Mehr Informationen zum Stück auf der Website des Royal National Theatre.
Londoner Theaterpublikum fällt in Ohnmacht
Einige Besucher des Previews von "Cleansed" konnten die Szenen nicht mit ansehen: Das Royal National Theatre in London schockt mit dem blutrünstigen Stück einer der einflussreichsten Theatermacherinnen der Insel. Sarah Kanes Stücke wühlen die Szene nicht zum ersten Mal auf.
Der Theaterbesucher wird immerhin schriftlich gewarnt: "Cleansed" von Sarah Kane enthält drastische Szenen von körperlicher und sexueller Gewalt. 40 Zuschauer im Royal National Theatre haben die Warnung offenbar in den Wind geschlagen. Vielleicht schon alleine deswegen, weil der gleiche Schriftzug allabendlich in den BBC Fernsehnachrichten oder vor Spielfilmen eingeblendet wird und insofern etwas unter Abnutzungserscheinungen leidet.
Die meisten der 40 konnten gerade noch in letzter Sekunde den Saal während der Pre-Views verlassen, der Vorhang hebt sich eigentlich erst im März. Fünf Theaterbesucher aber fielen doch in Ohnmacht. Dabei, sagt die Regisseurin Katie Mitchell zur leichten Verblüffung, handelt das bluttriefende Stück von Sarah Kane gar nicht von Gewalt, sondern von Liebe:
"Die Folter wird von einem Arzt ausgeübt, der die Liebe mehreren Tests unterzieht. Das homosexuelle Paar, ihre Liebe, wird getestet. Sie werden gefoltert, um zu sehen, ob ihre Liebe das überlebt. Und ihre Liebe schafft das."
Sarah Kanes Theaterstück "Cleansed" wurde in den 90er Jahren von den ethnischen Säuberungen im ehemaligen Jugoslawien inspiriert. Es gilt als posthume Auszeichnung, dass es jetzt im Royal National Theatre am Südufer der Themse aufgeführt wird. Die monströse Betonarchitektur des 70er Jahre Brutalismus-Baus gibt jetzt insofern eine recht passende Hülle ab für das Stück.
"Cleansed"-Kritiker sind tapfer bis zum Schluss geblieben
Nur wenige Schritte weiter die Themse hinunter wurde an der gleichen Uferseite Shakespeare`s Globe Theatre wieder aufgebaut. Dort kippten im Sommer 2014 sogar noch mehr Zuschauer um angesichts der Grausamkeiten des Titus Andronicus. Für Regisseurin Katie Mitchell sind englische Bühnen aber doch zurückhaltender bei Gewalt und Sex als zum Beispiel deutsche:
"Es ist ganz anders als in Deutschland. Nach dem Holocaust wird in Deutschland alles in Frage gestellt, Erzählung, Charakter, Heldentum. Die Deutschen präsentieren furchtlos Gewalt auf der Bühne. Wir tun das nicht."
Der Schrecken bei "Cleansed" wirkt wohl noch stärker, weil ihn sich ausgerechnet eine junge Frau hat einfallen lassen. Sarah Kane erfülle damit einen neuen feministischen Auftrag. Die Kritiker sind begeistert und auch tapfer bis zum Schluss dabei geblieben - anders als 2014 im Globe bei Shakespeare, als die Theaterkritikerin des Independent hinterher offen zugab, sie sei selbst vor Entsetzen kurz in Ohnmacht gefallen.