Samuel Hamen: "Quallen. Ein Porträt"
Herausgegeben von Judith Schalansky, mit Illustrationen unter anderem von Falk Nordmann
Matthes & Seitz Berlin, 2022
143 Seiten, 20 Euro
Samuel Hamen: "Quallen"
Geheimnisvolle Medusen: Quallen polarisieren. © picture alliance / ZUMAPRESS.com
Zwischen Faszination und Ekel
09:23 Minuten

Quallen polarisieren. Vielen Menschen sind sie zur Urlaubszeit am Meer ein Graus. Die Wissenschaft wiederum hat noch viele offene Fragen an die geheimnisvollen Nesseltiere. Samuel Hamen hat ein Porträt über die faszinierenden Lebewesen geschrieben.
Sie haben nicht den besten Ruf, viele finde sie ziemlich eklig – oder haben sogar Angst vor ihnen. Doch wer einmal Quallen bei ihrem schwerelos-eleganten Wasserballett aus der Nähe betrachtet hat, wer gesehen hat, wie sie bunt leuchtend oder wie zarte Tüllgebilde durchs Wasser schweben, wirft solche Vorurteile über Bord.
Es gibt an die 9000 Quallenarten weltweit, und alle sind ein wichtiger Bestandteil des Lebensraums der Ozeane. Manche sind so klein wie Geleebohnen – passenderweise heißen sie auf Englisch „jellyfish“ – andere wiederum, wie die Gelbe Haarqualle, erreichen einen Durchmesser von bis zu zwei Metern.
Wehrhafte Medusen
Und wer beim Baden im Meer in engeren Kontakt mit einer Medusa – so die wissenschaftliche Bezeichnung der Nesseltiere – gekommen ist, weiß: Sie können äußerst wehrhaft sein, und Auseinandersetzungen mit einer Qualle enden für Menschen oft sehr schmerzhaft, wenn sie in Berührung mit den Tentakeln kommen.

Wundersame Unterwasserwelt mit Quallen: Diese Illustration von 1956 fertigte Zdeněk Burian unter dem Titel "Kambrisches Meer" an.© Zdeněk Burian
Dem Autor und Radiojournalist Samuel Hamen hat als Kind ein solcher Quallenkuss einst den Korsikaurlaub verhagelt. Das hat ihn aber nicht davon abgehalten, ein Buch über die faszinierenden Wesen zu schreiben: angereichert mit vielen schönen Illustrationen und herausgegeben in der Reihe „Naturkunden“ bei Matthes & Seitz von der Schriftstellerin Judith Schalansky. Hamen geht dafür auch weit in die Geschichte zurück, beschreibt die Eindrücke von Naturforschern im 18., 19. und 20. Jahrhundert.
Quallen als Delikatesse
Das eigene Erlebnis sei für ihn ein guter Einstiegspunkt für das Buch gewesen, sagt Hamen: „Da ist einerseits nämlich dieses Gefühl der Angst oder des Ekels und des Schreckens, das man mit diesem Tier verbindet, weil es einen eben aufgrund der Nesselzellen verbrennen kann. Und neben diesem Modus gibt es eben auch den Modus der Faszination.“
Beschrieben wurden Quallen schon in der Antike von Aristoteles, der Ratschläge gab, in welcher Jahreszeit die Qualle am besten zum Verzehr geeignet sei – „im Winter, nicht im Sommer, weil im Winter ihr Fleisch noch fester ist“.
In Asien sind Quallen übrigens fester und gesunder Bestandteil des Speisezettels, als Salat, Suppe oder als Chips. In Europa wird es wohl noch eine Weile dauern, bis sich die „Glibbertiere“ als alltägliches Nahrungsmittel durchsetzen können.
Erst spät im Blick der Wissenschaft
Auf den Radar der Wissenschaft habe es die Qualle aber erst im 18. Jahrhundert geschafft. Quallen machten uns auch ein wenig sprachlos: „Man versteht dieses Lebewesen nicht: Es hat kein Gehirn, es hat keine Lungen. Man weiß nicht so recht, wo es lebt und wie es sich fortpflanzt. Da gibt es auch heute noch in der Forschung große Fragen.“

Vorsicht, wenn sie auftaucht: Die Portugiesische Galeere ist schön anzuschauen, doch ihr "Kuss" kann tödlich enden.© picture alliance / blickwinkel/McPHOTO/J. Bitzer
Heute beschäftigen Quallen nicht nur die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern auch Kunst- und Literaturschaffende. Die Qualle sei vielfach zum Symbol geworden, sagt Hamen: „Queere Theorien arbeiten mit ihr, weil es schwierig ist, ihre Identität festzustellen, Stichwort: das Fluide. Insgesamt scheint sie heute so eine Art Zeitgeistsymbol zu sein.“
(mkn)