Wo Orishas und Heilige verschmelzen
Immer mehr Menschen wenden sich auf Kuba der Santería zu, einer von den Sklaven aus Afrika importierten Religion, die sich mit der katholischen Heiligenverehrung vermischt hat. So beten viele Kubaner zum Beispiel zur Heiligen Barbara und meinen eigentlich Chango, den Gott des Donners.
Eine buntgemischte Menschenmenge hat sich vor einem blauen Wohnhaus in La Hata versammelt. La Hata gehört zu Guanabacoa, einem der östlichen Stadtbezirke Havannas und gilt als eines der Zentren für Santería. Männer mit Strohhüten oder Schiebermützen und Zigarre im Mund, Frauen mit Babys auf dem Arm, alte Kranke, junge Männer und Frauen aller Hautfarben sind gekommen, um dem heiligen Lazarus zu huldigen. Sie alle betrachten sich als Kinder des Lazarus. Hijos de Lazaro prangt denn auch auf der bronzefarbenen Tafel an dem blauen Wohnhaus. Darüber steht der Schriftzug: Asociación Religiosa Afrocubana: Afrokubanische religiöse Vereinigung.
Am Hauseingang steht eine tragbare Statue des heiligen Lazarus auf einem Tisch: Lilafarbenes Gewand, zwei Keramikhunde zu Füßen, unter diesem Altar Berge von Zigarren und Kerzen als Opfergaben. Andres Hernández:
"Der heilige Lazarus steht für Gesundheit. Wir nennen ihn auch Babalu Ayé. Man bringt ihm Blumen, Kerzen, Kokosnüsse. Seine Farbe ist violett. Man opfert ihm Ziegenbockfleisch mit Kartoffeln. Das Essen wird später dann verzehrt. Man bringt dem heiligen Lazarus Zigarren, Mais, Rum und auch Wein."
Vater der Erde bedeutet Babalu Ayé, erklärt Andres Hernández weiter. Er ist Babalao, Priester der Santería, und führt das Werk seines vor einem Jahr mit 99 Jahren verstorbenen Vaters Enriquíto weiter.
"Enriquíto ist für uns wie ein Gott. Er praktizierte die Religion Palo Monte des Bantúvolkes. Er hat am 22. Juni 1957 die afrokubanische Vereinigung der Kinder des Heiligen Lazarus gegründet. Die Großmutter von Enriquito kam aus Afrika, aus Angola. Wir erweisen hier den Menschen die Ehre, die ihre Kultur aus Afrika mitgebracht haben. Das war das Werk Enriquitos und wir setzen es fort, damit das Licht nicht erlischt."
Jedes Jahr am 17. Dezember, dem Namenstag, tragen sie den heiligen Lazarus singend und tanzend durch die Straßen von La Hata.
Eine Mischung aus Gottheiten und Heiligen
"Dank dem Heiligen, den das Gotteskind ins himmlische Reich zu sich geholt hat, geht es mir besser. Ich wurde an beiden Knien operiert und ich habe gebetet und geopfert. Mit geht’s jetzt viel besser", sagt Carmen. Sie ist eine von über 3000 Personen, für die der verstorbene Babalao – also Santería-Priester Enriquito die Patenschaft übernommen hat. Auch Mercedes gehört dazu.
"Meine Wurzeln sind katholisch. Meine Familie stammt aus Spanien. Der Katholizismus war also das Schöne zu Beginn meines Lebens, das mich später auch wegen gesundheitlicher Probleme auf den Weg der Spiritualität geführt hat. Ich wurde zunächst unter der Patenschaft von Enriquito nach der 'Regla de Palo' initiiert. Er hat mit mir rituell gearbeitet und mich geweiht. Später habe ich dann mit seiner Tochter Victorita, meiner Patin, gearbeitet und dann bekam ich Obbatalá als Orisha."
In der Santería sind die Orishas eine Mischung aus Gottheiten und Heiligen. Obbatalá ist Sohn von Olofi und Oludamare, den Schöpfern und obersten Gottheiten. Zusammen bilden sie so etwas wie die Dreifaltigkeit. Mercedes Serpa steht also unter dem Schutz des ältesten Orisha, des Schöpfers des Menschen.
Er zählt zu den ursprünglich 375 afrikanischen Gottheiten des Volkes der Yoruba aus dem heutigen Nigeria und Benin. Mit der Versklavung und Verschiffung der Yoruba nach Kuba gelangte der Kult ab dem 17. Jahrhundert auf die Insel – und die gewaltsame Christianisierung der Sklaven führte zu einer Vermischung mit dem Katholizismus der Kolonialisatoren. Jeder, der wie Mercedes in der Santería initiiert wurde, muss getauft sein, erklärt die in Deutschland lebende kubanische Schriftstellerin Susana Caminos:
"Ohne Katholizismus gibt es keine Santería und wir müssen uns taufen (lassen), bevor wir in die Santería eintreten. Ich war 18 Jahre alt, als ich in die Santería eingetreten bin – ohne Überzeugung meiner Eltern, meiner Familie, alleine und das war aus Bedacht, weil ich ein Kind war, das immer krank war. Die Ärzte wussten nicht, was ich hatte, und aus Verzweiflung und Angst habe ich mich ein bisschen umarmen lassen von der Santería."
Auch in der Santería wird getauft. Es folgt ein spezieller Initiationsritus, um herauszufinden, welcher Heiliger Schutzpatron wird, erläutert Maria Antonia, Führerin im Museum der Asociación Cultural Yoruba de Cuba, des Vereins für Yoruba Kultur.
"Diese Zeremonie führt der Babalao, der Priester unserer Religion, durch. Dabei wird nicht nur der Schutzpatron bestimmt, sondern es werden auch Aussagen über das vergangene, aktuelle und künftige Leben des Betroffenen gemacht. Für die eigentliche Initiation in der Santería gibt es eine Zeremonie, die sieben Tage dauert. Danach muss ein Jahr lang ausschließlich weiße Kleidung getragen werden als Zeichen, dass der Betroffene sich von allen Unreinheiten reinigt."
Es heißt, während der Zeremonie steige der Geist des Orisha hinab in den Kopf des Initiierten. Tempel für die Zeremonien gibt es nicht: In der Regel finden sämtliche rituelle Praktiken der Santería in Privathäusern im Beisein der Babalaos statt. Eingesetzt werden dabei die heiligen Batáa-Trommeln.
Geisterbeschwörung, Hexerei, Voodoo
Auf einer geweihten Trommel aus dem Jahre 1825 spielt Jorge ein Thema für Changó – den kriegerischen Heiligen des Donners, der als Santa Barbara verehrt wird. Wenn die Rhythmen der Batáa-Trommeln, die Gesänge ertönen, beginnen die Leute zu tanzen, gelegentlich bis sie in einen Art Trance-Zustand verfallen. Ihr Orisha ergreift Besitz von ihnen und spricht zu ihnen und durch sie, heißt es dann.
Die aus Westafrika stammende Yoruba Kultur ist nur der eine Pfeiler, auf dem die Santería ruht, wohl aber der bedeutendste. Auch der Totenkult der Bantú aus dem Kongo, Formen der Geisterbeschwörung, der Hexerei, des Voodoo haben nicht zuletzt durch die starke Einwanderung aus Haiti im 19. und 20. Jahrhundert die Entwicklung der Santería stark mitgeprägt. Weder die Kolonialherren noch der zunächst stark nach sowjetischem Modell atheistisch gestaltete Sozialismus konnten auf Kuba den Einfluss der afrikanischen Kulte eindämmen.
Schriftstellerin Susanna Caminos hatte vor allem wegen ihrer gesundheitlichen Probleme den Weg zum Spirituellen, zur Santería gesucht. Überraschenderweise ist jedoch nicht der für die Heilung der Kranken zuständige Babalu Ayé – der heilige Lazarus – zu ihrem persönlichen Orisha geworden.
"Nicht San Lazaro ist mein spezieller Heiliger. Vom 16. bis 17. (Dezember) habe ich gewartet und eine Kerze angezündet und zu ihm gebetet, aber jeder, der mich kennt, weiß, dass La Caridad del Cobre, Oshún, meine Mutter, meine Schutzpatronin ist."
La Caridad del Cobre, die barmherzige Jungfrau von Cobre, im Osten Kubas nahe Santiago, wird seit 1612 verehrt. Papst Benedikt XV. hat sie 1916 zur Schutzpatronin Kubas erklärt. Die afrikanischen Sklaven verehrten in ihr Oshun, die Schwester der Göttin des Meeres, Yemaya. Oshun ist Helferin des Babalao, des Priesters. Sie schützt die Schwangeren und verkörpert als Göttin der Flüsse und der Liebe vor allem die weibliche Schönheit, Sensualität, Musikalität - eine Art Aphrodite.
Die für die Santería auf Kuba bedeutendsten 30 Gottheiten sind in Havanna im Museum der Asociación Cultural Yoruba de Cuba, des Yoruba-Kulturvereins Kubas, in Form von überdimensionierten Gipsfiguren personifiziert worden.
"Die Menschen gehen sehr pragmatisch mit Religion um"
Seit einigen Jahren führt José Manuel Perez, ein weißer Kubaner, diesen Verein der aus Afrika stammenden Yoruba-Kultur mit 38.000 Mitgliedern.
"1976 wurde dieser Verein von O‘Faril gegründet und später von der Regierung anerkannt. Wir würdigen und feiern jeden Heiligen zu seinem Namenstag. Yemaya als Jungfrau von Regla, Oshun als barmherzige Jungfrau von Cobre und so weiter. Wir feiern diese Tage mit Trommeln und Opfern."
Im Museum des Yoruba-Vereins lernt der Besucher die wichtigsten Gottheiten aus dem Pantheon der Santería kennen: Angefangen von Changó, dem kriegerischen Orisha des Donners, verehrt als Santa Barbara, über Yemaya, der Göttin des Meeres, alias der Jungfrau von Regla, über den Wegbereiter Ellegguá, alias heiliger Antonius, und Osain, den heiligen Josef, bis hin zu den höchsten Wesen Olofin und Oludamare, die als Schöpfer des Universums jedoch nur durch einen weißen Vorhang repräsentiert werden. Katholische und afrikanische Glaubenselemente verschmelzen in der Santería, wachsen zu einem neuen Ganzen. Orlando Martinez:
"Sicherlich gibt es viel mehr Menschen, die diese synkretistischen Religionsformen praktizieren, als den orthodoxen Katholizismus. Hier existiert ein sehr kubanischer, ein sehr volkstümlicher Katholizismus, dem sich die Menschen aus Not zuwenden. Diejenigen, die die reine orthodoxe katholische Lehre praktizieren sind eindeutig in der Minderzahl. Die Menschen gehen sehr pragmatisch mit Religion um und dieser Pragmatismus wird sehr stark von den Religionen afrikanischen Ursprungs geprägt."
Glaubt Orlando Martinez, der Leiter der Casa del Caribe – eines Forschungs- und Kulturzentrums karibischer Kultur in Santiago de Cuba. Die katholische Kirche begrüßt den Synkretismus nicht, vermeidet es aber, allzu hart dagegen vorzugehen, um keine Gläubigen zu verlieren. Denn sie weiß, dass die Santería vielen Menschen im Zweifel näher ist.
"Aus der Befragung des Orakels nach dem Ifá-Ritual entspringen eine Reihe an praktischen Verhaltensempfehlungen, die die katholische Kirche in der Form nicht gibt. Unabhängig von der Richtung der afrikanischen Religionen kann der Betroffene seine Probleme sofort lösen und nicht nur einfach zu Gott beten."
Erklärt Orlando Martinez den wachsenden Erfolg und Zuwachs der Santería auf Kuba. Santería in der Musik der Campesinos, der einfachen Leute vom Land – hier in der Interpretation von Celina Gonzalez. Santería ist allgegenwärtig, im Aufwind und längst im sozialistischen System kubanischer Prägung akzeptiert und respektiert.