Sarah Kuttner: "Kurt"
S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2019
240 Seiten, 20 Euro
Treffende Worte für Fassungslosigkeit und Trauer
05:45 Minuten
In ihrem neuen Roman "Kurt" führt Sarah Kuttner berührend und eindrucksvoll vor, wie Menschen an ihrer Trauer wachsen können. Als Autorin werde Kuttner von Buch zu Buch besser, findet unsere Kritikerin Gesa Ufer.
"Popkultureller Plapperzwang", Egomanie und "chronische Infantilität" hat das gehobene Feuilleton der Moderatorin und Buchautorin Sarah Kuttner bei ihrem ersten Roman "Mängelexemplar" bescheinigt. Dem Publikum war es wurscht. Wochenlang hielt sich die Geschichte einer jungen Frau, die unter schweren Depressionen leidet, in den Bestsellerlisten, und auch die Verfilmung wurde ein großer Erfolg.
In ihrem neuen, vierten Roman "Kurt" nimmt sich die 40-Jährige wieder ein schweres Thema vor: Es geht um den Unfalltod eines kleinen Jungen - und um die mühsamen Versuche der Hinterbliebenen, nach dieser Katastrophe zurück ins Leben zu finden.
Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive der kinderlosen Journalistin Lena, einer Art Alter Ego Sarah Kuttners, wenigstens was die Liebe zu schnoddrig-schlagfertigen Sprüchen betrifft.
Häusliches Glück im Berliner Speckgürtel
Lena hat sich gerade mit ihrem Freund Kurt ein Häuschen im erweiterten Berliner Speckgürtel gekauft und ist selbst darüber verblüfft, wie gut ihr der neue spießig-geruhsame Lebenswandel zwischen Thuja-Hecke und Baumarkt zusagt. So sehr, dass sie sich manchmal "vor Glück fast in die Hose macht". Auch die Leidenschaft des Paares feiert neue Urstände, und jedes Zimmer im neuen Haus - inklusive Gästeklo - wird mit erstklassigem Sex eingeweiht.
Wochenweise lebt bei den beiden auch Kurts gleichnamiger Sohn aus einer vorangegangenen Beziehung. Der "kleine Kurt" ist ein rundweg zauberhafter Sechsjähriger, der seine Matchbox-Autos gern auch über Lenas Körper rollen lässt und der sie, die vermeintliche Stiefmutter, höchstens vor die Frage stellt, ob sie eigentlich autorisiert ist, ihn so sehr zu lieben wie einen eigenen Sohn.
So weit, so Feel-Good-Vorabendserie. Bis der "kleine Kurt" eines Tages auf dem Schulhof vom Klettergerüst stürzt, sich das Genick bricht und sofort stirbt. War die Geschichte bis hierhin launig lapidar, gelingt es Sarah Kuttner eindrucksvoll, Worte für die nun einsetzende Fassungslosigkeit und Trauer zu finden.
Selbst flotte Sprüche wirken nur noch hilflos
Ich-Erzählerin Lena muss ihrem Freund dabei zusehen, wie er sich mehr und mehr einigelt und an seinem Kummer fast erstickt. Helfen kann sie ihm lange nicht, und in der Gemeinde der Trauernden scheint für sie kein Platz. Das Paar entfremdet sich zusehends. Irgendwann wirken sogar Lenas flotte Sprüche nur noch hilflos. Und nach dem befremdlichen Versuch der Beiden, nach langer Zeit wieder miteinander zu schlafen, fühlt sich Lena, als hätten sie sich "endgültig entvögelt".
Sarah Kuttners Roman, in diesem Frühjahr Spitzentitel im Verlag S. Fischer, schrappt zwar immer mal wieder hart an der Kitschkante entlang, manche Schlenker und Längen wären auch nicht nötig gewesen, und der dauerkalauernde Ton bei den Dialogen mag auch nerven, gerade in den Schlüsselszenen aber sitzt die Sprache und berührt sehr.
"Kurt" zeigt eindrucksvoll, wie Menschen an ihrer Trauer wachsen können - und wie Sarah Kuttner als Autorin immer besser wird.