Eine Frage der Dosis
Kaum etwas aber wäre verheerender, als wenn sich die Europäer von Russland wegen der Ukraine auseinander dividieren ließen. Sie müssen mit Putin reden, aber auch die Daumenschrauben bei den Sanktionen anziehen.
Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Die Indizien grenzen aber inzwischen an Wissen, dass Russland in der Ostukraine direkt militärisch mitmischt. Die EU kann das nicht ignorieren. Sie will es nicht ignorieren. Denn wenn es so ist, spielt Putin ein doppeltes Spiel: Händeschütteln und Friedensrhetorik da – tätiges, auch unmittelbar militärisches Zündeln am Pulverfass Ostukraine dort. Verpackt mit beleidigtem Leugnen, was doch eigentlich mittlerweile allen Ernstes nicht mehr zu leugnen ist.
Wenn der nicht zu verbalen Übertreibungen neigende Bundesaußenminister heute von einer neuen Dimension des Konflikts gesprochen hat, von der Gefahr, dass die Situation außer Kontrolle gerät, wenn er Putin direkt auffordert, sich ehrlich zu machen und seine wirklichen strategischen und militärischen Interessen auf den Tisch zu legen, wenn einige von Steinmeiers Kollegen Russlands Tun und Handeln in der Ostukraine als schleichende Invasion bezeichnen, dann wird deutlich, wie weit sich die Situation mittlerweile zugespitzt hat.
Sanktionen bringen keine politischen Lösungen
Aber was bedeutet das, wenn die EU jetzt weiß und damit kaum anders kann, ohne sich Moskau gegenüber der Lächerlichkeit preiszugeben, als "heiß" zu sein? Mehr Drohungen Richtung Moskau, dass man noch ganz anders könne? Oder die Sanktionen noch einmal verschärfen? Oder reden, verhandeln, in Verbindung bleiben? Die Antwort kann nur sein: Dieses alles. Es ist eine Frage der Balance, der jeweiligen Dosis. Sanktionen bringen keine politischen Lösungen. Sie können nur der Bereitschaft für politischen Interessenausgleich auf die Sprünge nachhelfen.
Also reden, verhandeln, Meinungen austauschen und die Daumenschrauben bei den Sanktionen anziehen. Bis hierher war man sich bei allen Meinungsverschiedenheiten im Detail nicht nur europäisch sondern auch transatlantisch relativ einig. Selbst wenn sie politisch enttäuschend wenig bewirken und die Wirkung auf Putins Handeln im gewünschten Sinne aussteht − die Sanktionen greifen sehr wohl schon, wenn auch eher indirekt. Wirtschaftsdaten zeigen, dass Moskau die Zeche für die Annektierung der Krim und die Destabilisierung der Ostukraine durchaus zu zahlen begonnen hat.
Es könnte zu schmerzen beginnen
Nicht nur die Sanktionierten zahlen – auch diejenigen, die sanktionieren. Bisher hält sich das vielleicht noch in verkraftbaren Grenzen, aber es könnte zu schmerzen beginnen, wenn die Wirtschaftssanktionen auf weitere Bereiche ausgeweitet werden sollten. Und danach sieht es aus.
Wenn die Staats- und Regierungschefs mit einiger Sicherheit morgen beim Gipfel in Brüssel der EU-Kommission den Auftrag erteilen, die wirtschaftlichen Folgen abzuschätzen, die das Drehen an der Sanktionsschraube gegen Russland in der EU hätte, steht auch eine weitere Frage im Raum: Wie es dann noch um Solidarität und ziemliche Einigkeit bestellt ist, wenn es richtig teuer wird. Am lautesten rufen diejenigen diesseits und jenseits des Atlantiks nach Sanktionen, die dafür selbst nur einen geringen Preis zu zahlen hätten. Kaum etwas aber wäre verheerender, als wenn sich die Europäer wegen nationaler Interessen – sollten sie noch so nachvollziehbar sein – von Russland über der Causa Ukraine auseinander dividieren ließen.
Putin wäre das Genugtuung pur. Wenn er darauf spekulieren kann, dass es auf Dauer nicht weit her sein wird mit der Einigkeit der Europäer, wird er das Zündeln in der Ukraine nicht lassen, wenn es seinen geostrategischen Interessen dient, über die sich nur mutmaßen lässt.
Das jedenfalls weiß man mit Sicherheit.