Sanktionen

"Schon die Drohung kann Wirkung zeigen"

Der türkische Präsident Erdogan bei einem Treffen mit Putin in Hamburg
Drohen Erdogan bald weitreichende Sanktionen? © picture alliance/dpa - Mikhail Klimentyev/TASS/dpa
Peter Rudolf im Gespräch mit Dieter Kassel |
Nordkorea, Russland, der Iran und vielleicht bald die Türkei? Bei Sanktionen kann manchmal schon die Drohung Wirkung zeigen. Harte Wirtschaftssanktionen sind jedoch nicht der einzige Weg, sagt der Politikwissenschaftler Peter Rudolf.
Dieter Kassel: Nordkorea, Russland, der Iran und vielleicht bald auch die Türkei – wenn ein Staat oder eine Staatengemeinschaft das Verhalten eines anderen Staates nicht mehr weiter akzeptieren will und Appelle nicht fruchten, dann werden Sanktionen verhängt. Und manchmal bleiben diese Sanktionen dann über Jahre erhalten, aber man hat öffentlich den Eindruck, dass sie eigentlich nichts bewirken, außer dass es eventuell der Bevölkerung des jeweiligen Landes schlechter geht. Machen Sanktionen überhaupt Sinn, und wenn ja, unter welchen Umständen und unter welchen eher nicht? Das wollen wir jetzt von Peter Rudolf wissen, Politikwissenschaftler, er arbeitet bei der Stiftung Wissenschaft und Politik und ist unter anderem auch Autor eines Forschungsberichts zur Rolle der Sanktionen in der internationalen Politik. Herr Rudolf, einen schönen guten Morgen!
Peter Rudolf: Einen schönen guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Eine aktuelle Umfrage, aber ganz aktuell ist sie nicht, aber es wird sich nicht viel geändert haben, vor ein paar Wochen gelesen in Deutschland, wo die große Mehrheit der Bevölkerung gesagt hat, Sanktionen erscheinen ihnen grundsätzlich wirkungslos. Kann man das in dieser Härte sagen?

Es gibt keine Pauschal-Rezepte

Rudolf: In dieser Pauschalität sicherlich nicht. Man muss natürlich schauen, was Wirkung überhaupt bedeutet, was will er mit Sanktionen erreichen, und da bleibt manches natürlich im Unklaren. Sanktionen können zum einen dazu dienen, Missfallen auszudrücken, symbolisches Missfallen, Tadel – das wäre sozusagen, was die Wissenschaftler die expressive Funktion nennen würden. Und dann können sie zum anderen ganz konkrete Ziele verfolgen, instrumentell – man will das und jenes von einem Staat erreichen. Und dann gibt es natürlich noch eine dritte Variante, das sind Sanktionen, wie es im Ost-West-Konflikt der Fall war, Exportkontrollen, die dazu dienen, das militärische Potenzial, die militärischen Fähigkeiten eines Gegners einzuschränken, indem bestimmte Hochtechnologieexporte oder Ähnliches verboten wurden. Also man muss genau hinschauen, und die Frage ist natürlich, wie, im Vergleich zu anderen Instrumenten, erfolgreich oder sinnvoll sind Sanktionen. Es funktioniert ja vieles nicht in der internationalen Politik, auch militärische Gewalt funktioniert selten.
Kassel: Aber gehen wir noch einen Schritt zurück. In der Regel ist es ja so, dass bevor Sanktionen tatsächlich verhängt werden, diese Sanktionen angekündigt werden. So eine Ankündigung, ist die oft schon genug, oder muss man davon ausgehen, wenn man das erst mal ankündigt, dann muss man auch auf jeden Fall bereit sein, die Sanktionen am Ende auch tatsächlich zu verhängen?
Rudolf: Es gibt Untersuchungen, die sogar nahelegen, dass es vielleicht wirkungsvoller ist, wenn Sanktionen angekündigt werden, oder umgekehrt, dass allein die Ankündigung schon ausreicht, dass das Zielland unter Umständen sein Verhalten verändert. Insofern muss man sehr genau hinschauen. Wenn man nur auf die verhängten Sanktionen schaut und auf deren Erfolg oder Misserfolg, dann sieht man nicht das ganze Bild. Sehr oft wird angekündigt, und das kann mitunter schon Erfolg haben. Wenn man diese Fälle einbezieht, dann sieht es vielleicht gar nicht so schlecht aus. Aber wie gesagt, das ist sehr schwer festzustellen, aber man muss davon ausgehen, dass der Aufbau einer Drohkulisse schon Wirkung zeigen könne in dem Sinne, dass die andere Seite auf bestimmte Forderungen entgegenkommt.

Oft werden Drohungen nicht öffentlich gemacht

Kassel: Hätten Sie denn Beispiele parat, wo schon die Drohung gereicht hat?
Rudolf: Das Schwierige ist ja, man weiß es nicht, das sind Fälle, die – oft werden ja Drohungen ja gar nicht öffentlich geäußert. Gerade in Handelskonflikten, die Drohung mit Verhängung von Sanktionen kann da durchaus Wirkung zeigen, aber es ist natürlich extrem schwierig, das festzustellen. Man wird sehen, ob die Türkei in ihrem Verhalten, um das konkrete Beispiel jetzt mal ganz kurz zu nehmen, ob sich da irgendwas bewegt, wenn jetzt diese Art von Sanktionsdrohkulisse langsam aufgebaut wird. Also schwierig, aber man muss immer sehen, was soll man sonst tun, wenn in bestimmten Fällen ein Staat ein Verhalten an den Tag legt, das nicht zu billigen ist. Politiker müssen handeln, und da bleiben ihnen nicht viele Möglichkeiten. Insofern, viele Fälle gibt es sicherlich nicht, wo man eindeutig den Erfolg von Sanktionen nachweisen kann. Sanktionen sind ein Teil in einer langen Kette anderer Instrumente, und es kann unter Umständen Jahre dauern. Nehmen Sie die Sanktionen, die in den 80er-Jahren gegen Südafrika verhängt wurden, die dann am Ende dazu geführt haben, dass das Apartheidregime, das Regime der Rassentrennung in Südafrika überwunden werden konnte.
Kassel: Nun heißt es ja gerade am Beispiel Türkei, Sie haben das ja auch eben noch erwähnt, also einige sagen, dass – Cem Özdemir hat's mehrfach gesagt, andere auch – wenn da irgendwas Wirkung zeigt, dann sind es wirtschaftliche Sanktionen, denn das trifft die Türkei wirklich hart, da kann auch Erdogan nicht mehr so tun, als mache ihm das nichts aus. Aber sind denn Sanktionen – das klingt immer so in der Alltagssprache –, aber sind denn Sanktionen zwangsläufig tatsächlich immer Wirtschaftssanktionen, oder gibt es noch andere Möglichkeiten?
Rudolf: Es gibt andere. Das traditionelle Verständnis ist, harte Wirtschaftssanktionen, je härter der wirtschaftliche Schaden, umso eher die Wahrscheinlichkeit, dass ein Staat reagiert, das stimmt so nicht. Harte wirtschaftliche Sanktionen haben viele Nebeneffekte, Sie haben es erwähnt, die Bevölkerung könnte unter Umständen in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Vorstellung ist bei harten wirtschaftlichen Sanktionen, dass irgendwann eine Regierung die Zustimmung der Bevölkerung verlieren könnte und deswegen einlenken muss. Aber es gibt seit Langem andere Sanktionen, das sind gezielte Sanktionen. Das können Sportsanktionen sein, dass Staaten nicht an internationalen Wettbewerben teilnehmen können, Südafrika wiederum ein Beispiel, Reisesanktionen, dass bestimmten Politikern oder Entscheidungsträgern die Einreise verweigert wird in die Europäische Union oder die USA oder andere Staaten.

Eine vielfältige Palette

Da gibt es eine vielfältige Palette an Sanktionen, das kann die Unterbindung von Waffengeschäften sein, Rüstungslieferungen, das kann der Entzug von Entwicklungshilfe oder Auslandshilfe sein. Also es gibt eine ganze Palette, und zumindest in den letzten 20 Jahren haben Staaten, haben die Vereinten Nationen immer wieder versucht, eher zielgenaue Sanktionen, vor allen Dingen auch Finanzsanktionen, die sehr Wirkung zeigen: Einfrieren von Guthaben, Verhinderung der Möglichkeit, im internationalen Finanzgeschäft teilzunehmen, Transaktionen zu finanzieren. Also es gibt eine vielfältige Palette, und man versucht eher, Sanktionen zielgenau und auf bestimmte Entscheidungsträger oder bestimmte Gruppen, die in einem Land von Bedeutung sind, auszurichten.
Kassel: Wie löst man denn folgendes Problem? Man hat eine Forderung, die im Prinzip berechtigt ist, von der man aber genau weiß, der, von dem man sie fordert, wird sie nicht erfüllen. Also ein Beispiel, das mir einfiele, wäre die Halbinsel Krim. Ich glaube, wir können uns drauf einigen, es ist nicht so wahrscheinlich, dass Russland die in den nächsten Wochen einfach wieder zurückgeben wird an die Ukraine, andererseits ist das der Hauptgrund für die Sanktionen gegenüber Russland. Würden Sie da sagen, ja, das muss man schon aus Prinzip trotzdem machen, oder nein, eine Sanktion, deren Forderung nicht erfüllt werden kann, macht keinen Sinn?
Rudolf: Die Sanktionen haben ja unterschiedliche Funktionen, ich hab's angedeutet: expressiv Missfallen zum Ausdruck zu bringen. Das ist sicherlich eine Funktion der Sanktion wegen der Annexion der Krim, dass hier eine Verletzung des Völkerrechts sanktioniert wird, ungeachtet der Tatsache, dass wahrscheinlich Russland die Krim nie zurückgeben wird. Dann haben die Sanktionen – es gibt ja viele Sanktionen in dem Kontext – natürlich auch die Funktion, zu einer Regelung des Konflikts in der Ukraine, jetzt die Krim ausgenommen, beizutragen.
Ja, ich denke, aus politischer Sicht, wenn einmal Sanktionen verhängt sind, die vor allem diese symbolische Bedeutung haben, dann wird es ganz schwer, da wieder rauszukommen, da müssen irgendwelche Kompromisse gefunden werden. Ansonsten gilt ja, Sanktionen sollten Teil einer diplomatischen Strategie sein, man sollte den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen, wenn man wirklich was bewirken will und eben nicht nur ein Land dauerhaft unter Druck setzen möchte oder einfach nur auch innenpolitisch bedingt Missfallen ausdrücken möchte.
Kassel: Peter Rudolf von der Stiftung Wissenschaft und Politik, über Sinn und manchmal auch Unsinn von Sanktionen. Herr Rudolf, ich danke Ihnen sehr fürs Gespräch!
Rudolf: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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