die Zustandsprotokolle schon aus Edinbourough bekommen und ich kontrolliere noch einmal, ob sich der Zustand verändert hat."

Erlebnisparks, Science-Center, Events... Haagens Plastilin-Menschen. Love Parade. Musicals...

Die kommerzielle Freizeitindustrie boomt. Die Angebote sind riesig. Wenn sich eine Idee als Flop erweißt, nehmen Unternehmer sie vom Markt und lassen etwas anderes ausdenken.

... MoMa in Berlin! 1,2 Millionen Besucher! ... Hunderttausende bei van Gogh in Bremen... Bei Picasso in Berlin... Museumsnächte!... Events...

Museen als Eventmacher? Als Konkurrenz zur kommerziellen Freizeitindustrie? Museen auf der Jagd nach "Quote”?

Ahrndt: "Man braucht die Museen, weil sie einen Bildungsauftrag haben, den sie auch erfüllen."

Wiebke Ahrndt ist Direktorin des Überseemuseums in Bremen.
Ahrndt: "Man braucht Museen, weil Menschen heute zunehmend wieder Wissen haben wollen und Museen zu Recht als Orte betrachten, wo sie Wissen auch vermittelt bekommen. Und zwar so, dass sie es auch verstehen können. Und dann sind Museen ja auch - last but not least - aber sehr dann doch Archive. Und zwar des Weltkulturerbes genau so wie bei uns mit den naturkundlichen Sammlungen der Artenvielfalt."

Eissenhauer: "Museen sind Erinnerungsmaschinen,..."

Michael Eissenhauer, Präsident des Deutschen Museumsbundes, der Interessenvertretung der Museen.

Eissenhauer: "Die Museen sind Erinnerungsmaschinen, große Erinnerungsarchive, die - ähnlich wie Archive, in denen schriftliche Zeugnisse aufbewahrt werden - die Zeugnisse unserer kulturellen Vergangenheit bewahren. Eine Erinnerungsmaschine, mit der wir im Stande sind uns zu vergewissern, aus welcher Vergangenheit wir kommen, welche Kulturleistungen unsere Geschichte hervorgebracht hat, es dient der Orientierung, es dient der Bildung."

Heinrich: "Ich finde nach wie vor, das mag ein bisschen altmodisch klingen, dass eine der Hauptaufgaben von Museen ebenso wie von Theater ist zu helfen, Kriterien zu entwickeln."

Christoph Heinrich, Leiter der Galerie der Gegenwart in Hamburg.

Heinrich: "Kriterien zu entwickeln. Geschmack zu entwickeln. Ein Qualitätsbewusstsein zu entwickeln. Damit eben nicht die Bevölkerung dem blödesten Rattenfänger hinterherläuft, der irgendeinen Kick ausstellt und anbietet, der nun gerade besonders sensationell ist und einen besonderen Horror verspricht, sondern vielleicht doch auch die Möglichkeit des Publikums, selber Kriterien zu entwickeln, selber eine Einschätzung geben zu können. Und wo kann man das besser als im Umgang mit Kunst?"

Krempel: "Wir als Kunstmuseen verwalten so etwas wie das visuelle Gedächtnis der Menschheit."

Ulrich Krempel leitet das Sprengel-Museum in Hannover.

Krempel: "”Wir versammeln die wichtigsten Erzeugnisse, die Menschen von hoher Begabung dabei erarbeitet haben. Und wir heben das auf für immer und ewig, möchte man hoffen - jedenfalls für so ewig, wie es uns geben wird. Wir halten es für kommende Generationen ebenso vorrätig wie für jetzige. Und unsere Vorläufer haben es schon für vergangene Generationen über Kriege und Zeitläufe hinaus getan. Ich glaube, Museum ist schon eine enorm sinnstiftende Erfindung gewesen, in der sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft irgendwo treffen.""

Bis vor gut 200 Jahren gab es ausschließlich private Kunstsammlungen. Sie gehörten Fürsten und Königen und waren nur ihnen und ihresgleichen zugänglich. Mit der Aufklärung begannen Gelehrte systematisch zu forschen, um die Welt rational zu erkennen.

Krempel: "Dazu gehörte immer auch das Sammeln von Dingen. Angefangen bei Steinen, so hat sich die Geologie begründet, über Tiere und Pflanzen. Denken Sie an die Herbarien, die Ausbildung der systematischen Naturerkenntnis durch Linné. Das alles ist nur durch sammeln, bewahren und natürlich auch zur Verfügung halten möglich gewesen."

Sammeln, bewahren, erforschen und ausstellen: Mit der Französischen Revolution wurden dies die grundlegenden Aufgaben des bürgerlichen Museums. Sie sind es bis heute.
Als 1791, nach der Vergesellschaftung des Feudal- und Kirchenbesitzes, der Louvre als erstes bürgerliches Museum seine Türen öffnete, wurde damit Kunst erstmals für jedermann zugänglich. Das Museum, so die Revolutionäre, sollte der Volksbildung dienen. Es war Ausdruck gelebter bürgerlicher Demokratie.

In deutschen Landen ließ man sich Zeit. Zwar hatten einige Fürsten mittlerweile ihre Kunstsammlungen stundenweise für ein gehobenes Publikum geöffnet, doch erst 1830 entstand in Berlin das erste Museum. Allerdings unter gänzlich anderen Voraussetzungen als in Frankreich: Hier, wo noch immer feudale Verhältnisse herrschten, war die Museumsgründung ein Akt von oben. Um möglichen Forderungen des Bürgertums zuvorzukommen, machte der König von Preußen seine Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich.
Wolfgang Kemp, Direktor des Kunsthistorischen Seminars der Universität Hamburg,

Kemp: "Das ‚Alte Museum’ von Schinkel, also unser erster Museumsbau, vereint nicht nur eine Säulenfront, sondern mindestens ebenso wichtig, einen großen überwölbten Innenraum, der dem Pantheon in Rom nachempfunden wurde und der, wie dieser, Statuen aufnahm. Und damit ist schon gesagt, dass dieses Museum eben an die Ursprünge der Hochkultur Europas und an die damals vielleicht noch wertvollsten Sammelgüter - an die Antike eben - anschließt und sie in den größeren Rahmen eines humanistischen Bildungsauftrages überführt."

"Ist es Zweck des Staates, die Menschheit der höchsten Güter teilhaftig zu machen, so kann es nur durch die schönen Künste und Wissenschaften geschehen. Nur durch sie wird reges und kräftiges Leben und Emporsteigen zu dem Höheren bewirkt."

Meinte damals Freiherr von Altenstein, der gemeinsam mit Wilhelm von Humboldt die preußische Kulturpolitik entwickelte. Ihre Vorstellung: Statt einer Revolution sollten moralische und ästhetische Erziehung für gerechtere Verhältnisse sorgen. Würden die Menschen besser, würde auch die Gesellschaft besser.

Kemp: "Das war ein besonderer Genuss, Bildungsgenuss, den man den Erwachsenen gönnen wollte."

Auserwählten Erwachsenen. Denn so wie das deutsche Museum Kunst und das Erlebnis von Kunst und Kulturgütern zu etwas Besonderem machte, das mit dem gewöhnlichen Leben nichts zu tun hatte, war es anfänglich auch nicht für "gewöhnliche Leute” gedacht: Strenge Kleidervorschriften und beschränkte Öffnungszeiten während der Arbeitswoche sorgten dafür, dass die arbeitende Bevölkerung lange ausgeschlossen blieb.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts begannen dann wohlhabende Bürger, Kaufleute und Industrielle Kunstvereine, Kunstmuseen und später auch Geschichtsmuseen zu gründen. Gegen die vielerorts noch immer herrschenden feudalen Strukturen entwickelten sie eigene bürgerliche.

"Mit gerechtem Stolz dürfen Hamburger Bürger auf diese der edlen Kunst gewidmeten Hallen sowie auf das, was sie enthalten, blicken! Ist doch alles durch freiwillige, patriotische Opfer der großen Zahl von Kunstfreunden zusammengebracht."

Erklärten hanseatische Kaufleute 1869 bei der Eröffnung der Kunsthalle. Wenig später übergaben sie das Museum der öffentlichen Hand.

Kemp: "Dieser Schritt ist meistens sehr leicht: Es waren oft dieselben Kreise, die diese Kunstvereine oder Kunsthallen gründeten, die Kunst sammelten - und die in der Stadt das Sagen hatten. Und die dann irgendwann die Institution mehr oder minder geordnet in die Obhut der öffentlichen Hand übergaben."

1933, mit der Machtübertragung an die Nationalsozialisten, griff der Staat massiv ein in die Museumsarbeit. Auf der Kulturtagung des Nürnberger Reichsparteitags 1934 stellte Reichskanzler Adolf Hitler klar:

Hitler: "Das ganze Kunst- und das Kulturgestotter von Kopisten, Futuristen, Dadaisten usw. ist weder rassisch begründet noch folglich erträglich. Es ist höchstens als Ausdruck einer Weltanschauung zu werten, die von sich selbst zugibt, dass die Auflösung aller bestehender Begriffe, aller Völker und Rassen, ihre Vermischung und Verpanschung höchstes Ziel ihrer intellektuellen Urheber- und Führergilde ist. Und dies muss gesagt sein: Nicht nur die politische, sondern auch die kulturelle Linie der Entwicklung des 3. Reiches bestimmen die, die es geschaffen haben!"

So wurden fortschrittliche Museumsleiter und Mitarbeiter entlassen, jüdische Kultgegenstände aus den Häusern verbannt, moderne Kunst verfemt, und die Museen zur Präsentation rassenideologischer Vorstellungen missbraucht. Fortan widmeten sie sich vor allem der:

"Rassenkunde, Germanenkunde, Heimatgeschichte."

In den Häusern wurde nicht mehr bewahrt und geforscht, sondern nationalsozialistische Ideologie verbreitet. Das Braunschweiger vorgeschichtliche Museum etwa zeigte nun:

"Die Leistung unserer Vorfahren auf heimatlicher Scholle und im Kampf um neuen Volksboden."

Ab 1937 zogen so genannte Kunstkommissionen durch die Kunstmuseen und entfernten über 16.000 Werke zumeist kritisch-realistischer und expressionistischer Maler. Die Bilder wurden beschlagnahmt, verkauft oder versteigert, der Rest verbrannt. Danach füllte NS-Ideologie die Häuser: illustrative Bilder blonder deutscher Bauern, Frauen und Kinder und martialischer Soldaten.

"Museen sind völlig verstaubte und langweilige Einrichtungen!"

Nach dem 2. Weltkrieg bis in die 1980er Jahre ist das verbreitete Meinung. Während in der Bundesrepublik noch 1974 führende Museumsleiter auf einem Kongress den schleppenden Wiederaufbau ihrer Häuser nach dem 2. Weltkrieg beklagen, sieht es in der DDR anders aus: Längst präsentieren Museen dort Kunst, Kultur und Geschichte auf radikal neue Weise. Historische Museen führen Epochenentwicklung aus der Perspektive derjenigen vor, die den gesellschaftlichen Reichtum erarbeiten. Einige Künstler verfolgen kritisch den Aufbau der neuen Gesellschaft und entwickeln neue Themen. Bundesdeutsche Museen stellen Geschichte dagegen weiterhin als von einzelnen Männern gemacht dar. Und zeitgenössische Künstler widmen sich vor allem abstrakten Formspielereien, die in den Museen als etwas über der Wirklichkeit Schwebendes gezeigt werden.

"Museen sind völlig verstaubte und trockene Einrichtungen!"

Heinrich: "Wer heute noch sagt, Museen sind verstaubt und trocken, der geht einfach nicht hin. Der hat keine Ahnung, dass die Institution Museum sich geöffnet hat, jedem etwas bieten möchte, ohne jetzt nur den Leuten das zu bieten, was sie sowieso schon kennen, sondern eigentlich Anregungen geben will, neue Impulse geben will - das ist in den letzten Jahren enorm gewachsen und gesteigert."

Seit Ende der 1980er Jahre bestimmt eine neue Generation von Direktoren die Museen. Häuser, die bis dahin nur selten Sonderausstellungen zeigten und oftmals mehr als stille Depots erschienen denn als Institutionen, die Lust machten auf neue Erkenntnisse, öffnen sich nun nach außen, organisieren Ausstellungen, werben um Besucher.
Heute, auch durch die riesige Konkurrenz der kommerziellen Freizeitindustrie, gibt es wohl kein Besucherangebot, das es nicht gäbe.

Ahrndt: "Wir haben heute das Phänomen - bei Kindern sowieso, aber bei Erwachsenen auch - dass vieles Lernen darüber empfunden wird, dass man selber etwas mit den Händen ausprobiert."

So Wiebke Ahrndt vom Überseemuseum Bremen.

Ahrndt: "Gerade im Zusammenhang mit Führungen gibt es jetzt Schubladen in der Ausstellung, wo Exponate drin sind, die man mal ausprobieren kann: Musikinstrumente. Oder wo man mal anfühlen kann: Wie fühlt sich eine Krokodilshaut an? Oder eine Haihaut? Auf der anderen Seite fordern wir die Leute dazu auf, auch einfach mal zu sagen: ‚Das Erleben einer solchen Ausstellung funktioniert über Phantasie, über Nachdenken, über zur-Ruhe-kommen. Und nicht nur über das Tun!’"

Noch nie besuchten so viele Menschen bundesdeutsche Museen wie in den letzten Jahren. Doch trotz dieses Erfolgs: Die Arbeit der Museen ist in Gefahr. Der Grund: Sie kosten. Und also sollen sie sparen.

Kistenmacher: "Wir haben insgesamt ein Ausgabenvolumen von elf Millionen Euro..."

Tim Kistenmacher, Geschäftsführer der Hamburger Kunsthalle und der Galerie der Gegenwart.

Kistenmacher: "Wir haben insgesamt ein Ausgabenvolumen von elf Millionen Euro, fünf Millionen bekommen wir durch die Freie und Hansestadt Hamburg. Das heißt sechs Millionen fehlen. 5,5 bringen wir an sich über die unterschiedlichsten Möglichkeiten selber bei, sei es über erfolgreiche Ausstellungen, sei es über Mäzene, Sponsoren. Aber es verbleibt dann doch so eine Deckungslücke von einer halben Million bis einer Million Euro. Und die schaffen wir nicht. Und die kriegen wir nicht gedeckt. Und das summiert sich immer weiter auf."

Seit Jahren kürzen Politiker Etats oder frieren sie ein, was angesichts stetig steigender Betriebs-, Versicherungs- und Personalkosten einer Kürzung entspricht. Oft reicht das Geld nicht einmal mehr für die anfallenden Betriebs- und Personalkosten.

Kistenmacher: "Und das ist ein Problem, das generell für alle Museen gilt. Es ist rein rechnerisch ganz einfach nachzuvollziehen: Wenn die Auf- und Zuwendungen nicht nur nicht erhöht werden, auf der anderen Seite aber die nichtbeeinflussbaren Kosten wie Personal, als auch Sicherheit, als auch Energiekosten, dann wissen Sie an sich, wie der rapide Substanzverfall in den Museen aussieht: Erst ist es ein bisschen schleichend, glaubt man, man hat’s noch im Griff, aber dann potenziert sich das ja von Jahr zu Jahr. Wenn sich dann plötzlich so viel aufgestaut hat und nie was nachgefördert wurde, dann ist das natürlich schwierig und es führt dann letztendlich irgendwann zur Frage von der Schließung weiterer Museen."

"Die Museen haben die Aufgabe, die Sammlungen zu bewahren und zu erweitern, sie durch Forschung und Dokumentation zu erschließen und durch Ausstellungen und andere Veranstaltungen der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Diese Aufgaben haben sie aus den Zuwendungen der Hansestadt Hamburg und aus sonstigen Einnahmen zu erfüllen."

Heißt es beispielsweise im Gesetz für die Hamburger Museen. So oder so ähnlich haben es alle Städte und Länder festgeschrieben. Die Realität sieht längst anders aus.

Krempel: "Wir haben immer Gelder auftreiben müssen, um auch genuine Aufgaben des Museums finanzieren zu können. Wissenschaftliche Aufgaben, wie zum Beispiel die Publikation des Werkverzeichnisses Kurt Schwitters. Das sind wirkliche Eiertänze und gelegentlich wirkliche Seiltänze, die man vollführen muss, um solche Dinge heute überhaupt noch auf die Reihe zu kriegen, die aber für mich wirklich ein ganz wesentlicher Nachweis für die inhaltliche Qualität eines Museums sind: die wissenschaftliche Arbeit, die Publikationen, die aus dem Hause kommen, Erarbeitungen der Sammlungen, die Provenienzen, die heute sorgfältiger denn je recherchiert werden müssen. Und all das kostet Geld."

Auch am Museum der Arbeit in Hamburg, das Mithilfe von Maschinen und Werkzeugen, sowie schriftlich- und filmisch festgehaltenen Lebensläufen von Arbeiterinnen und Arbeitern die Veränderung von Arbeit - und damit von Gesellschaft - dokumentiert, seien die grundlegenden Tätigkeiten nicht mehr gesichert, erklärt Jürgen Ellermeyer, Kurator des Hauses.

Ellermeyer: "Dies ist ein junges Museum, das Museum der Arbeit. Das müsste eigentlich noch expandieren können, auch im Sammlungsbereich. Es müsste das bearbeiten können. Wenn man aber gezwungen ist, in noch schnellerem Rhythmus möglichst Aufsehen erregende Sonderausstellungen zu machen, dann fehlen die Arbeitskräfte, dann fehlt das Geld für eine angemessene Behandlung der Sammlung. Das kann leicht zu einem Sammlungsstopp führen. Das kann zur Auslagerung der Sammlung aus dem eigentlichen Museumsgelände führen. Das hat es bei uns auch."

Kürzlich musste die Hamburger Kunsthalle, neben vielen anderen Stellen, die des Vergolders einsparen. Seine Aufgabe war es, alte Rahmen in Stand zu halten, die ohne weiteres zwischen 15. und 20.000 Euro kosten können.

Kistenmacher: "Da gibt es als erstes gar keine Auswirkungen. Das hält zehn, zwölf Jahre. Aber nach zwölf Jahren stellen Sie plötzlich fest, dass nicht nur ein Rahmen der Pflege bedarf, sondern plötzlich 600 bis 800 Rahmen. Und dieses kontinuierliche Arbeiten an den Grundaufgaben, das ist weggebrochen. Und das wird an sich über kurz oder lang einen riesigen Sanierungs-, Instandhaltungsbedarf in den Museen nach sich ziehen. Und das wird dann nicht mehr zu leisten sein, weil man die kontinuierliche Arbeit nicht mehr gefördert hat. Und dann werden Museen und Gemeinden und Träger von Museen in die Knie gehen und sich vom Museum verabschieden müssen."

Während die Politiker in der Hauptstadt Renommierprojekte feiern, kämpfen die Museen im Land mit Mittelkürzungen, die längst an ihre Substanz gehen: Seit Jahren werden freiwerdende Stellen nicht wieder besetzt. Sammlungen stagnieren. Bibliotheken veralten. Geforscht wird kaum noch. Die Dresdner Gemäldesammlungen sollen über ein Drittel ihres ohnehin schon reduzierten Personals streichen, der Verfall einzigartiger Kunstwerke und die Schließung von Abteilungen werden die Folgen sein, erklärte ihr Leiter Martin Roth.

Krempel: "Was heute in der Diskussion sehr wenig bedacht wird, ist, dass die vielfältigen Aufgaben des Museums zu ungefähr 80 Prozent sozusagen dem Eisberg unter Wasser gleichen, nämlich das sind, was man nicht sieht: Das Sammeln, das Bewahren, das Erhalten und Erforschen von Kunstwerken kostet Geld. Dafür braucht man Menschen, dafür braucht man Lagerraum, dafür braucht man Geld für die Energie. Museum ist in den letzten Jahren immer gern gesehen als Bringer von großen Publikumszahlen - Museum ist aber nie gern gesehen von der Politik da, wo es eben einfach Geld kostet, um sich selber zu erhalten zum Beispiel."

Längst ist für viele Politiker Kultur ein Kostenfaktor wie alles andere: Kultur muss "sich rechnen”, muss "effektiv” sein. Und so kürzen sie weiter an den ein bis zwei Prozent der städtischen Kulturhaushalte, oder frieren den Etat ein, was einer Kürzung entspricht.

Ahrndt: "Aber man muss Prioritäten setzen als Politiker. Und man muss eine Verantwortung haben. Und wenn Sie sich angucken, wie hoch der Kulturetat im Gesamtetat ist, dann ist das so verschwindend gering, dass das Argument in meinen Augen nur sehr eingeschränkt zählen kann. Denn es geht ja nicht darum, dass wir jetzt mit wahnsinnigen Mitteln aasen wollen würden. Gefordert wird ja nur eine Minimalausstattung."

Eissenhauer: "Kultur ist nicht auf Zahlen reduzierbar. Und wir leben nun wirklich in einer Gesellschaft, die in den letzten zehn, vielleicht auch 20 Jahren versucht, wirklich alle Lebensbereiche des Menschen auf ökonomische Grundzahlen runterzurechnen. Das ist absurd! Es braucht eine Art ‚Kontrakt Kulturell’, der klarstellt: Wir wollen einen bestimmten Teil unserer Gesellschaft auch kulturell bestimmt wissen. Und darüber darf es überhaupt keinen Dissens geben."

Die Wirklichkeit sieht anders aus: Um überhaupt mit ihren gesetzlich festgelegten Aufgaben beginnen zu können, müssen die Museen erst einmal Geld verdienen. Sie tun dies durch Eintrittsgelder, Serviceleistungen, Vermietungen und große Sonderausstellungen. Ausstellungen aber kosten. Deshalb müssen Sponsoren her. Um die buhlen immer mehr kulturelle Einrichtungen - mit ungleichen Chancen, wie Jürgen Ellermeyer weiß:

Ellermeyer: "Beim Museum der Arbeit ist das speziell so, dass ja einerseits ein Publikum erreicht werden soll, das vielleicht in anderen Museen eine zu hohe Hemmschwelle vorfindet für sich. Dass dort Themen und Objekte beachtet werden, die vielleicht eher unscheinbar sind, die nicht wertvoll sind unbedingt im Sinne von Kunst oder Material, weder Gold von van Gogh. Und dafür wird man selten Sponsoren finden. Denn der Sponsor muss ja auch etwas haben, womit er sich nach außen darstellen kann, und da folgt er häufig wiederum dem Mainstream."

Denn: Je populärer das Thema, desto mehr Besucher kommen, desto eher bessert der Sponsor sein Image auf. Da das jeder Kurator weiß, bleibt die Zusammenarbeit nicht ohne Folgen.

Krempel: "Die Gefahr besteht natürlich, dass man aufgrund der Notwendigkeit, mit Sponsoren arbeiten zu müssen, sich auf Einflüsterungen der Sponsoren einlässt. In der Regel kommt man da natürlich in tabuisierte Bereiche hinein. Das kann zur Folge haben, dass dann in den Museen auch die Schere im Kopf beginnt zu klappern. Das ist sicher gar nicht von der Hand zu weisen."

Heinrich: "Das große Problem, das ich sehe, ist: dass eine Verarmung stattfindet, weil dann hat man nur noch die Sachen, von denen man sich ausrechnen kann, da strömen die Leute. Dann zeigen wir hier nur noch Dali und Dix und Chagall und so die großen Namen rauf und runter. Picasso wird auch immer gern genommen..."

Die Ökonomisierung der Kultur führt zum Quotendenken wie im Fernsehen: Sie diszipliniert die von privaten Geldgebern abhängigen Ausstellungsmacher. Sie reduziert die Programm- und Meinungsvielfalt, macht unbequeme Themen, kritische Perspektiven auf Künstler oder Epochen, auf herrschende Ansichten und vorherrschenden Geschmack zunehmend unmöglich.

Ellermeyer: "Die Museen sollten ja nicht nur das reproduzieren, was im so genannten Mainstream ohnehin allen sichtbar ist oder hörbar, sondern das, was verschütt zu gehen droht und was es Wert ist, bewahrt zu werden. Das heißt, man ist auch immer quer zum Mainstream. Politische Themen - die in der Regel ja umstritten sind, sonst wären sie nicht politisch - haben es nicht leicht, durchgesetzt zu werden, in eine Ausstellung verwandelt zu werden. Weil darauf gesehen werden muss: ‚Was bringt uns das?’ ‚Wie viel Besucher werden kommen?’"

Denn: Politiker und Medien messen den Erfolg von Museen vor allem an deren Besucherzahlen. Eine Entwicklung, die auch Michael Eissenhauer für fatal hält. Statt großer "Events” fordert er eine Rückbesinnung auf die eigentlichen Aufgaben.

Eissenhauer: "Unter Event verstehe ich Sonderausstellungen, besondere Spektakel, Ereignisse, die im Museum stattfinden, wie Museumsnächte, die manchmal gar nicht mehr so viel mit dem Museum zu tun haben, sondern mehr mit den Nächten als mit dem Museum. Wir müssen da mit Sicherheit gegensteuern und müssen klar machen: Für den Erfolg eines Museums als Einrichtung und Bestandteil unserer eigenen gesellschaftlichen Überlieferung, und auch der Gestaltung unserer eigenen gesellschaftlichen Zukunft, muss der Betrieb der Museen gewährleistet sein. Und der muss vor allem in den Grundleistungen der Museen gewährleistet sein, nicht darüber, dass die Museen gegeneinander konkurrieren, dass ein Museum 120.000 und das andere 180.000 Besucher gehabt hat."

Doch mit der Logik marktwirtschaftlichen Denkens hat die Ökonomisierung von Kunst und Kultur längst zu einem Teufelskreis geführt: Weil Geld für die eigentliche Arbeit fehlt, müssen "Publikumsfänger” her. Der aufklärerische Anspruch wird zweitrangig, die Einrichtungen drohen ihr eigenes, unverwechselbares Profil zu verlieren. Kontinuierliche Museumsarbeit ist dabei nicht mehr möglich.
Christoph Heinrich.

Heinrich: "Die Kontinuität - und über Kontinuität kann man eigentlich in Kultur immer nur sprechen, weil das das Entscheidende ist, das, was übrig bleibt - das andere ist irgendwie Tagesgeschäft und Entertainment, und am nächsten Tag hat man es vergessen - die Kontinuität kann nur gewährleistet sein, wenn der Staat sich nicht aus dieser Verantwortung für die Kultur herausstiehlt."

Das aber hat er längst gemacht. Das jedem zugängliche Museum, die Archive der Menschheitsgeschichte, eine Errungenschaft des Bürgertums wird heute durch eben dieses Bürgertum zur Disposition gestellt. In neoliberalen Zeiten, da nichts mehr zählt als die Profitrate der Konzerne, eine nur logische Konsequenz.
So dreht sich die Spirale weiter: Durch Hamburgs Museen zieht wieder einmal mehr eine "unabhängige Kommission”, die weitere Sparmöglichkeiten suchen soll. Sie wird sie finden. Für die Hamburger Kunsthalle machte sie zum vierten Mal Sparvorschläge.

Kistenmacher: "Es sind natürlich betriebswirtschaftliche Maßnahmen. Das heißt: Preiserhöhung, Teilschließung, Personalabbau. Nur: Wir haben einen öffentlichen Auftrag. Wir können uns doch nicht plötzlich verweigern, nur noch ein Konzept von Eventtour fahren, oder ein Konzept ‚nur der Reiche darf rein’, oder nur ein Konzept ‚Wir machen jetzt Vollkostendeckung.’ Ich denke mir das mal aus: 50.000 Besucher pro Jahr können sich das noch leisten vielleicht 300 Euro pro Eintritt zu bezahlen. Also das kann nicht unser Auftrag sein. Wir sind auch Bildungsinstitut und und und. Wenn Sie diesen Weg gehen - der Verknappung von Angeboten, der Reduzierung von Leistung - dauert das vier, fünf Jahre, dann fragt man: ‚Ja warum gibt es die überhaupt noch?’"