"Von der Hand in den Mund - wenn Arbeit kaum zum Leben reicht": Das ist das Thema der Deutschlandradio-Denkfabrik 2022. Das ganze Jahr über beschäftigen wir uns in Reportagen, Berichten, Diskussionen und Interviews mit der Lage der Arbeitswelt in Deutschland. Die einzelnen Beiträge sind unter Denkfabrik Deutschlandradio nachzuhören und nachzulesen.
Sarah-Lee Heinrich (Grüne)
Für soziale Gerechtigkeit braucht es eine große organisierte Bewegung auf der Straße, findet Sarah-Lee Heinrich, Co-Sprecherin der Grünen Jugend. © picture alliance / dpa / Bodo Schackow
„Armut ist ein politisches Problem“
07:40 Minuten
Was Armut bedeutet, weiß Sarah-Lee Heinrich: Die Co-Sprecherin der Grünen Jugend wuchs mit Hartz IV auf. Das treibt sie heute noch im Kampf für soziale Gerechtigkeit an: Es dürfe nicht sein, dass im reichen Deutschland 13 Millionen Menschen arm sind.
Rund ein Fünftel der in Vollzeit Beschäftigten in Deutschland sind laut einer am Donnerstag vorgestellten Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung Geringverdienende. Viele von ihnen können von ihrer Arbeit nicht oder kaum leben. „Das finde ich einen Skandal“, sagt Sarah-Lee Heinrich. Sie ist Co-Bundessprecherin der Grünen Jugend.
Aufklärung über Armut
Heinrich verweist darauf, dass, wenn hierzulande über Armut gesprochen wird, zuerst an Arbeitslose gedacht werde. Aber viele Menschen seien arm, weil sie zu wenig verdienten. Es dürfe nicht sein, dass in einem reichen Land wie Deutschland 13 Millionen Menschen arm sind, während gleichzeitig die Profite steigen.
Was Armut bedeutet, weiß Heinrich aus eigener Erfahrung. Ihre Mutter war alleinerziehend und bezog Hartz IV. Das habe dafür gesorgt, dass sie in einem Gefühl der Unsicherheit aufwuchs, berichtet die junge Grüne. Gleichzeitig habe die Situation ihr Selbstbewusstsein geschwächt. Sie habe sich selbst die Schuld an der Armut gegeben. Später habe sie aber verstanden, „dass Armut ein politisches Problem ist“.
Dieses Bewusstsein treibe sie auch heute noch an. Deswegen möchte sie, dass auch andere Menschen, denen eingeredet werde, sie seien selbst schuld an ihrer Armut, verstünden, dass dem nicht so ist.
Bewegung für soziale Gerechtigkeit
Das Problem der Armut und prekärer Arbeitsverhältnisse sei eine Verteilungsungerechtigkeit in der Gesellschaft, betont Heinrich. Diese beruhe auf einem Interessenkonflikt: „Wenn die einen mehr verdienen, wird auf der anderen Seite das Unternehmen weniger Profite machen können“, fasst sie den Widerspruch zusammen.
Deswegen brauche es nicht nur mehr Arbeiterinnen und Arbeiter als Mitglieder im Bundestag, sie müssten vor allem für ihre Interessen auf die Straße gehen. Denn es fehle an einer großen organisierten Bewegung für mehr soziale Gerechtigkeit, ist Heinrich überzeugt. Ein Problem sei dabei auch, dass immer weniger Menschen Mitglied in der Gewerkschaft sind, „obwohl es die richtige Entscheidung wäre“.
Nicht mit Arroganz auf Ängste reagieren
Bei der Ampelkoalition macht die junge Politikerin eine Schwachstelle bei sozialen Fragen aus. Das gelte auch beim Klimaschutz. Es sei daher verständlich, dass Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten, sich sorgten, wenn der Spritpreis erhöht würde. „Da darf man nicht mit Arroganz drauf reagieren“, fordert Heinrich.
Zudem erwarte sie von den Grünen und auch der SPD – die FDP klammert Heinrich bewusst aus –, dass diese die Lobby der Arbeitenden sind und „konsequent Politik im Interesse der arbeitenden Bevölkerung“ umsetzten. „Das heißt: höherer Pflegebonus, Mietendeckel, steuerliche Entlastung für Geringverdiener und auch Hartz IV abschaffen.“
(rzr)