Sarah Fischer: "Die Mutterglück-Lüge. Regretting Motherhood – Warum ich lieber Vater geworden wäre"
240 Seiten, 16,99 Euro, ebook 13,99 Euro, Verlag Ludwig
Wenn Mutter sein nicht glücklich macht
Seit über einem Jahr wird über das Buch "Regretting Motherhood" von Orna Donath debattiert. Auch Sarah Fischer bereut, dass sie Mutter geworden ist, in ihrem Buch "Die Mutterglück-Lüge" schreibt sie über die Ungerechtigkeiten, die für sie zur Reue geführt haben.
Sarah Fischer hat definitiv Mut. Sie schreibt Sätze, die rein intuitiv wirklich falsch klingen.
"Mein Leben ohne Kind war leichter, schöner, freier."
Oder den hier:
"Wie viele schöne Momente braucht es um den Verlust des eigenen Lebens auszugleichen?"
Wirklich mutig
Ich habe selbst schon öfter neben meiner kleinen Tochter gelegen und bin an mir selbst verzweifelt: 'Ich liebe dich', habe ich gedacht, und gleichzeitig "das hier macht mich nicht glücklich." Und dann bin ich über mich selbst erschrocken. Weil: sowas denkt man nicht! Es ist wirklich mutig, dass Sarah Fischer das aufgeschrieben hat. Und der entscheidende Satz kommt erst noch:
"Ich bin bereits in der Realität angekommen, und wenn ich gewusst hätte, wie sie aussieht, hätte ich mich in der Kinderfrage anders entschieden."
Mit anderen Worten: Ich bereue es, dass ich Mutter geworden bin. "Regretting Motherhood". Interessant ist, dass Sarah Fischer über die "Realität" spricht: Sie meint, die großen und kleinen politischen Ungerechtigkeiten, die für sie zu dieser Reue geführt haben – für sie ist das eng verbunden mit ihrer Entwicklung: von der unabhängigen Frau, die durch Reisen ihr Geld verdient, hin zur gestressten, unglücklichen Mutter. Ein Beispiel über Frauen, die weniger Gehalt bekommen als Männer, weil sie Mütter sind:
"Amerikanische Forscher nennen das 'Mutterschaftsstrafe'; der Begriff gefällt mir, endlich mal etwas, dass man dem eidottergelben Mutterglück entgegen setzen kann. Pro Kind büßt eine Mutter 16 bis 18 Prozent Gehalt ein."
Oberfläche der Reuedebatte
Egal ob nervenraubende KITA-Suche, ob frustrierende Teilzeitjobs oder Altersarmut: Sarah Fischer hat die Horrorgeschichte und eine Statistik dazu. Ihre Kritik ist richtig, die Zahlen sind auch gut dossiert. Aber erstens, führt das am Kern der Debatte um "Regretting Motherhood" vorbei. Denn in der Studie der israelischen Soziologin Orna Donath, da geht es um tiefe Reue, unabhängig von den Rahmenbedingungen. Es wird nicht klar, ob Sarah Fischer auch unter optimalen Bedingungen bereuen würde, Mutter geworden zu sein. Ob sie darüber nachgedacht hat. Und so bleibt sie an der Oberfläche der Reuedebatte kleben.
Und zweitens: Neu ist das alles nicht, weder die Probleme, noch die Statistiken. Je länger das Buch wird, umso eher denke ich mal: "Ja, die Gesellschaft macht Druck auf Frauen, glückliche Mütter zu werden. Aber du bist doch auch ein mündiger Mensch. Wo ist Deine Verantwortung für deine Situation? Kinder kosten Freiheit. Das weiß man, wenn man mit Ende 30 Mutter wird!"
Aber eine Sekunde später sage ich mir: Vorsicht! Du bist keine Mutter. Du kannst diesen Druck niemals selber durchleben. Aber: Ich bin Vater. Und deshalb kann ich zumindest sagen, dass Sarah Fischers Einschätzungen über Väter im Jahr 2016 nichts mit meiner Realität zu tun haben.
"Warum soll ich als Frau ein schlechtes Gewissen haben, wenn ich kein Glück empfinde im Erlebnishorizont einer Zweijährigen? Einem Mann wird das doch auch zugestanden."
Dieses Zitat macht für mich die ganze Widersprüchlichkeit dieses Buches aus, warum ich es für ein gerechtfertigtes Abrechnen mit den gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen halte. Und im nächsten Moment für engstirnig. Denn das, was ich als Vater erlebe, ist völlig anders. Ich habe mich selbst lange gefragt, ob ich bereue, Vater zu sein. Ob es erlaubt ist, das zu denken. Ich bin, auch dank "Regretting motherhood" zu dem Schluss gekommen: "Mein Leben ist nicht mehr das, was ich wollte, aber ich bereue trotzdem nichts!" Aber das kannst Du nicht mit anderen Vätern mal eben so besprechen. Das ist genauso ein Tabu.
"Es reicht, wenn er sein Vatersein zwanzig Minuten am Tag genießt, bisschen Bilderbuch, bisschen spielen."
Also ich genieße es nicht wirklich, wenn ich morgens um halb fünf meine Tochter dazu bringen muss, wieder einzuschlafen. Wir haben, was die Nachtwache angeht, eine Fifty-fifty-Regel. Wie in vielen Dingen. 20 Minuten spielen und bisschen Bilderbuch? Wir sind alle um die 35, und ich kenne keinen Vater, der diesen Freifahrtschein haben will. Und das weiß Sarah Fischer doch von ihrem eigenen Ehemann.
Hier ist mein Problem mit diesem Buch. Sarah Fischer erzählt ihre Geschichte, warum sie persönlich zu dem Schluss kommt, dass der Mythos der glücklichen Mütter eine Lüge ist, eine gesellschaftlich geförderte Lüge. Ja, sehr gut! Väter müssen mehr ran, richtig! Da müssen wir alle aus unseren Rollenbildern raus. Aber sie sagt, dass sie eine ehrliche Debatte darüber haben will. Aber die ist komplex, dann muss der Blick differenzierter sein. Und da, wo ich mir ein Urteil erlauben kann in diesem Buch, da sehe ich das nicht!
"Angenommen, Emma würde mit einem anderen Kind spielen und ich mein Smartphone zücken. Pfui Teufel, Rabenmutter. Würde ein Vater den Spielplatz besuchen und sich mit einem Smartphone beschäftigen, wäre er ein toller Mann, weil er, obwohl er so viel zu tun hat, mit dem Kind auf den Spielplatz geht."
Ja. Es gibt solche Spielplätze, in München bei Sarah Fischer, wie auch bei uns in Berlin. Aber da, wo ich mit Freundinnen und Freunden zusammen mit unseren Kindern hingehe, da interessiert es niemanden, wer ein Telefon in der Hand hat. Und wir dürfen auch sagen, dass wir eigentlich keine Lust auf Schaukeln haben. Egal, ob Väter oder Mütter. Auch das ist Teil der vielseitigen Realität in Deutschland 2016.
Und so weiß ich nicht, was ich mit den anderen Klischees im Buch machen soll. Etwa über Mütter, deren eigene Unsicherheit in Konkurrenzdenken ausartet:
"Was, dein Leo läuft noch nicht?! Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist? Was?! Du riskierst es, dass dein Kind eine chronische Entzündung bekommt? Aber das musst du natürlich selber wissen, weißt du, ich meine es nur gut."
Keine Mutter wird gezwungen, da mitzumachen
Es gibt solche Mütter. Es gibt diesen subtilen Druck, den ich als Vater so nicht erlebe. Aber keine Mutter der Welt wird gezwungen, da mitzumachen. Meine Familie und ich, meine Freunde, wir gehen dem locker aus dem Weg. Der Punkt ist: Sarah Fischer inszeniert sich gelegentlich als die einzige, die den Mythos vom Mutterglück durchschaut, während andere Frauen zu Narzisstinnen werden, die ihre eigenen Kinder mit Yoga und Chinesisch-Kursen überfordern. Ihre Reue dagegen ist wenigstens ehrlich. Das klingt anmaßend. Sarah Fischer muss definitiv auf andere Spielplätze gehen und andere Eltern kennenlernen. Sonst reicht es nur zur Polemik.