Samuel Selvon: "Die Taugenichtse"

Zwischen Lebenslust und Migrationsfrust

Samuel Selvon: "die taugenichtse"
Samuel Selvon: "die taugenichtse" © picture alliance / Lars Halbauer / dtv
Von Birgit Koß |
Vorurteile und Rassismus, aber auch Lebensfreude und Bereicherung: Wie Einwanderer im London der 1950er Jahre lebten, thematisiert Samuel Selvon in seinem vor 60 Jahren erschienen Band "Die Taugenichtse".
Samuel Selvon ist Landsmann und Kollege des neun Jahre jüngeren Nobelpreisträgers Sir V.S. Naipaul. Beide sind auf Trinidad geboren, in Port of Spain aufgewachsen, haben indische Vorfahren und gingen 1950 nach England. Doch während Naipaul in Oxford studierte, lebte der 27-jährige Selvon anfangs in einem Immigrantenheim in London. Seine Erfahrungen aus dieser Zeit verarbeitete er zu dem überaus erfolgreichen Roman "The Lonely Londoners", der 1956 in London erschien. Nach mehr als 60 Jahre liegt nun erstmals eine deutsche Übersetzung vor.

Moses Aloetta aus Port of Spain hat ein großes Herz, aber nur ein kleines Zimmer und nie genug Geld. Doch immer wieder wenden sich Neuankömmlinge an ihn für Hilfe bei der Arbeits- und Zimmersuche. So auch Henry, der schnell den Spitznamen Sir Galahad erhält und im Winter, nur mit einem Sommeranzug bekleidet, ohne Gepäck auf dem Bahnhof in Waterloo ankommt. Zuversichtlich entgegnet er Moses, er werde sich alles kaufen, wenn er erstmal Arbeit habe. Später avanciert er tatsächlich zu einem der bestgekleideten Männer in der Freundesgruppe um Moses, doch wenn die Zeiten schlecht sind, jagt er auch schon mal eine Taube im Park als Fleischmahlzeit. Zur Clique gehört auch Tolroy, der seine alte Mutter nachkommen lässt und sich plötzlich seiner sechsköpfigen Großfamilie gegenüber sieht. Oder Cap, der die Herzen aller - weißen - Mädchen bricht, nie arbeitet, aber immer die teuersten Zigaretten raucht. In kurzen, humorvollen Episoden entwickeln sich die Geschichten rund um Moses, der die schwierige Situation seiner Freunde klar erkennt, aber auch keinen Ausweg weiß und sich oft über ihren unverbrüchlichen Optimismus wundert.

"Mokkas" - die billigen Arbeitskräfte aus der Kronkolonie

Als Bürger der britischen Kronkolonie werden die Menschen von den Westindischen Inseln nach dem Zweiten Weltkrieg als - billige - Arbeitskräfte angeworben. Doch schnell machen die sogenannten "Mokkas" die Erfahrung, dass sie von den Engländern abgelehnt werden. Als Galahad in einer öffentlichen Toilette hört, wie zwei Weiße auf die "schwarzen Schweine, die die Klos versauen" schimpfen, hält er eine berührende Rede - an seine Hand: "das liegt alles an dir, weißt du. Warum zum Teufel kannst du nicht blau sein oder rot oder grün, wenn du schon nicht weiß sein kannst? Dir ist schon klar, dass du ganz viel Leid in die Welt bringst? Ich nicht nämlich sondern du."

Mitbegründer der Migrationsliteratur

Vorurteile, Rassismus, Ausgrenzung, aber auch Lebensfreude, Integration und Bereicherung durch eine andere Kultur – all dies steht hinter den Geschichten der "Taugenichtse" und damit ist dieser Roman so aktuell, wie er nur sein kann. Doch er hat noch einen weiteren Verdienst. Samuel Selvon hat das Englisch in seinem Roman kreolisiert und damit eine künstliche Sprache entwickelt, einen ganz eigenen, karibischen Rhythmus erschaffen. So war er nicht nur ein Vorläufer für Dub Poeten wie Linton Kwesi Johnson, sondern auch Mitbegründer einer eigenständigen Stimme in der folgenden Migrationsliteratur. Miriam Mandelkow ist nun eine mutige, einfühlsame Übersetzung gelungen. Sie trifft den Ton und karibischen Humor, der mit einem starken Überlebenswillen gepaart ist, mit einem selbst entwickelten Slang, der sich durch den ganzen Roman zieht.

Trotz der vielen deprimierenden Erlebnisse der "Mokkas", verlieren diese nicht ihre Lebensfreude, ihre Begeisterung für die Traumstadt London und letzten Endes ist es nie der richtige Zeitpunkt, um in die geliebte Heimat zurückzukehren. Neun Jahre nach dem Erscheinen der "Lonely Londoners" sagte Max Frisch, "wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen".

Samuel Selvon: "Die Taugenichtse"
dtv, München 2017
173 Seiten, 18 Euro