"Wahrheit und Freiheit müssen siegen"
Nachdem bereits Polen, Ungarn und die DDR sich befreit hatten, wagten im Dezember 1989 auch die Tschechen den Sturz des Sozialismus. Eine friedliche Revolution, die dazu führte, dass der Bürgerrechtler Václav Havel Präsident wurde. Vor 25 Jahren begann sie.
Mit den Studenten und ihrer Hymne begann der Anfang vom Ende. Über 20.000 versammeln sich am 17. November 1989 vor der medizinischen Fakultät im Prager Stadtteil Albertov. Es ist eine angemeldete Demonstration für Jan Opletal. Die Nationalsozialisten hatten den Studenten nach dem Einmarsch in die Tschechoslowakei 1939 ermordet und kurz darauf die tschechischen Universitäten geschlossen.
Doch im Herbst 1989 wollen die Demonstranten viel mehr als nur zurückblicken: Freiheit – Freiheit fordern die Studenten, und: Wir wollen eine neue Regierung. Polen und Ungarn haben sich bereits der sozialistischen Regime entledigt, und wenige Tage zuvor ist in Berlin die Mauer gefallen. Auch in der Tschechoslowakei gehen die Menschen seit Monaten auf die Straße. Sie protestieren gegen Zensur, Misswirtschaft, Umweltzerstörung. Im November 1989 springt der Funke auf die Massen über. Die Polizei knüppelt die Demonstration brutal nieder, als die Studenten ihren Marsch ins Zentrum der Hauptstadt, zum Wenzelsplatz, fortsetzen wollen.
"Es war für uns so ein Schock. Und eigentlich der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat."
Sagt Martin Mejstřík, einer der Studentenführer.
"Es war uns bewusst, dass der Generalstreik nur das äußerste Mittel sein kann. Aber nach diesem Massaker gibt es keinen anderen Weg mehr."
Die Nachricht, ein Student sei zu Tode geprügelt worden, verbreitet sich in Windeseile. Sie ist falsch – doch die Bevölkerung ist bereits mobilisiert. Tag für Tag versammeln sich die Tschechen und Slowaken nun auf den großen Plätzen, nicht nur in Prag, sondern auch in Bratislava und der ganzen Republik. Dissidenten und Intellektuelle schließen sich zum "Bürgerforum" zusammen, das slowakische Pendant dazu heißt "Öffentlichkeit gegen Gewalt". In Prag steht schnell ein Mann an der Spitze, der noch wenige Monate zuvor im Gefängnis saß. Es ist der bekannteste Bürgerrechtler des Landes, der Schriftsteller Václav Havel.
"Wahrheit und Freiheit müssen siegen", verkündet Havel in Anlehnung an den Reformator Jan Hus auf dem Wenzelsplatz. Auch die Arbeiter erklären sich mit dem Aufstand der Intellektuellen solidarisch.
Massendemonstrationen mit Volksfeststimmung
Zu den Massendemonstrationen kommen Hunderttausende, es herrscht Volksfeststimmung. Verfemte Musiker wie Jaroslav Hutka und Marta Kubišová treten nach Jahrzehnten erstmals wieder auf.
Weil der Umsturz ohne Gewalt verläuft – bis auf die prügelnden Polizisten vom 17. November - erhält er die Bezeichnung "Samtene Revolution". Am 27. November steht das Land still. Dem Generalstreik haben die Regierung unter Ladislav Adamec und Staatspräsident Gustáv Husák nicht mehr viel entgegenzusetzen. Bald übernehmen andere die Verantwortung. Václav Havel sieht sich selbst in diesen Novembertagen noch nicht in einer führenden Rolle:
"Der geheimnisvolle Lauf der Geschichte hat uns alle völlig überrollt. Wir haben nicht geahnt, dass die Geschichte auf so eine ruhige und schnelle Weise eine bessere Richtung einschlagen kann."
Anfang Dezember müssen die kommunistischen Führer einer Übergangsregierung zustimmen, die das Land zu freien Wahlen führt. Der Slowake Alexander Dubček, die Symbolfigur des Prager Frühlings von 1968 wird Vorsitzender des Parlaments. Und mit Václav Havel bekommt die Tschechoslowakei Ende Dezember 1989 einen Dichterpräsidenten. Bei den Wahlen im Juni 1990 gewinnt das Bürgerforum. Bald jedoch tritt im Land Ernüchterung ein. Viele fühlen sich abgehängt vom kompromisslosen Kurs der Wirtschaftsreformen. Realpolitik ist nicht die Sache der meisten Revolutionäre. Der Publizist Jan Urban war 1989 einer der Organisatoren des Bürgerforums.
"Die Samtene Revolution war ein einziges Chaos. Wir gewannen sie viel zu schnell und vergaßen augenblicklich, auch nur einen Schritt weiterzudenken."
Václav Havel bleibt im Ausland ein Held. Doch zuhause ist sein Einfluss begrenzt. Der Präsident will an die Tradition der Ersten Tschechoslowakischen Republik anknüpfen. Die Abspaltung der Slowakei 1993 kann er nicht verhindern.