Eine schwierige Ikone
Vor fünfzig Jahren wurde die Neue Nationalgalerie von Mies van der Rohe in Berlin eröffnet. Der Geburtstag wird jetzt auf einer Baustelle gefeiert. Denn seit drei Jahren wird das Gebäude saniert. Der beauftragte Architekt David Chipperfield will dabei eine eigene Handschrift vermeiden.
Für ihn sei die Neue Nationalgalerie von Mies van der Rohe in Berlin ein großartiges Werk eines großartigen Architekten der Moderne, sagt der Architekt David Chipperfield während des Interviews auf der Baustelle.
"Im Kontext des Berliner Kulturforums war es aber mehr als nur Architektur. Es stand für den Wiederaufbau Westberlins - es sollte zusammen mit den benachbarten Bauten von Hans Scharoun helfen, Identität herzustellen, aus dem Kriegstrauma herausführen. Eine Ansammlung von Gebäuden voller Utopie. Hier weht ein spezieller Geist. Ich glaube, es gibt kaum ein Gebäude, das so viel Utopie mit sich bringt."
Soviel Mies van der Rohe wie möglich
Er wünsche sich, dass man auch nach der Sanierung nichts anderes als den Bau von Mies van der Rohe sehe, ohne seinen Einfluss wahrzunehmen, sagt Chipperfield:
"Es ist hier kein Platz für unsere Fingerabdrücke. Nur wenn wir was falsch machen, dann sieht man das. Ansonsten aber verlassen wir das Haus leise durch die Hintertür. Wissen Sie, man kann den Geist eines Gebäudes während der Restaurierung schnell zerstören. Das war auch ein Thema beim Neuen Museum."
Die Schäden an der Neuen Nationalgalerie seien allerdings viel geringer als beim Neuen Museum, das schwer beschädigt war. Zu tun gibt es dennoch genug:
"Rost, Wassereinlagerungen, aber auch schlecht gefertigte Baudetails - wenn ich das sagen darf! Wir kannten den Zustand nicht genau, bevor wir begonnen haben – oberflächlich schien das Meiste in Ordnung zu sein. Wir wussten von den Problemen mit den Glasflächen der oberen Halle. Was wir zum Beispiel nicht wussten: wie schlecht der Beton war. Überhaupt alles unter der Oberfläche, unter den Bögen. Das ist ein Kontrast zum Stahl – der ist völlig in Ordnung."
Mies van der Rohe habe nach außen hin moderne Technologie zeigen wollten, wandte aber nach innen hin "reine Handarbeit" an, sagt Chipperfield. Jetzt, durch die Sanierung, ziehe die Technologie mit der "Idee des Gebäudes" gleich.
Eine Provokation und ein Tempel zugleich
Man könne in vielerlei Hinsicht sagen, dass die Nationalgalerie ein dummer Museumsbau sei, meint Chipperfield:
"Wozu diese riesige Glashalle? Neun Meter hoch, Tageslicht, keine Zwischenwände. Was soll das? Was wirklich funktioniert ist das Untergeschoss mit dem Garten. Dort läuft die Maschinerie des Museums ganz hervorragend. Mies van der Rohe hat uns das Obergeschoss als Provokation hinterlassen. Künstler müssen sich fragen: Wie kann ich hier meine Kunst zeigen? Es wäre unverzeihlich, wenn das Haus nicht so wunderschön wäre. Es ist eine Ikone, ein Tempel. Es funktioniert."
Trotz seiner Arbeit an der Neuen Nationalgalerie bleibt der Architekt skeptisch gegenüber der Entwicklung des Kulturforums. So zweifelt er den Standort des geplanten Museums der Moderne an. Es soll entlang der Potsdamer Straße an die Neue Nationalgalerie anschließen.
Chipperfield sagt: "Ich war nie überzeugt vom Ort des neues Gebäudes. Auch die Verbindung zur Neuen Nationalgalerie ist schwierig. Ich glaube, dass Herzog & de Meuron das gut machen werden, sie sind wichtige Architekten. Aber das Kulturforum könnte auch ohne diesen Bau an dieser Stelle besser werden. Dazu müsste man nur die Parkplätze wegnehmen, die Straße schmaler machen. Aber es musste ja unbedingt ein Gebäude sein - das wäre an der Stelle nicht nötig gewesen. Wie auch immer, ich hätte das Projekt nicht an diesem Ort begonnen. Ich hätte das Museum hinter die Neue Nationalgalerie gebaut."