Ich habe den Eindruck, hier läuft ein Wettbewerb der Sanktionen. Für mich werden damit Menschen nur deshalb sanktioniert, weil deren Nationalität Russisch ist. Andererseits stelle ich mir auch die Frage, wie sich ukrainische Sportler in dieser Situation überhaupt auf Wettkämpfe konzentrieren können. Sportveranstaltungen außerhalb der Ukraine, wo dort Krieg, Tod und Zerstörung den Alltag beherrschen. Das ist doch absurd.
Meinungen zum Russland-Boykott
Die russischen Nationalspieler dürfen bei der Fußball-WM in Katar nicht spielen. © dpa / picture alliance / Thomas Eisenhuth
Sollte es Sanktionen gegen russische Sportler geben?
06:40 Minuten
Trotz des russischen Angriffs auf die Ukraine sei es unverhältnismäßig, dass fast alle Sportverbände russische und belarussische Sportlerinnen und Sportler von internationalen Wettbewerben ausschließen, meint Thomas Wheeler. Dagegen plädiert Ronny Blaschke für Sanktionen.
Warum Sanktionen gegen russische Sportler falsch sind
Ein Kommentar von Thomas Wheeler
Werden russische Sportler jetzt per se bestraft, weil sie Russen sind? Das kann doch nicht im Sinne unserer Gesellschaft sein, die sich immer liberal und weltoffen gibt und zurecht gegen Krieg, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Sexismus und Diskriminierung aufsteht.
Sanktionen gegen Präsident Putin, Außenminister Lawrow und Verteidigungsminister Schoigu unterstütze ich, da sie die unmittelbare Verantwortung für den Krieg in der Ukraine tragen und gegen das Völkerrecht verstoßen. Ebenso bin ich für Maßnahmen gegen Oligarchen und Großkonzerne, die hinter Putin stehen und damit maßgeblich zum Erhalt seines autokratischen Systems beitragen.
Verhältnismäßigkeit muss bleiben
Ich halte es allerdings für unverhältnismäßig, wenn jetzt fast alle Sportverbände russische und auch weißrussische Sportlerinnen und Sportler von internationalen Wettbewerben ausschließen. Sanktionieren kann man ja Funktionäre, die eine Verbindung zu Putin haben. Genauso wie Athletinnen und Athleten, die seine Politik befürworten. Natürlich zielen diese Maßnahmen auch auf die Bedeutung des Sports als Unterhaltungs- und Kommerzfaktor in Russland und können damit möglicherweise Putins Image in seiner Heimat nachhaltig beschädigen.
Um es klar zu sagen: Sankt Petersburg ist völlig zurecht das Finale der Fußball Champions League entzogen worden. Die meisten Sanktionen aber, machen wir uns nichts vor, sind reine Symbolpolitik. Sie zeigen die Hilflosigkeit des Westens. Was können Sportler dafür, die wie der Fußballnationalspieler Fedor Smolow "Nein zum Krieg" gesagt haben, dass ihr Präsident den Befehl zum Einmarsch in die Ukraine gegeben hat? Und Smolow ist nicht der einzige russische Athlet, der sich klar gegen Putin gestellt hat.
Aber wie ist das eigentlich mit den Schwächsten in diesem Konflikt, den Kindern? Wie müssen sich russische Kinder- und Jugendteams fühlen, die nun auch vom internationalen Sport ausgegrenzt werden? Wie ihre Vorbilder. Und was ist mit den ukrainischen Kindern, die entweder mit ihren Eltern auf der Flucht sind oder in Kellern Zuflucht vor russischen Bombenangriffen suchen? An Sport und Spaß können sie momentan überhaupt nicht denken. Sie leiden am allermeisten.
Konsequent wäre Pause für gesamten Sport
In der "Konferenz der Tiere" von Erich Kästner pflegte der Elefant Oskar in solchen Fällen immer zu sagen: "Mir tun bloß ihre Kinder leid, die sie haben. So nette Kinder! Und immer müssen sie die Kriege und die Revolutionen und die Streiks mitmachen, und dann sagen die Großen noch, Sie hätten alles nur getan, damit es den Kindern später einmal besser ginge.“
Was in dieser bedrückenden Lage wirklich konsequent wäre, wenn der gesamte Sport, zumindest in Europa, mal eine gewisse Pause einlegt und innehält, während in der Ukraine Bomben fallen und Menschen getötet werden. Und nicht nach verhängten Sanktionen wieder zum alltäglichen Geschäft übergeht. Nach dem Motto, wir haben getan, was wir konnten. „The Show must go on“. Der Sport hat die Kraft Brücken zu bauen. Das hat er schon oft bewiesen. Dafür muss er aber auch die Tür offenhalten und darf den Dialog nicht einfach abbrechen.
Warum Sanktionen gegen russische Sportler richtig sind
Ein Kommentar von Ronny Blaschke
Für Wladimir Putin war der Sport eine Fassade für Großmachtfantasien. Seit Anfang des Jahrtausends schickte er Gefolgsleute aus Sowjetzeiten in Vorstände von Fußballklubs und Sportverbänden. Der Staatskonzern Gazprom ermöglichte dem Kreml als Sponsor eine informelle Kommunikation zur westlichen Politik. So konnten russische Gasmanager im Umfeld des Fußballs für umstrittene Pipelineprojekte werben.
Russland veranstaltete etliche Weltmeisterschaften: in der Leichtathletik, im Schwimmen, im Fußball. Gegenüber dem internationalen Publikum konnte sich Putin als weltoffener Staatsmann präsentieren - gegenüber der eigenen Bevölkerung als Landesvater. Dem größten Land der Welt mit seinen rund 100 Volksgruppen fehlt eine übergreifende Identität, zumal der Sieg im Zweiten Weltkrieg verblasst.
Viele Menschen kompensieren ihre finanziellen Sorgen mit Ablehnung gegen Einwanderer. In diesem Klima wollte Putin mit Hilfe des Sports seine Erzählung der Einheit fortschreiben, gegen die angebliche Bevormundung des Westens. Es ist gut möglich, dass die erfolgreich organisierten Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi seine Machtansprüche bestärkt haben. Wenige Tage später ließ Putin die Krim annektieren.
Für den internationalen Sport war noch keine rote Linie überschritten. Russland durfte sich auf die Fußball-WM 2018 freuen. Und der Kreml verschärfte die Repression. Demonstrationen wurden verboten, NGOs als „ausländische Agenten“ dämonisiert. Immer wieder mit der Begründung, man müsse das Land vor der „Bedrohung des Terrorismus schützen“, gerade mit Blick auf die Fußball-WM.
Russlands Sport für die Staatspropaganda
Putin wollte mit Sport nach innen wirken. Die Russische Föderation besteht aus Republiken, Regionen, Gebieten, mit unterschiedlichen Graden an Autonomie. Lokale Eliten wünschen sich Freiräume, im Gegenzug garantieren sie Loyalität. Fußballklubs und Olympia-Athleten werden von Regionalverwaltungen und Oligarchen gestützt.
Im russischen Parlament sitzen für Putins Partei zwanzig Abgeordnete mit Sportbezug, etwa Alexander Schukow, der ehemalige Präsident des Nationalen Olympischen Komitees. Der Sport sollte die Politik von Wladimir Putin unverdächtig erscheinen lassen.
Auf finanzieller Ebene dürfte der Ausschluss einiger Banken aus dem SWIFT-Zahlungssystem den Kreml härter treffen. Doch auf der symbolischen Ebene geht der Staatspropaganda eine wichtige Quelle verloren: der Sport. Eine Entscheidung, die erst zurückgenommen werden darf, wenn Putin nicht mehr im Amt ist.